Kurt Steffenhagen

Über den Unterschied zwischen Führung und Eierkochen

Kurt August Steffenhagen könnte man als den père terrible der Beraterszene bezeichnen. Auf Facebook kommentiert er Führungsfragen hart und selten herzlich. Dabei ist der erfahrene Coach eigentlich im Ruhestand und betrachtet mit wachem Geist von Genua aus das aktuelle Führungs- und Beratungsgeschehen im deutschsprachigen Raum. Jüngst hat er seine langjährigen Beobachtungen zusammengefasst: In seinem Buch „Management by Farce“ provoziert er, aber nicht um der Provokation willen, sondern um wachzurütteln. managerSeminare sprach mit ihm über seine Kernbotschaften.

Herr Steffenhagen, Ihr Buch trägt den Untertitel „Der feine Unterschied zwischen Führung und Eierkochen“. Sind Sie der Meinung, dass der nicht gesehen wird und Führung als ebenso einfach machbar betrachtet wird wie das Kochen eines Eies?

Kurt-August Steffenhagen: Ja, beim Eierkochen geht man von festen Regeln aus, die sich aus der klassischen Physik ergeben. Die klassische, Newton’sche Physik funktioniert nach dem Ursache-Wirkungs-Prinzip, unterstellt feste Größen und die Erklärbarkeit von Phänomenen. Das heißt, wenn man dies tut, wird als Folge davon das geschehen. Insofern muss man nur das Richtige tun, und das Ei ist, wie man es haben will. Das nennt man ein Rezept anwenden… Dieses mechanistische Denken ist für den Umgang mit Menschen, für Führung und Management unzulänglich und eine der wesentlichen Ursachen des Leids, das Mitarbeiter erleben.

Und Ihrer Beobachtung nach wird Management und Führung zu häufig rezeptartig angewandt?

Steffenhagen: Management und Führung lassen sich heute nicht mehr auf richtig/falsch herunterbrechen. Die Faktoren, die über Erfolg und Misserfolg bestimmen, sind heute zu vielfältig. Man braucht nur zwei Faktoren herauszugreifen, die der Rezepteseuche entgegenstehen: Zum einen sind es die Menschen, die nicht in ein Raster passen, sie sind eben nicht vorausberechenbare fixe Faktoren. Zum anderen sind es die gesellschaftlichen Entwicklungen, verbunden mit wirtschaftlichen Umwälzungen im Kurzzeitrahmen, die nicht oder kaum einschätzbar sind und deshalb als feste Größen, die mit einem Rezept behandelt werden können, nicht tauglich. Das Ergebnis von Handeln ist eben nicht wie beim Eierkochen stringent vorhersehbar. Das wird in der Regel im Management in puncto Führung nicht so gesehen - dieser „feine Unterschied“ im Denken wird nicht reflektiert und ist letztlich nicht erkannt. Bekannt ist er vielleicht, aber das bedeutet ja nicht beherzigt...

Worin zeigt sich dieses Denken aktuell?

Steffenhagen: Dieses simpel-monokausale Denken zeigt sich aktuell beispielsweise in den vielfältigen Reisen der Mitarbeiter deutscher Unternehmen nach Silicon Valley. Man glaubt, hinter das Rezept des Erfolgs zu kommen. Das ist 17. Jahrhundert… oder salopp gesagt, wie die mittelalter-liche Suche nach dem Alchemisten, der das Rezept hat, wie man Gold macht.

Wie kommt es zu dieser simplifizierten Sicht auf Führung?

Steffenhagen: Die Thesen über das Funktionieren der Welt wurden im 17. bis 19. Jahrhundert erstmalig aufgestellt, in der Zeit der Aufklärung, als man sich von den vagen, mystischen Vorstellungen des Mittelalters abgrenzen wollte und sein Heil darin suchte, alles „logisch“ und letztlich simpel, das heißt eindimensional wie das Eierkochen zu erklären. Stellvertretend für diese Gedanken im Management steht das markante und das Managementhandeln in der Praxis bis heute in großen Teilen bestimmende Buch „The principles of scientific management“ von F. Taylor, ge-schrieben 1911. Krasses Beispiel für den Taylorismus ist die als ehern angenommene Hierarchiestruktur, die heute noch immer geltende „heilige Ordnung“, wörtlich übersetzt, und Vermutungen über Menschen, die man aus heutiger Sicht nur abstrus nennen kann. Der Grundgedanke der Aufklärung, endlich das Unwägbare erklärt zu haben, und die freudige „Entdeckung“ des Rationalen bimmelt auch heute noch in den Köpfen unserer Gesellschaft. Und das, obwohl die Realität längst dagegen spricht: Beispiele gibt es zuhauf wie etwa die überraschenden Marktentwicklungen von Facebook, Google oder politische Entwicklungen wie die Radikalisierung, die alle nicht simplifiziert „logisch“ wie das Eierkochen erklärbar sind… außer natürlich am Biertisch…

Wie müssten Ihrer Ansicht nach Führungskräfte ausgebildet werden, damit sie in unserer digitalen, hoch komplexen, ambivalenten, unsicheren Zeit gute Führungskräfte sein können?

