#AHcamp Hamburg

Augenhöhe ist harte Arbeit statt Happy Clappy

Was bedeuten Selbstorganisation, Transparenz und agile Strukturen für die Unternehmen? Und für jeden Einzelnen? Rund 90 Teilnehmer wollten das auf dem Augenhöhecamp am 07. Juli 2016 in Hamburg wissen – und erlebten: Selbstorganisation macht Spaß, tut weh … und hat inzwischen viele angesteckt.

Ein Beitrag von Svenja Gloger

Wen es gepackt hat, den lässt es nicht los: das Fieber der Augenhöhe. Oder: die Vision einer intelligenteren, agileren, menschlicheren Form von Führung und Zusammenarbeit. In den in schlichtem Weiß und edlem Grau gehaltenen Räumen des Altonaer Kaispeichers an der Elbe versammelten sich viele, die es gepackt hatte – viele, die auch schon das erste Augenhöhecamp vor einem Jahr in Hamburg besucht hatten und nun weiterdiskutieren wollten. Über Fragen wie: Welche neue Rollen entstehen durch Augenhöhe? Wie geht kollegiale Führung? Und: Augenhöhe – Alles Happy Clappy oder nur Stress?

Draußen die Juli-Sonne. Container, Kräne, vorüberziehende Frachtschiffe. Drinnen Wissen aus 90 Köpfen, das gehoben, transportiert und bewegt wurde. Und zwar selbstorganisiert und eigenverantwortlich – gemäß der posthierarchischen Arbeitsform, die die Teilnehmer für Unternehmen als zukunftsweisend erachten.

Wie die Pionierveranstaltung 2015 und das Nachfolge-Event im Frühjahr 2016 in Frankfurt, war auch das dritte Augenhöhecamp als eine Mischung aus Elementen des Open Space und des Barcamp aufgezogen. Was bedeutete: Die Teilnehmer bestimmten die Themen der Agenda selbst und beriefen Workshops ein. „Hier im Raum sind 90 coole Leute“, sagte Silke Luinstra, Mit-Organisatorin des Camps und eine der vier Initiatoren der Augehöhe-Bewegung, während sie zu Beginn des Events den Stuhlkreis der Teilnehmer durchschritt. „Macht was draus. Teilt eure Ideen!“ Die „coolen Leute“ setzten sich in erster Linie zusammen aus Führungskräften und Geschäftsführern kleiner und mittelgroßer Dienstleistungsunternehmen. Doch auch ein Konzern mit 600.000 Mitarbeitern war vertreten. Ein Indiz dafür: Sogar Firmen-Dickschiffe werden inzwischen von der Welle der Demokratisierung erfasst, die vor anderthalb Jahren nicht zuletzt durch den ersten der beiden Augenhöhefilme und dessen Nachfolgeaktionen ausgelöst wurde.

Es folgte ein Run auf das Mikro. Jeder Dritte hatte ein Diskussions-Anliegen und stellte es vor. Um 11.00 Uhr klebten 30 Workshopthemen an der Pinnwand. Wer heute hier im Kaispeicher war, hatte mit dem, was er propagierte – dem Anpacken und Selber-Tun –, kein Problem.

Mit einem zweistündigen Workshop kristallisierte sich ein Thema als zentral heraus: das der Gehaltstransparenz. Beraterin und Workshopleiterin Nadine Waibel, vormals Führungskraft in einem Unternehmen mit 30.000 Mitarbeitern, schilderte: Die 400 Lagerarbeiter, die sie führte, bestimmten ihre Gehälter selbst. „Wir hatten transparent, wie viel Geld für die Truppe zur Verfügung steht. Und es war eine Höchstmarke festgelegt, bis zu der ein Gehalt steigen durfte.“ Das Team schaute, wer von den Kollegen besondere Leistungen erbrachte – und diese „überdurchschnittlichen Beiträge“ wurden mit einem Gehaltsaufschlag versehen. „Das hat geklappt“, versicherte Waibel und betonte: „Transparente Gehälter führen zu mehr Zufriedenheit in Unternehmen. Es fließen nicht mehr so viele Gedanken in die Frage, was die Kollegen wohl verdienen. Das setzt Energie für Wichtigeres frei.“

