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Übersicht AnsprechpartnerDie Agile HR Conference 2022 (#ahrc22) präsentierte sich am 27. und 28. April 2022 gleichzeitig rund 200 Vor-Ort-Gästen in Köln und 300 HR-Profis, die online teilnahmen. Damit war der vom Beratungsunternehmen HR Pioneers organisierte Kongress eines der ersten wirklich hybriden Events der Branche. Wir waren sowohl vor Ort dabei als auch online. Genauso spannend wie die Inhalte zum Thema agile Führung war die Frage: Wie unterscheidet sich das Präsenz- vom Online-Erlebnis?
„Ich habe schon einmal an einem Online-Meeting im Schlafanzug oder ohne Hose teilgenommen.“ Gelächter, und in den Sitzreihen gehen alle Teilnehmenden in die Knie. Nur Jan Siefers, der Moderator auf der Bühne, der den Satz vorgelesen hat, macht einen kleinen Hüpfer, um Zustimmung zu signalisieren. „Ich habe schon einmal während der Arbeit ein Nickerchen gemacht.“ Jetzt hüpft Jan nicht mehr alleine, die meisten gehen jedoch wieder in die Knie. „Und wer hat Lust, mehr über agile Führung zu erfahren?“ Eine rhetorische Frage, jetzt hüpfen fast alle, geht es doch heute genau um dieses Thema.
Wahrscheinlich wird gerade nicht nur in den Kölner Balloni-Hallen gehockt und gehüpft, sondern auch vor dem einen oder anderen Bildschirm zu Hause. Denn die kleine Mittagsaktivierung ist Teil der Agile HR Conference – und die findet als Folge der Corona-Pandemie erstmals hybrid statt. Die Vorträge auf den Bühnen werden gestreamt, die parallellaufenden interaktiven Sessions finden jeweils zweimal statt. Einmal in Präsenz und einmal im Konferenztool Hopin.
Foto: Nicole Bußmann
Wir nehmen zu dritt an der Konferenz teil und können daher die Probe aufs Exempel machen. Wir können, sowohl vor Ort als auch vorm Bildschirm mithüpfen und dieselbe Session auf zwei unterschiedlichen Kanälen besuchen – zum Vergleich. „Wer macht die Nummer 8?“ ist im Online-Konferenzraum zu hören, wo das agile Tool „Taschenrechner“ gespielt wird. Die panische Reaktion: „Ich. Aber jemand muss für mich übernehmen – das Board hakt bei mir!“ Die vielstimmige Antwort aus der virtuellen Weite: „Wer ist ‚ich‘?“ Der Nachteil der Online-Zusammenarbeit offenbart sich: Zwar hört und sieht man sich, Stimme und Gesicht zusammenzubringen, ist trotzdem fast unmöglich, wenn man sich vorher nie begegnet ist.
Die praktische Zusammenarbeit in der Vorort-Version fluppt deutlich schneller. Auch hier soll ein sich unbekanntes Team gemeinsam effizient die Taschenrechner-Aufgabe lösen: möglichst schnell die in einem Feld ausgebreiteten Zahlen antippen. Während dies online per Mausklick auf einem geteilten Bildschirm passiert, stehen jetzt alle um das viereckige Spielfeld herum und hechten zur passenden Zahlenkarte. Dabei versuchen sie, sich nicht gegenseitig in die Quere zu kommen, alle zum Zuge kommen zu lassen und die richtige Reihenfolge einzuhalten, denn all das ist auch hier entscheidend für den Erfolg. Es wird gezeigt, gebrüllt und sich angestupst. Der Ehrgeiz, die eigene Leistung zu optimieren, ist im analogen Setting wie im virtuellen Setting sehr groß, der Erfolg analog ein bisschen größer.