Steffenhagen: Um diese Frage zu beantworten, müsste man zunächst den Begriff „Führung“ bzw. „Führungskraft“ definieren. Dieser Begriff steht im engen Zusammenhang mit der Agilität, der sich wandelnden Struktur der Unternehmen und ist somit aktuell zu einem schwankenden Boden geworden. Hätten Sie das vor 40 Jahren gefragt, wäre diese Frage einfach zu beantworten gewesen, hätte allerdings heute ihr Verfallsdatum längst überschritten. Mein vorläufiges - „vorläufig“ ist die Konsequenz meiner Gedanken, ich könnte auch sagen „aktuelles“ - Credo zum Thema Entwicklung von Akteuren lautet: nicht ausgebildet, sondern vorbereitet sein. Das ist ein feiner Unterschied.

Erklären Sie den.

Steffenhagen: Der gut Ausgebildete wird alles richtigmachen, nur ist das „Richtige“ in einer fließenden Welt so, als bände man das Ruder eines Schiffes auf einen Kurs fest. Auf dem Holzweg des „Richtigen“ finden wir die Tränen des CEO von Nokia, der beim Niedergang seines Unternehmens bekannte, er habe alles richtiggemacht, nur hat es nicht funktioniert. Nicht die Ausbildung der Akteure zählt am Ende des Tages, sondern Einsichten, Erkennen von Prinzipien, des Ganzen, soweit es möglich ist, nicht die Anwendung von Regeln. „Vorbereitet sein“ ist letztlich eine Wachheit und nicht ein Koffer voller Rezepte. Mir fehlt in der gängigen Ausbildung der Hinweis auf die Relativität der Regeln, es wird immer noch zu viel „Wahrheit“ verkauft.

Welche „Wahrheiten“ meinen Sie?

Steffenhagen: Nehmen wir die Auffassungen darüber, wie oder was Menschen sind, die ganzen Psychologismen. Ich nenne diese Aussagen, die da bis dato gelehrt werden, in meinem Buch „Vermutungen über Menschen“. Etwas anders sind sie bei seriöser wissenschaftlicher Betrachtungsweise nicht. Thesen werden alternativlos präsentiert, die eigene Idee wird als „richtig“ dargestellt. Beispiele hierfür finden sich in der endlosen Ratgeberliteratur, z.B. zum Thema „Motivation“ oder ähnlich zum Thema „Zukunft“ oder auch in Erklärungsmodellen wie dem NLP. Zu dieser haltlosen Präsentation sind sich auch populistisch agierende Professoren nicht zu schade, und sie finden Eingang in die Ausbildung junger Akteure im Management.

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Steffenhagen: Man könnte in der Ausbildung daran gehen, Hintergründe zu hinterfragen. Das kann man allerdings nur bedingt lernen, das ist Übung, die nicht zu verwechseln ist mit Erfahrung. Erfahrung hatte der CEO von Nokia auch… Und wie wenig das Management darin geübt ist, Althergebrachtes zu relativieren, zu hinterfragen, zu verändern, steht in den Klageliedern derjenigen, die die alten Tanker im Management drehen wollen. Wissen ist jedoch immer statisch, es vermittelt Regeln und kaum Prinzipien, und es beruht meist auf dem Denkmodell der Logik, wobei es andere Abbilder der Realität gibt, etwa das systemische oder das konstruktivistische Denken. Nur lässt sich die Ausbildung nur ungern stören. Wenn auf einem Zertifikat - nur mal so gedacht - stünde: „Der Kandidat ist geübt im Denken“, tja, das würde keiner so richtig toll finden.

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Der Interviewte: Kurt August Hermann Steffenhagen war über 25 Jahre Berater und Coach im internationalen Top-Management. Sein Thema ist der Paradigmenwechsel im Denken des Managements. Sein Buch zu diesem Thema heißt „Management by Farce: Der feine Unterschied zwischen Führung und Eierkochen“ und erschien kürzlich im BusinessVillage Verlag. Darin entlarvt er veraltete Methoden, Ansichten und Vereinfachungen. Kontakt: www.kurt-steffenhagen.de

Foto: Ulrich Hinsen, Köln

Anmerkung: In der September-Ausgabe von managerSeminare erscheint ein ausführliches Interview mit Steffenhagen.
22.06.2017
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