Interview über Führung im Homeoffice

„Voll auf intrinsiche Motivation setzen“

Zahllose Beschäftigte müssen sich aufgrund der Corona-Krise innerhalb kürzester Zeit auf das Arbeiten im Homeoffice umstellen. Eine sorgfältige Vorbereitung ist kaum möglich, weder in technischer Hinsicht noch in mentaler. Weder für die Beschäftigten noch für die Führungskräfte. Wie Führung und Zusammenarbeit vom Homeoffice aus jetzt trotzdem gelingt, erklärt Jürgen Weibler, Experte für Personalführung.

Das Interview führte Stephan Düppe von der FernUniversität Hagen

Herr Prof. Weibler, wie können Führungskräfte ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Arbeit im „Neuland“ Homeoffice unterstützen?

Gerade erreichten mich Ergebnisse einer aktuellen McKinsey-Studie, deren Autoren in Shanghai, Peking und Hongkong beheimatet sind, und die sich genau mit dieser Frage auseinandersetzten. Deren Ergebnisse untermauern das, was wir wissen, und bereichern es. Mitarbeitende äußerten sich beispielsweise dahingehend, dass sie sich unproduktiv fühlen, wenn die Situation unzureichend gemanagt wird.

Aktuell ist das Management der Homeoffice-Situation wahrscheinlich besonders herausfordernd …

Absolut, denn gegenwärtig muss oft nicht nur die Arbeit, sondern auch eine „durcheinandergewirbelte“ familiäre Struktur parallel zur Arbeit zuhause organisiert werden. Hinzu kommt, dass die eigene Wohnung für Homeoffice suboptimal sein kann. Dafür sollten Führungskräfte Verständnis haben und flexibel und rücksichtsvoll auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden eingehen, soweit dies eben möglich ist. Erstens ist dieses umsichtige Miteinander generell zu fordern, von beiden Seiten übrigens, denn auch für Führungskräfte ist dies vielfach Neuland. Zweitens könnten sonst Führungsbeziehungen dauerhaft geschädigt und eine Demotivation bzw. Enttäuschung befördert werden, die über die Krise hinausreicht. Mit dem Ende der Krise wird ja nicht das Gedächtnis gelöscht. Richtig gemacht kommen alle gestärkt aus der schwierigen Zeit heraus.

Was begünstigt die Arbeit im Homeoffice?

Grundsätzlich positiv ist es, wenn Mitarbeitende schon immer sehr selbstständig gearbeitet haben und wissen, was zu tun ist. Und wenn sie mit Informations- und Kommunikationstechnologien vertraut sind. Aktuell ist es ein großer Vorteil, dass die Beschäftigten im Homeoffice oft schon lange persönlich in ihrer Organisation zusammengearbeitet haben. Die vorhandenen Bindungen schaffen Vertrauen und fördern kreative Problemlösungen. Viele Arbeitsabläufe können auf die neue Situation übertragen werden. Die bereits erwähnte Studie zeigt zudem: Mitarbeitende auf Distanz kommen in kleinen Teams besser zurecht. Mithin gilt es zu prüfen, ob größere Teams wie bei einer Zellteilung aufgespalten und über definierte Personen vernetzt werden können. Wichtig ist weiterhin, angemessene Ziele gemeinsam festzulegen, Verantwortlichkeiten abzustimmen sowie Standards und Zeiten für die Kommunikation verlässlich auszumachen, beispielsweise montags, mittwochs, freitags. Die fachinhaltliche Kommunikation würde je nach Bedarf vorzugsweise horizontal wie vertikal im Falle eines aufgespaltenen Teams primär über temporäre Teamsprecherinnen und Teamsprecher laufen.

Wie erhalten Führungskräfte die Motivation der Beschäftigten „über Distanzen“ aufrecht?

Zunächst sollte sich jeder bewusst machen, dass andere nicht durch unsere persönlichen Empfindsamkeiten zusätzlich belastet werden sollten. Für niemanden, weder für Führungskräfte wie Mitarbeitende, ist es augenblicklich einfach. Daher ist es wichtig, anderen möglichst positiv zu begegnen und verlässlich zu bleiben. Das hilft wiederum allen und befördert ein gutes virtuelles Teamklima. Anders formuliert: Das Primäre ist die Selbstmotivation. Dort, wo besondere individuelle – d.h. auch familiäre – Bedingungen vorliegen, die einer Selbstmotivation enge Grenzen setzen, sollten Führungskräfte und andere Teammitglieder anbieten, zu helfen – etwa durch Gespräche oder durch temporäre Arbeitsumschichtungen, wenn das möglich ist.

