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Übersicht AnsprechpartnerAus Pathfinder wurde #WorkX19. Das Netzwerk Intrinsify musste sein Anfang September 2019 zum zweiten Mal stattfindendes Festival kurzfristig umbenennen. Doch das X passte gut zu einer Veranstaltung, auf der das Thema New Work aus X Perspektiven beleuchtet wurde.
Ein Beitrag von Sylvia Jumpertz
Doch, das muss es sein ... Wer am Morgen des 7. Septembers 2019 auf dem Gelände der Zeche Zollverein in Essen die Industriehalle fünf ansteuert, um dort beim Pathfinder Festival des New-Work-Netzwerks Intrinsify einzuchecken, erlebt erst mal eine Überraschung. Statt „Pathfinder Festival“ steht „Work[X] Festival“ auf den bunten Pappaufstellern, den Broschüren – und später, beim Start der Veranstaltung, auch auf der großen Beamerwand über der Bühne.
Moderator Florian Städtler, ortsgerecht mit Schutzhelm und Grubenlampe auf die Bühne tretend, befreit die rund 500 Besucher des Festivals – ein bunter Haufen aus Beratern, Trainern, anderen Selbststständigen, Personalern, Unternehmern, Führungskräften und Studenten – rasch vom Rätselraten: „Wir fanden den Namen Pathfinder klasse, jemand anders fand den aber klasser.“ Heißt: Den Namen gab es schon im Markenregister, das Intrinsify jedoch – „dummer Anfängerfehler“ – versäumt hatte, zu prüfen. Statt sich auf einen langen juristischen Streit einzulassen, machten die beiden Gründer Mark Poppenborg und Lars Vollmer lieber kurzen Prozess – und aus Pathfinder Work[X].
Flexibilität gehört bei einer New-Work-Veranstaltung selbstredend dazu. Und cool muss sie auch sein. Die Veranstaltungslocation jedenfalls bringt dem Festival auf der Coolness-Skala schon mal Punkte ein. Denn durch das Essener Zechengelände weht der Atem längst vergangener Malocherzeiten. Industriekultur pur. Das stimmt aber auch nachdenklich. Denn es erinnert daran, dass „das, was heute hip, morgen gähn ist“, wie Moderator Städtler es ausdrückt – kurz bevor er seinen Grubenhelm ablegt.
Die roten Sneakers behält er freilich an. Denn hipp geht es an den beiden Tagen natürlich trotzdem zu. Deshalb fehlen auch die typischen Ingredienzien eines zum Festival erklärten Kongresses nicht: „instagrammable“ bunte Pappaufsteller mit coolen Sprüchen, Sitzkissen und -kuben, Liegestühle, igluartige weiße Aufblas-Zelte, in denen Barcamp-Sessions stattfinden. Intrinsify hat – wie so viele aktuelle New-Work-Veranstaltungen – in Sachen Style einen beherzten Griff in die New-Work-Kongress-Klischee-Kiste gewagt. Dabei ist die Veranstaltung inhaltlich eigentlich darum bemüht, New Work zu erden, etwa von falschen Glaubenssätzen oder Zwangsvorstellungen zu befreien.
So gehen etwa die beiden Instrinsify-Köpfe Poppenborg und Vollmer in ihren Keynotes mit manch seltsamer Blüte ins Gericht, die sie in der New-Work-Community – und durchaus auch bei sich selbst - wahrnehmen. Mark Poppenborg etwa gesteht zur allgemeinen Erheiterung: „Ich habe festgestellt, dass ich eine Unkonventionalitätspolizei im Kopf habe“. Also einen inneren Kritiker, der dauernd fragt, ob das eigene Verhalten denn auch wirklich unkonventionell genug ist. Das ist natürlich maximal paradox.
Paradox ist es aber auch, wenn New-Work-bewegte Berater wie eine „Selbstbestimmungspolizei“ durch Firmen patrouillieren und die Qualität der Zusammenarbeit dort streng daran messen, ob sie denn „auch wirklich selbstbestimmt genug“ ist. Ein Verhalten, das Lars Vollmer auch bei sich selbst in früheren Jahren wahrgenommen haben will. Dabei ist das total paternalistisch, übergriffig und sogar gefährlich, findet er. Weil kein Mensch, der von anderen gesagt bekommt, was er zu tun hat, im Angesicht von Problemen noch ausreichend Innovationsgeist entwickeln wird. Und weil keiner angesichts des Fehlens – oder eben des eigenen Nicht-Wahrnehmens – von Problemen etwas dazulernen wird.
