#LATC2017 in der Rückschau

Lean meets demokratisch

„Lean around the clock“ - unter diesem Titel fand Anfang Februar in Mannheim eine Leankonferenz der besonderen Art statt. Der Name war Programm, nahezu rund um die Uhr wurde konferiert. Und dabei nicht nur über Lean Management, sondern auch über neue Führung, Demokratie und Augenhöhe geredet. Ein Kongressbericht.

Blauer Business-Anzug und weiße Bluse – so bekleidet kommt Sandra Stoll auf die Bühne. Schnurstracks aber zieht die Beraterin ihren Blazer aus, zufft die Bluse zurecht und setzt sich eine blaugelockte Badekappen-Perücke auf den Kopf und eine übergroße Brille auf die Nase. Sandra Stoll redet über „Wenn Lean verpufft“, doch ihre Verwandlung hat nichts mit den Inhalten zu tun, sondern ist gedacht als Hommage an den Veranstalter.

Der nämlich kommt auch auf die Bühne, als wäre in Mannheim bereits Karneval (heißt in der Quadratestadt wohl eher Fasching). Weite, karierte Schottenhose, übergroßes Hemd und gelbe Fliege. Ralf Volkmer ist sicher gut für die Provokation, aber der Erfinder des Formats „lean around the clock“ will mit seinem Aufzug wohl von Anfang an nur demonstrieren: Wir sind hier nicht auf einer üblichen Business-Konferenz, wir hier sind Freaks und machen einiges anders als andere.

„Hier ist hierarchiefreie Zone, wir wollen uns auf Augenhöhe begegnen – unabhängig von Herkunft und Stellung“, gibt er zu Beginn bekannt. Und wohl wahr: 150 EUR Eintrittsgebühr bilden keine Schwelle. Auch sonst bricht die Veranstaltung mit einigen gängigen Vorstellungen von Konferenzen. Namensschilder und damit Aufdrucke der Funktionen gibt es nicht – Augenhöhe mal anders. Essen oder gar Pausen – weit gefehlt. Selbstverantwortung wird groß geschrieben. Wer Hunger oder Durst hat, holt sich was an der Bar. Wer Pause will, muss sie sich selbst schaffen. Das Programm läuft durch. Von Donnerstagmorgen 10 Uhr bis Donnerstagnacht 1:30 Uhr. Von Freitagfrüh (5:30 Uhr) bis 17:30 Uhr. Eben around the clock.

Zwei Tage – ein Raum. In der Alten Feuerwache ist es dunkel, nur die Folien auf der Bühne sind erleuchtet. Zudem alles frontal. Brutal? Schon. Aber auch dialogisch. Kaum ein Referent nutzt die gesamten 45 Minuten, immer fliegt das Würfelmikro durch den Raum, es wird gefragt, angemerkt, geantwortet. Bei Silke Luinstra, die die Augenhöhe-Filme mitgedreht hat und verantwortet, ist es bereits 23 Uhr, sie sitzt auf der Bühne und erzählt. Ermüdung? Fehlanzeige. Am nächsten Morgen um 6:00 Uhr sind bereits 50 Teilnehmer wieder am Start.

Lean? Ist das nicht längst out? Ein Konzept aus den 90ern. Wertstromanalyse. Kaizen-Blitze. Kata. Kanban. Hoshin Kanri. Shopfloormanagement. An Fachbegriffen ist der Ansatz nicht gerade arm. Sie schwirren durch den Raum. Und verbinden sich mit anderen Themen. Führung. Demokratie. Partizipation. Komplexitätsbewältigung. „Gute Führung kann die Rahmenbedingungen für Wertschöpfung schaffen“, sagt Holger Möhwald. Der Berater aus Göttingen weiter: „Defizite in der Führung erzeugen Verschwendung“. Werte schaffen ohne Verschwendung – darum geht es - auf den Punkt gebracht.

