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Übersicht AnsprechpartnerVor einem Jahr erschien Christiane Brandes-Visbecks Buch „Fit für New Work". In diesem beschreibt die Beraterin Trends und Tools der neuen Arbeitswelt wie Coworking, agiles Arbeiten, Digital Leadership und Selbstorganisation. Wie sie New Work inzwischen wahrnimmt, erzählt die ehemalige Journalistin auf der Frauenkarrieremesse herCAREER sowie vorab hier im Interview.
Gastbeitrag von Jane Uhlig, herCAREER
Frau Brandes-Visbeck, wie sehen Sie die Entwicklungen in der Arbeitswelt seit Ihrer Buchveröffentlichung?
Es zeigt sich ein sehr diffuses Bild. New Work scheint ein echtes Buzzword zu sein. Die Unternehmen, die auf Trends und Innovation setzen, haben es auf dem Schirm. Aber zu sagen: wir duzen uns, tragen Sneakers, haben einen Kickertisch im Büro stehen, ändert noch lange nichts. Das ist nur Makulatur. Solche Unternehmen bringen New Work in Verruf. Und Bewerber sind dann enttäuscht, weil aus der versprochenen New-Work-Kultur doch nichts wird. Jene Unternehmen aber, die es ernst meinen, arbeiten sinnorientiert, selbstorganisiert und mit weitgehend hierarchiefreier Kommunikation. Diese Neuausrichtung nimmt viel Zeit in Anspruch und wird als anstrengend empfunden. New Work ist sinnvoll, aber natürlich kein Heilsbringer.
Was genau verstehen Sie unter New Work?
Ich verstehe darunter, sinnorientiert und zielgerichtet zusammenzuarbeiten, um bei maximaler Menschenorientierung maximalen Output zu generieren, und gleichzeitig dazuzulernen, um mitgestalten zu können.
Der Urheber des Begriffs New Work ist Frithjof Bergmann, der gemeint hat: Arbeit sollte zu einem Drittel dem Broterwerb dienen, zu einem Drittel der Selbstversorgung und zu einem Drittel dem, was man wirklich, wirklich will. Damit hat die heutige Realität wenig zu tun. Sehen Sie dennoch eine ableitbare Vision in seinem Ansatz?
Ja, in der Sinnorientierung. Bergmann ging davon aus: Arbeiten die Menschen sinnhaft, sind sie motivierter. Sie müssen Dinge gestalten und mitentwickeln dürfen und auch das Vertrauen erhalten, dass sie es gut hinbekommen. Und eben die Möglichkeiten, zu tun, was sie wirklich, wirklich wollen. Für Führungskräfte ist hier das Loslassen ein wichtiges Thema. Sie sollten mehr vertrauen und nicht ständig den Mitarbeitern über die Schulter schauen. Das ist schwer, denn gefühlt tragen sie weiterhin die Verantwortung, wenn etwas schief geht. Im alten Kontext war es auf jeden Fall der Chef, im neuen ist es der Einzelne. Diese Veränderung überfordert viele. In klassischen Unternehmen, in denen Fehler bestraft und Sündenböcke gesucht werden, will natürlich niemand die Verantwortung übernehmen. Solange das alte Mindset in einem Unternehmen vorherrscht, ist Verantwortung eine gefährliche Sache. Solange die Bestrafungsmentalität in Unternehmen vorherrscht, gibt es keine positive Fehlerkultur.
Das klingt ernüchternd.
Das ist auch ernüchternd, aber das ist oft die Realität. Es ist blauäugig zu glauben, New Work sei hipp und voller Glamour. Ich finde es verantwortungslos, wenn Unternehmen ihre Leute in die intrinsische Motivation bringen wollen, nur damit sie noch länger und härter arbeiten. Es gibt diese Tendenz, dass Manager New Work cool finden, weil sie sich damit mehr Output erhoffen. Natürlich wird das Spiel früher oder später durchschaut. Mitarbeiter lehnen dann New Work ab, weil sie – sicherlich zu Recht – Nachteile für sich befürchten.
Wenn Sie sich die Entwicklungen in der Arbeitswelt ansehen: Welchen weiteren Irrtümern unterliegen Unternehmen derzeit in Sachen New Work?
Sie betrachten New Work tendenziell eher als Methode und nicht als Mindset. Beim Mindset muss man bei sich selbst anfangen: Es geht um Selbstführung. Wenn ich nicht bereit bin, umzudenken, neue Regeln zu entwickeln und innovative Dinge umzusetzen, dann macht es auch keinen Sinn, dies von anderen zu fordern. Oft ist es so: Das Unternehmen zieht in schöne funktionale Büros, doch die Aufträge und Arbeitsweisen werden weiterhin vorgegeben – wie im klassischen System.
Wie sieht das bei Startups aus?