Trotzdem ist Selbstbestimmung für Vollmer nach wie vor die Quintessenz neuen Arbeitens – und nicht nur das: „New Work ist viel zu bedeutsam, um es nur auf die Arbeit zu beschränken“, sagt er. Will heißen, das Thema soll jetzt auch auf eine breitere, gesellschaftliche Ebene gehoben werden: Was könnte man tun, damit Menschen auch in ihrem Privatleben, als Bürger, die Dinge selbstbestimmt in die Hand nehmen? Darüber debattieren sie auch in einer internen Intrinsify-Mitglieder-Runde auf dem Festival. Vollmers persönliche Antwort auf die Frage lautet: Wir müssen weg von der „Helikopter-Gesellschaft“, die durch ihre Regelungswut – Impfpflicht, Mietpreisbremse, Lebensmittelampel ... – Menschen zu sehr in Watte packt und ihre Eigeninitiative erstickt. Denn Vollmer ist überzeugt: Wenn unternehmerisch motivierte Menschen Ideen ausspinnen und umsetzen können, dann springt dabei auch Gutes für die Gesellschaft heraus.
Darüber, ob ein von Regeln und Gesetzen möglichst unbehelligtes Unternehmertum tatsächlich die Lösung für unsere komplexen sozialen und auch ökologischen Probleme ist, kann man natürlich streiten. Das Festival allerdings bestätigt Vollmer insofern, als es tolle Einzelbeispiele von Menschen liefert, die tatsächlich – ganz selbstbestimmt – erfolgreich soziale oder ökologische Probleme anpacken. Etwa Pascal Biesenbach, der in seinem Impulsvortrag von seiner Wuppertaler Initiative „Aufbruch am Arrenberg“ erzählt, die das Ziel hat, einen klimaneutralen Stadtteil zu schaffen.
Und auch das zeigt sich bei der Veranstaltung: Menschen können selbst innerhalb hochgradig erstarrter Unternehmensstrukturen viel bewirken, wenn sie mutig die Initiative ergreifen. Wenn sie beispielsweise Unternehmensregeln illegal unterlaufen und gerade dadurch die Organisation am Laufen halten. Über solche „heimlichen Hochleistungsinseln“ spricht beim Festival der Systemtheoretiker Gerhard Wohland. Er ist so etwas wie der inoffizielle Starredner der Veranstaltung. Ein echter „Typ“, mit kantigem Humor. Als Wohland seinen Impulsvortrag über die „Konsequenzen hoher Dynamik“ hält, platzt der Raum aus allen Nähten, outet sich die Moderatorin der Session gar als – O-Ton –„Fangirl“.
Was Wohland dann tut, ist, solide, wissenschaftlich fundierte Kost liefern, die den stark aufgeladenen Begriff New Work systemtheoretisch erdet. Denn, worum geht es in den Unternehmen heutzutage angesichts von Komplexität, Volatilität und Co. eigentlich? Es geht, so Wohland, um Dynamikrobustheit. Also um die Fähigkeit Überraschungen zu erzeugen, „um die Konkurrenz zu nerven“ und flexibel auf Überraschungen zu reagieren. Das aber können aus Wohlands Sicht nur Menschen, nicht etwa Methoden, denn: „Nur Menschen können auf Probleme mit problemlösenden Gefühlen reagieren.“
Wie man es schafft, den im Kontext von New Work so wichtigen Regelbruch auch legal hinzubekommen, das erklärt Mark Poppenborg in einer Trainingssession, die in Sachen Zulauf der Wohland'schen kaum nachsteht. Die Teilnehmer stehen sich fast schon auf den Füßen. Auch Poppenborg bemüht die Systemtheorie. Denn mit der lässt sich gut erklären, warum es Unternehmen so schwer fällt, sich von alten Zöpfen zu lösen: Es liegt daran, dass Organisationen aus Regeln bestehen. Regeln, die auch dann noch bindende Kraft haben, wenn sie ihren Nutzen längst verloren haben und wenn die Menschen in der Organisation längst andere sind, als diejenigen die die Regeln eingeführt haben. Poppenborgs Rat: Man sollte die Regeln probehalber weglassen, in kleinen Schritten, um schließlich pragmatisch zu schauen: Klappt die Arbeit so tatsächlich besser? Dazu allerdings braucht es einen Schutzraum. Etwa einen Sponsor, der den Mitarbeitenden die Garantie gibt, dass ihr Regelbruch keine negativen Konsequenzen hat.