„Lean Management wird oft falsch verstanden und angewandt“, erklärt Ralf Volkmer nach der Veranstaltung. Als ultimatives Rationalisierungstool. Als eine Ansammlung von Methoden zur Effizienzsteigerung. Als eindimensionaler Blick auf die Verbesserung von internen Prozessen zur Produktivitätssteigerung. Sein Kongress zeigt: Lean ist anschlussfähig. KVP, Kaizen & Co. haben Berührungspunkte zu neuer Führung, zu New Work, zu Augenhöhe und Demokratie, nein, nicht nur das: Sie funktionieren nur, wenn die Haltung stimmt, die diese Ansätze propagieren. „Was es braucht, ist endlich die Einsicht, dass hinter Lean, Kaizen, KVP & Co. mehr als nur eine Methodensammlung steckt, die beliebig über Prozesse gestülpt werden kann“, sagt Volkmer und stellt mit seinem Kongress die Weichen.

„Die BWL hat abgewirtschaftet, sie ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt etwa Andreas Syska auf dem Kongress. Er ist Professor für Produktionsmanagement an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach und meint: Wir sind immer noch in der Zeit des Taylorismus, wir denken an Menschen als Kostenstellen, jagen sie sozusagen, um Kosten zu reduzieren, statt die Verschwendung zu jagen. Dass wir in der alten Welt verhaftet sind, zeigt sich auch an unserer Sprache. Mario Buchinger, von Volkmer als Enfant terrible der Beraterbranche vorgestellt, führt das Bullshit-Bingo der Szene vor und mahnt: „Human Resources etwa ist ein unfairer Begriff. Maschinen sind Ressourcen, Menschen aber sind keine, sie haben aber eine: Zeit.“

Gebhard Borck indes geht mit dem Begriff und der Vorstellung der klassischen Führungskraft ins Gericht. Katalysator schlägt er stattdessen vor: jemand, der sich auskennt in der Moderation, in der Psychologie, Soziologie, der Prozessverständnis mitbringt und Einfühlungsvermögen, zudem eine schnelle Auffassungsgabe hat... Dass Führungskräfte in manchen Unternehmen überflüssig sind, zeigt Andreas Zeuch auf. Er erzählt die Geschichte der Volksbank Heilbronn, die erkannte, dass ihre Führungskräfte eigentlich nur fürs Abzeichnen der Urlaubsscheine gebraucht wurden. Die Bank hat die Führungskräfte abgeschafft, das Disziplinarrecht ging in die Gruppe über. Doch auch ein Demokratisierungsprozess wie bei der Volksbank muss nicht immer klappen. Der Unternehmensdemokrat mit Sitz in Berlin betont: „Demokratie ist kein ausschließliches Mittel zum Zweck der Gewinnmaximierung. Das positive Menschenbild, das Vertrauen in die Menschen ist das Fundament.“

Viele bedeutende Sätze. Viel Input, der unmöglich zusammen gefasst werden kann. Aber auch nicht muss, denn die gesamte Veranstaltung wurde live gestreamt und kann immer noch nachgeschaut werden (Tag 1, Tag 2). Dennoch hat die freakige Veranstaltung 304 Teilnehmer nach Monnem – wie Mannheim auf Kurpfälzisch heißt – gelockt. Sie ist die zweite Veranstaltung dieser Art gewesen und wird nicht die letzte bleiben. Der neue Termin steht bereits fest: 8. bis 9. März 2018 im Mannheimer MaimarktClub. Ralf Volkmer wird sie dann nicht mehr moderieren, denn dieses Zepter hat er an Mario Buchinger abgegeben. Ruhiger will er dennoch nicht werden, neue Projekte sind bereits geplant: Nicht geringeres als die Anlaufstelle schlechthin für Lean will er werden – mit dem Portal Lean Knowledge Base, einer Online-Academy, dem LeanTalk-TV und natürlich weiterhin Lean around the clock.

Foto 1: Volle Reihen in der Alten Feuerwache, Mannheim. Foto 2: Lean meets demokratisch: Veranstalter Ralf Volkmer (links) mit Unternehmensdemokrat Andreas Zeuch.

16.02.2017
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