Das Beispiel muss man freilich nicht überinterpretieren. Aber zumindest zeigt es: Virtuell ist nicht gleich analog. Aber virtuell geht auch. Vom Prinzip her lässt sich online die gleiche Konferenz erleben wie in Präsenz. Das agile Ambiente kommt jedenfalls auch am Bildschirm gut rüber, wie die jeweils zwei Online-Teilnehmenden von uns finden. Wir fühlen uns mit im Raum, sehen die Kronleuchter vor unverputzten Ziegelwänden, das Farbspiel, die Aufsteller, die nur locker besetzten Kongressreihen. Die Kamera zoomt von der Bühne weg immer wieder heraus, so dass man auch das Publikum im Blick hat, und während der Vorträge werden einzelne Folien in der Totale gezeigt. Die Kameraführung bringt auch am Bildschirm Beweglichkeit in die Frontalvorträge.
Noch mehr als die professionelle Übertragung sind es die Menschlichkeiten, die uns am Bildschirm-Folgenden das Gefühl geben, nicht nur zuschauend zu sein, sondern mittendrin. Etwa der kleine Dialog zwischen Stefanie Fülöpp und Michael Terstesse vom HR-Pioneers-Team, nachdem sie den Teilnehmenden den Konferenzablauf erklärt haben und die Kamera aufs Publikum schwenkt. Sie atmen auf, Stefanie glaubt sich im Off und sagt: „Ich bin jetzt ganz entspannt“. Michael: „Ja, ich auch.“ Bis Stefanie dann irgendwannplötzlich aufmerkt: „Kann es sein, dass wir noch zu hören sind?“ Michael schmunzelt hörbar: „Ich glaube schon, ist ja aber nicht schlimm.“ Stimmt, ist es nicht, im Gegenteil.
Genauso wie das Ambiente an den zwei Tagen auf das Thema Kongresse der Zukunft einstimmt, stimmt das Programm auf die Zukunft der Arbeit ein. Unbedingt erwähnt gehört der Vortrag des Gastgebers selbst: André Häusling, Gründer und Geschäftsführer der HR Pioneers. In einer Art Blitz-Tour-de-Horizon – durchaus wörtlich gemeint, denn Häusling ist verbal flott unterwegs – eilt er durch das Feld neuer Führung. Startpunkt ist die Frage: Wie organisieren wir Führung in einer komplexen Welt? Fünf Probleme, denen wir uns aktuell gegenübersehen, macht er aus.
Foto: Nicole Bußmann
Häusling beschreibt die häufig vorherrschende Aufbauforganisation, die in Kästchen denkt, pyramidial aufgebaut ist und zunehmend an Grenzen stößt. Als Antwort darauf präsentiert er die Ablauforganisation, die agil ist und sich an der Wertschöpfung orientiert. Und auch dienpassenden Vorschläge, um Führung entsprechend anders zu denken, folgen von ihm am Mittwochnachmittag auf dem Fuße: Führung und Macht verteilen, Führungsrollen neu definieren. Und: Selbstorganisation stärken.
Ohnehin hätte der Kongress, der mit dem Thema „Anstiftung zur Führung“ überschrieben war, auch „Selbstorganisation stärken“ heißen können. Zumindest adressieren die von uns ausgewählten Slots immer wieder dieses Thema. Manchmal auch mit frustrierenden Erkenntnissen bestückt, wie etwa im Vortrag zur Holakratie, diesem durchaus komplizierten Regelwerk, dem sich seit 2018 etwa die Hälfte der Tochterunternehmen von Hypoport unterwirft. Björn Schneider resümiert: Nach vier Jahren Anwendung gibt es nur vereinzelt Verhaltensänderungen. Dennoch zeigt sich der Agile Coach von dem Rahmenwerk überzeugt: Holakratie zwingt zur Selbstorganisation. Dabei braucht Selbstorganisation zwar mehr Prozesse und Regeln als Nicht-Selbstorganisation, doch jetzt ist der Purpose der Boss.