Was also ist New Work? Das große Change-Programm? Die humanistische Grasroot-Bewegung? Oder genau das – der unspektakuläre kleine Veränderungsschritt, das probeweise Weglassen von Regeln? Beim Festival wird klar: Das eine New Work gibt es nicht. New Work hat tatsächlich x Facetten.
Daraus erklärt sich auch die enorme Vielfalt des Programms: Es gibt Sessions über Transformationsprojekte in Unternehmen. Sessions über einen klügeren Umgang mit digitalen Hypes. Sessions über zeitgemäßes Employer Branding, Life Planning, den Umgang mit Bitcoins, das Erreichen persönlicher finanzieller Unabhängigkeit, die Bewältigung innerer Blockaden und und und ... All das scheint auf den ersten Blick nicht viel miteinander und zuweilen auch nicht viel mit New Work zu tun zu haben. Doch aus Intrinsify-Sicht gehört die Frage, wie das Individuum fit wird für die neue (Arbeits-)gesellschaft nun mal genauso zu New Work wie Fragen der Arbeitsgestaltung in Unternehmen.
Das Feuerwerk an Inputs überfordert manchen gleichwohl fast schon – was der Veranstalter allerdings vorausgeahnt hat. Deshalb gab es für die Teilnehmenden auch das Angebot, vor dem Festival online ein paar Fragen zum persönlichen Background zu beantworten. Aus denen haben die Organisatoren dann in mühevoller Kleinarbeit für jeden einen persönlichen, an eigenen Interessen orientierten „Reiseplan“ durchs pralle Programm erarbeitet. Manche werden das Gefühl, etwas zu verpassen, trotzdem nicht los. Dafür gibt es einfach zu viele Überschneidungen im Programm. Zum Glück bilden da die „Reisegruppen“, denen man ebenfalls vom Veranstalter zugeordnet worden ist, immer mal wieder einen ruhigen Ankerpunkt. Man trifft sich zu regelmäßigen Zeiten mit den Angehörigen seiner Gruppe, um sich über Erfahrenes und Erlebtes auszutauschen. Ein Angebot, das fleißig genutzt wird.
Dass es auch kleine Pannen gibt, kann kaum ausbleiben bei einer Veranstaltung, die den Mut hat, auch mit einer Fülle an Formaten zu experimentieren. Bei den Expertengesprächen – Einzelcoachings, die man als Besucher bei verschiedenen Session-Gebern buchen kann und die ganz intim in einer Halle hinter großen, aufgespannten, am Boden liegenden Schirmen stattfinden, kommt es schon mal vor, dass Coach oder Coachee nicht zur vereinbarten Zeit vor Ort sind. Nicht jede Session im für Interaktives ausgewiesenen Trainingsraum ist tatsächlich interaktiv. Die Barcamp-Sessions in den Zelten leiden oft unter der Umgebungslautstärke.
Auch geht manche charmante Idee nicht vollständig auf, wird manche Erwartung nicht ganz erfüllt. So passen die musikalischen Beiträge des „Management-Gurus“ Reinhard Sprenger, der als Überraschungsgast am Abend auf der Zechenparty mit seiner Band auftritt, in ihrer eher ruhigen Tonart nicht so ganz zur hyper-hippen Partyatmosphäre. Zumindest nach dem Geschmack einiger Teilnehmer. Die Plenums- und Impulsvorträge, einschließlich anschließender „Vertiefungsgarage“, in der man den Referenten in kleinerer Runde mit Fragen löchern kann, wiederum liefern zwar viel solides Wissen und Stoff zum Nachdenken. Der überraschende große neue Wurf aber bleibt aus. Der Stimmung tut das alles keinen Abbruch. Welcher New-Work-Begeisterte würde auch Experimente krumm nehmen?
Foto 1: Den bunten Pappaufstellern entkommt man beim Festival nicht. Sie stehen an jeder Ecke.
Foto 2: Treffen der „Reisegruppen“ in der Halle, in der auch die Barcamp-Sessions in igluartigen Zelten stattfinden.
Foto 3: Um den Teilnehmenden den Weg durchs Programm zu erleichtern, hat sich der Veranstalter etwas einfallen lassen: Jeder Besucher konnte sich seinen individuellen Pfad durchs Festival ausarbeiten und auf sein Namensschild „aufstecken“ lassen.
Fotoquelle: Sylvia Jumpertz