Mihály Csíkszentmihályi – „Vater des Flow“ – ist tot

„Ich werde nie nervös, bevor ich jemanden interviewe. Doch als ich 2008 mehrere Stunden mit ihm sprach, war ich anfangs zittrig. Er stellte sich als der netteste Kerl der Welt heraus.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Daniel Pink, US-amerikanischer Bestsellerautor, auf der Networking-Plattform LinkedIn von einem der großen Wegbereiter der Positiven Psychologie und Glücksforschung: Mihály Csíkszentmihályi.

Fotoquelle: Ehirsh, Public domain, via Wikimedia Commons

Der ungarisch-amerikanische Psychologe mit dem schier unaussprechlichen Namen ist am 20. Oktober 2021 im Alter von 87 Jahren in Claremont, Kalifornien, gestorben. Und der Kommentar von Pink bringt auf den Punkt, was auch aus zahllosen anderen Posts und Artikeln zum Tode Csíkszentmihályis spricht: eine Mischung aus Ehrfurcht vor der fachlichen Leistung des Wissenschaftlers und liebevoller Erinnerung an einen freundlichen, zugewandten Menschen.

Geboren wurde Csíkszentmihályi als Sohn einer ungarischen Familie 1934 im damals italienischen Fiume (heute: Rijeka, Kroatien). Er emigrierte als junger Mann in die USA, studierte in Chicago Psychologie, wurde an der dortigen Universität Professor für Psychologie und später, 1999, Professor für Psychologie und Management an der Claremont Graduate University in Kalifornien, wo er auch Direktor des Quality of Life Center war.

Was ist Flow?

Bekannt geworden ist Csíkszentmihályi als der „Father of Flow“. Gemeint ist ein Bewusstseinszustand, in dem man in einer Tätigkeit vollständig aufgeht. Hochkonzentriert, ganz im Hier und Jetzt, Raum und Zeit vergessend und vor allem glücklich. Das Gefühl kann ebenso bei beruflichen Aufgaben wie bei der Ausübung eines Hobbies auftreten, im Sport wie auch bei vermeintlich schnöder Hausarbeit.

Gezielt herbeiführen lässt sich Flow nicht, allerdings gibt es Voraussetzungen, die die Chance erhöhen, in den Fluss zu kommen. Etwa die, dass die ausgeübte Tätigkeit weder unter- noch überfordert, sondern dass sie den eigenen Stärken, aber auch Werten und Zielen vollkommen entspricht. Hier hat die Flow-Theorie ihren Anknüpfungspunkt an die Positive Psychologie, die den Blick auf die persönlichen Ressourcen richtet, die Menschen gesund, zufrieden, glücklich und erfolgreich machen. (Mehr zum Thema Flow: hier)

Was ist Csíkszentmihályis Verdienst?

Csíkszentmihályi war nicht der Erste, der sich mit dem Bewusstseinszustand des Flow beschäftigt hat. Abraham Maslow beispielsweise (der in den 1950er Jahren auch zum ersten Mal den Begriff der Positiven Psychologie einführte) hatte mit der so genannten Peak Experience bereits ein ähnliches Phänomen beschrieben.  

Doch erst Csíkszentmihályi stieg tief in die Thematik ein, arbeitete die Flow-Theorie aus und machte sie erstmals mit seinem 1990 erschienenen Bestseller „Flow: The Psychology of Optimal Experience“, einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Auf ihn – oder vielmehr auf die Menschen, die er 1975 in seiner Forschung zu dem Thema befragt hat – geht auch der Begriff Flow zurück. Denn mehrere seiner Interviewpartnerinnen und -partner beschrieben den glückseligen Zustand vollständigen Aufgehens in einer Tätigkeit so, als würden sie von einem strömenden Wasser getragen.

Wie ging es weiter mit der Flow-Forschung?

Csíkszentmihályis Buch und seine vielen weiteren Publikationen inspirierten zahlreiche Menschen; angeblich sollen unter den erklärten Csíkszentmihályi- und Flow-Fans auch der ehemalige US-Präsident Bill Clinton und der ehemalige britische Premier Tony Blair sein. Viele Wissenschaftler traten in die Fußstapfen Csíkszentmihályis und setzten die Erforschung des Phänomens Flow fort. Neuere Studien zeigten beispielsweise, was auf physiologischer Ebene im Flowzustand passiert: Beim einzelnen Menschen geht der Bewusstseinszustand mit moderat erhöhten Cortisolwerten im Blut einher, die keinen Stress, aber eine erhöhte Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft hervorrufen. Und wenn Teammitglieder gemeinsam in den Flow kommen, dann zeigt sich auch das an ganz bestimmten synchronisierten Hirnaktivitäten.  

Hat man je von Csíkszentmihályis Forschung gehört, so wird man sich wohl noch des Öfteren an ihn und seine Arbeit erinnern – wenn man gerade wieder einmal aufgetaucht ist aus einem jener kostbaren Momente beglückender Selbstvergessenheit. Und vielleicht werden einige von uns dann sogar in Gedanken seinen Namen richtig aussprechen – zumindest die, die sich jüngst auf der Plattform LinkedIn umgetan haben.

Dort nämlich erzählt die Professorin für positive Psychologie Judith Mangelsdorf von einer der schönsten Erinnerungen, die sie persönlich an den Wissenschaftler habe. Die kleine Anekdote ist heute vielleicht nicht mehr ganz politisch korrekt, zeugt aber davon, dass Csíkszentmihályi auch witzig sein konnte: „Eines Tages“, so Mangelsdorf, „sagte Mihály zu mir: Weißt Du, wenn Menschen Probleme haben, sich meinen Namen zu merken, dann erzähle ich ihnen folgende Geschichte: Gestern traf ich eine wunderschöne Frau – and this chick sent me high.“

 


Der Beitrag wurde geschrieben von

Sylvia Jumpertz
Sylvia Jumpertz, langjährige Redakteurin im Verlag managerSeminare, Bonn.
27.10.2021
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