Dass Selbstorganisation kein Selbstläufer ist, zeigen auch andere auf der Konferenz vorgestellten Unternehmensbeispiele. Anna Löw, Personal-Chefin des international aktiven IT-Unternehmens Giant Swarm, berichtet davon, dass alle Mitarbeitenden in dem schnell wachsenden Start-up nun selbst ihr Gehalt bestimmen. Und stellt einen ausgeklügelten, mehrstufigen Prozess vor, der dafür sorgen soll, dass die Selbstbestimmung nicht finanziell oder sozial aus dem Ruder läuft. Susan Salzbrenner von der Bossard Holding AG betont in ihrem Vortrag: „Alle Menschen übernehmen Verantwortung – wenn wir sie lassen und wir es schaffen, etwas in ihnen zu berühren.“ Dazu erklärt sie, wie im Traditionsunternehmen versucht wird, genau diesen Bewegungsimpuls bei den Mitarbeitenden zu initiieren. Marcus Minzlaff von den HR-Pioneers drückt es in seiner interaktiven Session so aus: „Es sollte bei Führung nicht darum gehen, Menschen mitzunehmen. Wer mitgenommen wird, bleibt wahrscheinlich passiv. Wenn es uns jedoch gelingt, Resonanz in den Menschen zu erzeugen, dann gehen sie von allein voran.“
So wird zunehmend deutlich, wie groß gerade auch die persönlichen und sozialen Herausforderungen in (weitgehend) selbstorganisierten Systemen sind. Auf einen Faktor der Zusammenarbeit, der insbesondere in (weitgehend) selbstorganisierten Systemen hier zentral ist, fokussiert Konstantin Diener vom Softwareentwickler Cosee: soziale Dichte: „Wir meinen damit, wie nah sich die Menschen emotional in einem System sind und wie intensiv die Beziehungen sind, die sie zueinander haben“, so der CTO und Informatiker. Je näher und vernetzter die Menschen im Unternehmen sind, desto eher falle auf, wenn es bei einem Kollegen nicht rund läuft, eine Kollegin Probleme hat, jemand unzufrieden oder auch nur unsicher ist – und desto schneller wird er oder sie Unterstützung erhalten. „Soziale Dichte ist das Immunsystem einer Organisation“, sagt Diener.
Diener schafft es übrigens bereits mit seinem ersten Satz, die Schmunzler und Sympathien auf seine Seite zu ziehen: „Mein erste Vor-Ort-Konferenz seit zwei Jahren – fühlt sich ein bisschen wie das erste Date an.“ Das erste-Date-Feeling haben vermutlich mehrere, zumindest halten am ersten Tag die meisten noch viel Abstand zueinander – sie sitzen voneinander getrennt, sofern sie nicht schon in Gruppen gekommen sind. Spätestens beim Bier jedoch, das in den Balloni-Hallen am ersten Kongresstag schon früh ausgeschenkt wird – 16 Uhr ist Kongressende, um den Onlinern keine eckigen Augen zu verpassen –, fallen die Masken. Die ungezwungene Kontaktbörse ist eröffnet.
Am zweiten Tag geht die Entspannung weiter: Hier lichten sich schon nach dem Mittagessen die Masken merklich, man teilt Tische ohne Zögern und kommt schnell ins Gespräch. Viele scheinen sich an die am Mittwoch noch ungewohnte Präsenz gewöhnt zu haben. „Ein Bild wie in einem Wimmelbuch“, resümiert André Häusling mit Tränen in den Augen am Donnerstag zu Kongressende.
Das Wimmelbild bleibt den Onlinern natürlich verborgen, ebenso wie die Vor-Ort-Gäste nicht in die Online-Welt eintauchen können. Das Dating – pardon – Networking bleibt in der jeweils eigenen Welt. Bedauerlich, findet Wissensmanager Simon Dückert, der sowohl Teilnehmender ist als auch einer der Inputgeber in einer der aktiven Sessions, beim gemeinsamen Mittagessen in Köln. Er hätte sich für die Vor-Gäste zusätzlich einen Zugang zur Konferenzplattform Hopin gewünscht. Noch mehr Vernetzung also. Aber ob das nicht überfordert? Auf zwei Hochzeiten tanzen, wo doch gerade das erste Dating stattgefunden hat? Anders arbeiten heißt vermutlich aber auch anders konferieren. Wie die neue Normalität aussehen wird? Die HR Pioneers haben einen möglichen Weg gezeigt.