Was kann die Führungskraft noch tun?

Sie sollte alles unternehmen, die Voraussetzungen für die Stabilisierung und Entwicklung von Selbstmotivation zu schaffen. Nach der „Selbstbestimmungstheorie der Motivation“ müssen drei notwendige Voraussetzungen gegeben sein, damit Motivation im Homeoffice entsteht: Erstens müssen die Beschäftigten im Homeoffice überzeugt sein, in ihrem Bereich autonom und nicht fremdbestimmt handeln zu können. Unzumutbare oder unsinnige Aufgaben, die man eigentlich ablehnt, verändern ihren Charakter auch in der Entfernung zur gewohnten Arbeitsstätte nicht. Zweitens muss den Mitarbeitenden auch jetzt klar sein, dass sie mit ihrem Tun etwas bewirken können, was der gemeinsamen Sache dient. Eventuell muss ihnen das auch unterstützend verdeutlicht werden. Deshalb sind Rückmeldungen des Teams sowie Feedback der Führungskraft weiterhin wichtig. Etwas entsprechend den Ansprüchen bewirken zu können, setzt im Regelfall voraus, dass eigene Stärken eingebracht werden können und die Beschäftigten geeignete Arbeitsmittel haben. Drittens muss der oder die Einzelne die eigene soziale Eingebundenheit weiterhin wahrnehmen können.

Wie sieht diese soziale Eingebundenheit konkret aus?

Es braucht einen regelmäßigen Kontakt zum Team und immer wieder einmal zur Führungskraft. Auch wenn relativ isoliert voneinander fachinhaltlich gearbeitet werden kann, ist ein Erfahrungsaustausch zum Umgang mit der Situation untereinander wichtig. Dazu könnte die Organisation unterstützend beitragen, sofern eine Plattform vorhanden ist, auf der Beschäftigte ihre Erfahrungen austauschen. Im Kern geht es jetzt darum, voll auf intrinsische Motivation zu setzen. Sie ist für das eigene Wohlbefinden und Leistungsstärke immer wichtig, aber in Krisensituationen besonders gefragt. Da ich als Führungskraft mit einem weitgehend im Homeoffice arbeitenden Team sowieso nur einen eingeschränkten Einfluss habe, sollte ich alles tun, um demotivierende Arbeitsbedingungen zu minimieren und eine Selbstmotivation zu ermöglichen.

Was ist bei einer mediengestützten Führung aus der Distanz zu beachten?

Es zeigt sich immer wieder, dass die Wahl des richtigen Kanals erfolgskritisch für die Arbeit im Team und für seine Kohäsion ist. Je wichtiger die Informationen oder Emotionen sind, die vermittelt werden sollten, desto wirkungsvoller sollte die Technologie sein. Videokonferenzen stehen hier an der Spitze des Technologie-Rankings, da auch schwierige Themen in Echtzeit nicht nur diskutiert, sondern sogar entschieden werden können. Sofern Bild und Ton authentisch transportiert werden, bekommen wir das heutige Maximum an Nähe zum Face-to-Face-Austausch. Ist die virtuelle Zusammenkunft gut vorbereitet, d.h. alle kennen das Ziel und sie wird geschickt moderiert, dann ist sie ein starkes Tool, das nicht nur zur Problemlösung beiträgt, sondern auch das Gemeinschaftsgefühl fördert. Chats eignen sich für überschaubarere Themen und möglichst schnelle Abstimmungen, Kollaborationstools zum gemeinsamen Schauen, wie weit der Einzelne mit seinem Part ist, oder um zusammen an einer Sache zu feilen. E-Mails sind sehr gut für Fachinfos und Kurzfeedbacks zwischen zwei, drei Personen geeignet, aber auch, um etwa nach Meetings die wichtigsten Ergebnisse zentral und ggf. mit formaler Verbindlichkeit zu kommunizieren. Diejenigen, die nach agilen Prinzipien arbeiten, werden weiterhin ihre Backlog-Verwaltungstools lieben oder verdammen. Viele Anbieter haben zudem Kanäle für die Echtzeitkommunikation untereinander im Programm, ein schnelles Auflegen von Videokonferenzen inklusive. Die genannte Studie berichtet hier aber auch: Das beständige Umherspringen auf allen Kanälen ist unproduktiv.

Und das Telefon?