Sollen darüber hinaus auch Gehaltsbedürfnisse offengelegt und berücksichtigt werden? Daran schieden sich die Geister. Für die einen ist das der „logische nächste Schritt“. Für die anderen sorgt es für „totale Ungerechtigkeit“, wenn Mitarbeiter für dieselbe Leistung unterschiedliches Geld bekommen. „Das bedeutet die Entkoppelung von Zahlung und Leistung“, so hieß es, und: „Wenn Bedürfnisse bezahlt werden, ist man schnell bei der Frage: Welches Bedürfnis ist berechtigt? Segeln gehen oder das Kind unterstützen – was ist mehr wert?

Andere Fragen aus anderen Sessions zeigten: Nach wie vor sind es die immergleichen Themen, die mit der Demokratisierung der Arbeitswelt einhergehen und bewegen. Welche Herausforderungen begegnen Unternehmen auf dem Weg zur Selbsorganisaton? Was passiert, wenn Hierarchieen abgebaut werden? Wie wird der Verlust an Orientierung kompensiert? Wie entscheiden Teams, wenn es keine Ansage von oben mehr gibt? Was tun, wenn Mitarbeiter Angst vor Verantwortung haben? Wenn sie nicht damit klarkommen, plötzlich sichtbar zu sein, plötzlich nicht mehr hinter anderen wegtauchen zu können? Was tun, damit Führungskräfte nicht einfach kündigen, sobald sie Macht abgeben sollen? Welche neuen Rollen entstehen in agilen, eigenverantwortlichen Teams?

Wenig wirklich konkrete Antworten gab es in Hamburg – und schon gar keine Lösungsrezepte. Dafür jede Menge voll gekritzeltes Papier mit zahlreichen Gedanken, erarbeiteten Schlagwörtern, Mind Maps. So und nicht anders sollte es nach Aussagen der Ausrichter auch sein. Silke Luinstra: „Ein Augenhöhecamp ist dazu da, die eigenen Fragen zu teilen, sich mit Ideen vollzupumpen und Energie zu tanken.“ Die aufgeworfenen Fragen würden später in der eigenen Person weiter arbeiten und zu einem Turbo werden, der einen, zurück im eigenen Umfeld, antreibt, trägt und steuert, so hieß es auf dem Camp.

Und diesen Turbo braucht es. Denn die Grundideen des New Way of Work sind zwar inzwischen vielerorts angekommen – die Arbeitsgruppen im Kaispeicher zeigten sich regelrecht begeistert von den Bildern einer neuen Arbeitswelt. „Im vergangenen Sommer, auf dem Camp 2015, gingen manche Teilnehmer dagegen noch etwas unsicherer und zurückhaltender mit dem Thema Augenhöhe um“, meinte dazu kontrastierend ein Coach, der zum zweiten Mal dabei war. Doch was in Unternehmen wie den Hamburger elbdudlern oder dem Internet-Kollektiv Premium Cola so lässig aussieht, ist alles andere als ein Selbstläufer. Es ist auch kein Happy Clappy – jedenfalls nicht nur. Sondern Arbeit. Mitunter sehr harte Arbeit.

Augenhöhe kann weh tun, wurde in Hamburg klar. Sven Franke, Mitinitiator der Augenhöhe-Bewegung, brachte auf den Punkt: „Transparenz erhöht den sozialen Druck. Der Druck von der Seite – von dir selbst und den Kollegen – ist höher als der Druck von oben.“ Auf dem nächsten Augenhöhecamp am 08. September 2016 in Berlin lässt sich überlegen, wie dieser Druck aufzufangen ist.

12.07.2016
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