Es ist ein Mythos, dass Startups new-work-affin sind. Startups sind, wenn sie erste Finanzierungsrunden überstanden haben, oft sehr hierarchisch organisiert und leben kein New Work. Sie müssen liefern, haben keine Kapazitäten für die Selbstverwirklichung der ersten Angestellten. Auch die Gründer machen sich meist keine Gedanken um die Unternehmenskultur – sie wollen PS auf die Straße bringen und kümmern sich um die Interessen der Investoren.
Sie schreiben in Ihrem Buch: „Zu New Work gehört ein gesteigertes Bewusstsein darüber, in welchem Umfeld wir leistungsfähig sind.“ Also was und wie wir arbeiten wollen. Ist es Aufgabe der Unternehmen, ihren Mitarbeitern und Führungskräften Selbstreflexion zu ermöglichen?
Ja, unbedingt. Wenn ich möchte, dass Menschen zusammenarbeiten, müssen sie sich selbst reflektieren können. Erst dann macht es Sinn, eine gemeinsame Basis und eine Vision zu entwickeln. Um danach zu schauen, was der eigene Beitrag für diese Vision ist und was man braucht, um ihn zu liefern. Dazu gehört für mich 100-prozentig, Zeit und Möglichkeiten zur Reflexion zu geben. Viele Unternehmen setzen aktuell auf sich selbstorganisierende Systeme. Aber der Übergang von einem System zum anderen ist nicht reibungslos. In sehr flexiblen, projektorientierten Teams etwa herrscht ständige Unruhe. Die Menschen müssen lernen, mit wechselnden Kollegen und Situationen zurechtzukommen. Hier spart man auch erstmal keine Zeit. Daher ist es so wichtig, zu reflektieren und ein intuitives Gefühl für Teams und ihre Anforderungen zu bekommen. Früher wurden vom Qualitätsmanagement Arbeitsprozesse in Handbüchern festgelegt. Heute ist Persönlichkeitsentwicklung das A und O – das braucht mehr Zeit.
Sie schreiben, Führungskräfte wie Unternehmen sollten sich in Ambidextrie, also der Beidhändigkeit, üben. Was meinen Sie damit?
Viele Menschen können sich nicht vorstellen, dass man verschiedene Führungsstile leben kann. Aber wenn man Kinder erzieht, ist das doch auch so: Wenn alles gut läuft, können Sie entspannt sein, wenn nicht, müssen Sie Vorgaben machen. In der Arbeitswelt hat man auch mal bewährte Phasen, dann wieder Veränderungsphasen, in denen idealerweise eine Person den Lead übernimmt, die dafür passende Kompetenzen hat. Für mich ist das Ambidextrie: Mal ist man Boss, mal ist man Leader, mal erzielt man Ergebnisse, mal Innovationen. Je größer die Veränderungsdynamiken, desto flexibler muss man sein. Desto wichtiger ist es, Werte und den Purpose gemeinsam mit dem Team zu entwickeln, weil Menschen nun mal Gruppenwesen sind. In der Welt des New Work brauchen wir Vorbilder, moderne Leader mit Werten und Haltung, weil es nicht mehr so viele Regeln und Strukturen gibt.
Ist Kontrolle in der neuen Arbeitswelt obsolet?
Die starke Prozessorientierung der 80er und 90er Jahre hat viele Spielräume weggenommen, die schon mal vorhanden waren. Querdenker sind bei immer gleichen Abläufen nicht erwünscht gewesen. Ich glaube, New Work im besten Sinne ist dazu eine Gegenströmung, ein Erinnern daran, dass wir wieder menschlicher arbeiten sollten. In bestimmten Kontexten brauchen wir aber auch weiterhin Kontrolle, fixe Prozesse und Vorgaben. Auch bei einer positiven Fehlerkultur sind gut funktionierende Abläufe wichtig. Dazu gehört auch, dass man sich gegenseitig in seinen Fehlern und Schwächen unterstützt.
Wie sehen Sie die Zukunft der Arbeit in fünf bis zehn Jahren? Wird es eher New-Work-Verlierer oder -Gewinner geben?
Es gibt immer beides. New Work ist ja kein Allheilmittel. Die Arbeit wird dadurch nicht immer besser erledigt. Aber fluide Zeiten fordern flexible Arbeitsstrukturen. Dafür brauchen wir die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel, die Fähigkeit, diverse Teams zu führen, uns ständig selbst zu hinterfragen und unsere Entscheidungen an die Realität anzupassen. Es geht darum, kleine Schritte zu tun, zu analysieren und zu adaptieren. So wie Bergsteiger.
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Die Interviewte: Christiane Brandes-Visbeck war früher Journalistin und arbeitete für Zeitschriften ebenso wie für TV-Sender. Heute führt sie die Kommunikations- und Unternehmensberatung Ahoi Consulting mit Sitz in Hamburg. Einblicke in die neue Arbeitswelt gibt sie am 11. Oktober beim Authors-Meetup auf der Frauenkarrieremesse herCAREER in München.