Das Telefon bietet sich als einfachere Alternative zur Videokonferenz an, es ist zudem datenschonender. Laut dem Online-Nachrichtenportal Futurezone – Stand August 2019 – verbraucht man für eine Minute Telefonieren mit WhatsApp 0,3 MB, bei einer Videotelefonie 4,5 MB, Audio-Dateien ca. 0,2 MB. Zum Vergleich: Eine kurze Textnachricht verbraucht ein KB. Emojis fallen nicht ins Gewicht. Sinnvoll ist das Telefon aber auch für vertrauliche Gespräche. Videoübertragungen können einen Einblick in die Privatsphäre erlauben, da nicht jeder einen neutralen Arbeitsplatz präsentieren kann. Dieses Problem gibt es beim Telefonieren nicht.

Was ist noch wichtig zu wissen?

Wie alle Tätigkeiten lebt auch die Arbeit im Homeoffice von der Normalität. Dazu gehört als erstes ein funktionierendes Equipment. Die Organisation muss sicherstellen, dass ich auf das zugreifen kann, was ich zur Erfüllung meiner Aufgaben benötige. Dazu könnten auch kurzfristige Schulungen via Video, Manual oder Telefon gehören. Sicherheitsfragen inkl. Software sind ebenfalls ein Thema. Steht das, ist es vordringlich, einen persönlichen Rhythmus zu finden, der aber auch für andere passt. Um mental richtig eingestellt zu sein, empfehle ich auch, sich den eigenen Arbeitsplatz möglichst professionell einzurichten. Dazu könnte auch gehören, eine Kleidung zu wählen, die dem Arbeitskontext noch entspricht. Erinnern wir uns hier an das Bonmot von Karl Lagerfeld: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Gilt dies für die Arbeit nicht erst recht? Aber ihn ahne schon: Dieses Thema ist vermintes Terrain.

Worauf müssen Führungskräfte sonst noch achten?

Führungskräften empfehle ich, zum einen via E-Mail oder Video mit dem gesamten Team zu kommunizieren, zum anderen aber auch, die Kommunikation klassisch über das Telefon mit einzelnen Teammitgliedern zu suchen. Dabei geht es dann eher um das große Ganze. Damit zeigen Führungskräfte einerseits, dass niemand allein gelassen wird, sie werden aber auch selbst aus erster Hand informiert. Am Ende des Anrufs sollte deutlich geworden sein, dass sie für die Mitarbeitenden jederzeit erreichbar sind, wenn diese das Bedürfnis haben, mit ihnen zu reden. Führungskräfte sollten sich also in der neuen Situation nicht nur allein als Koordinator sehen und ansonsten auf das Selbstmanagement setzen, sondern zumindest anbieten, auch auf die individuelle Situation der Mitarbeitenden in dieser außergewöhnlichen Zeit eingehen zu wollen. Generell gilt, in dieser dynamischen Situation beständig zu überprüfen, was gut funktioniert und was warum nicht. Daraus kann man lernen. Und man sollte diese Erfahrung mit anderen in der Organisation virtuell teilen können. Kritisch ist zu überprüfen, ob die Ziele, die vorher schon vorhanden waren oder jetzt neu gesetzt werden, eingehalten werden können. Hier steht die Führungskraft in der Verantwortung, einen realistischen Blick zu haben. Laufen in der Organisation variable Vergütungssysteme, müssen auch diese überprüft, angepasst oder ausgesetzt werden. Dazu bedarf es dann einer breiteren Diskussion.

Wenn Sie weiter blicken: Was bleibt am Ende?

Wir werden einiges über das Arbeiten im Homeoffice gelernt haben, über die Voraussetzungen dafür, über die Leistungsfähigkeit der Technologien mitsamt ihren Anwendungstools und über erreichbare Ergebnisse. Aber auch einiges zu virtuellen Teamdynamiken, psychischen Belastungen und befreienden Erlebnissen. Das wäre ohne diese Pandemie nicht so schnell möglich gewesen. Daraus sollten wir unsere Lehren ziehen, organisationsseitig und individuell. Dann werden wir besser verstehen, unter welchen Bedingungen Homeoffice bzw. ein hybrides Homeoffice zukünftig weiter reüssieren kann bzw. inwieweit das vertraute Büro neue Zuneigung erfahren hat. Und wir werden festgestellt haben, dass das Homeoffice Grundanforderungen an Führungskräfte, die Führende und nicht nur Leitende sein wollen, nicht außer Kraft setzt.

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Der Interviewte Der Diplom-Volkswirt und Diplom-Psychologe Dr. Jürgen Weibler ist Professor für Betriebswirtschaftslehre, Schwerpunkt Personalführung und Organisation, an der FernUniversität Hagen. Auf dem Internetportal Leadership Insiders verbindet er Erkenntnisse der Führungsforschung mit der Führungspraxis.



31.03.2020
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