Gastbeitrag: Interview von Stefanie Hornung, spring Messe Management GmbH
Digitale Medien schaffen eine neue Erfahrungswelt – mit Instant Messaging, Netzwerk-Identitäten, verminderter Privatsphäre und Hier-und-Jetzt-Erlebnissen. Analog dazu verändert sich auch das menschliche Gehirn, sagt die Neurowissenschaftlerin Baroness Susan Greenfield. Sie wird auf der
Messe Zukunft Personal eine Keynote halten, im Interview gibt sie bereits einen Einblick in ihre Thesen.
Was passiert eigentlich genau in unserem Gehirn, wenn wir digitale Medien nutzen?
Susan Greenfield: Wenn Menschen einen Tisch und ein Gesicht anschauen, dann lässt sich normalerweise eine viel größere EEG-Aktivität beim Gesicht als beim Tisch beobachten. Wir finden menschliche Wesen offensichtlich interessanter als Objekte. Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung hingegen zeigen eine ähnliche Reaktion auf den Tisch wie auf das Gesicht. Sie differenzieren nicht. Jetzt hat sich gezeigt, dass
starke Internetuser ein ähnliches Muster im Gehirn aufweisen wie autistische Menschen. Das legt den Schluss nahe, dass sie vielleicht ein Problem mit Empathie und zwischenmenschlichen Beziehungen haben. Da sehen wir eine direkte Veränderung im Gehirn.
Was bedeutet das für die Art und Weise, wie wir heute kommunizieren?
Eine Regierungsorganisation in Großbritannien genannt Ofcom, Office of Communications, hat vor ein paar Wochen darüber berichtet: Jüngere Menschen sind auf dem Weg, ihre Stimme zu verlieren. Der Grund: Statt miteinander zu sprechen, per Telefon oder persönlich, schreiben sie SMS oder nutzen Social Media, um zu kommunizieren.
Wir verlieren an Kommunikationsfähigkeit, wenn wir häufig digitale Medien nutzen?
Ja. Oder wir hatten sie von Anfang an nicht. Man ist nur gut in Dingen, die man viel macht. Wenn Sie nicht geübt haben, wie Sie jemanden in die Augen schauen, wo, wann und wie Sie mit anderen Menschen sprechen oder wie Sie Körpersprache interpretieren, wie können Sie dann darin gut sein?
Aber im Gegenzug können Social Media doch auch neue Fähigkeiten und Möglichkeiten eröffnen...
Wie immer im Leben ist es eine Mischung aus guten und schlechten Dingen. Wenn jemand zum Beispiel mit Videospielen die mentale Beweglichkeit trainiert, dann kann er Informationen schneller verarbeiten. Gleichzeitig werden diese Personen aber eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne haben, sich eher mit Icons anstatt mit Ideen beschäftigen und die Priorität auf die Sinne legen. Wer Action-Spiele spielt, entwickelt vermutlich eine höhere Risikobereitschaft, weil man dabei lernt, dass bestimmte Handlungen keine Konsequenzen haben. Hinzu könnten eine geringe Empathie-Fähigkeit und eine schwache Identität kommen, weshalb diese Menschen ständiges Feedback benötigen.
Als Pluspunkt von Social Media wird etwa die Demokratisierung von Wissen genannt…
Ich würde zwischen Informationen und Wissen unterscheiden. Zweifellos kann man Informationen demokratisieren, aber beim Wissen wäre ich vorsichtiger. Nur weil Diagramme auf dem Bildschirm aufblinken, bedeutet das nicht, dass wir sie verstehen, in einen Zusammenhang setzen und etwas Neues verinnerlicht haben. Informationen sind nur der Anfang. Für Wissen müssen wir aber Verbindungen zwischen den Informationen herstellen ,und das kommt nicht automatisch über soziale Medien. Vieles hängt davon ab, wie Technologie eingesetzt wird. Wenn zum Beispiel ein Freund von Ihnen nach Australien geht, dann kann Social Media von Vorteil sein, um mit ihm Kontakt zu halten.
Wenn Sie aber in sozialen Netzwerken nur mit Menschen Kontakt aufbauen, die Sie noch nie getroffen haben, können Sie Probleme bekommen: etwa, wenn Sie ein falsches Bild von sich selbst entwerfen und eine falsche Identität aufbauen.
Wenn wir größeren Wert auf die Sinne legen, bauen wir dann nicht neue Kompetenzen auf, wie etwa eine größere visuelle Empfindsamkeit?
Ja, aber auch das kann problematisch sein. Es ist immer noch am aufregendsten, unsere eigene Vorstellungskraft zu nutzen. Daher bevorzugen ältere Generationen Bücher statt Filme. Wir alle haben vielleicht schon einmal die Erfahrung gemacht, dass wir enttäuscht sind, wenn wir einen Radiosprecher zum ersten Mal sehen, weil unser eigenes Bild von dieser Person ein anderes war.
Das Schönste, was Sie für ein Kind tun können, ist, ihm eine Geschichte vorzulesen, weil es dann seine Vorstellungskraft einsetzen kann. Mit digitalen Medien ersetzen Sie das durch die Phantasie und die Bilder eines anderen, auch wenn diese vielleicht technisch sehr gut und clever gemacht sind.
Vor einigen Jahren hat der deutsche Psychiater Manfred Spitzer mit seinem Buch „Digitale Demenz” eine Debatte über digitale Medien losgetreten. Seine Überzeugung: Menschen, die übermäßig digitale Medien nutzen, zeigen ähnliche Symptome wie sie bei einer Demenz auftreten.
Mit dem Begriff Demenz wäre ich vorsichtig. Da gibt es eine klare klinische Definition, die in diesem allgemeinen Zusammenhang möglicherweise nicht zutreffend ist. Aber ja,
in der Hier-und-Jetzt-Welt der digitalen Medien, die keine tiefen Gedanken oder Reflexion erfordert, bleiben die Menschen wie Kinder. Die Handlungen von Videospielen sind wie für Kinder gemacht: Gut und Böse, Space-Invasoren oder Ritter in Rüstungen. Können Sie sich kraftvolle Geschichten wie King Lear von Shakespeare oder Romane von Jane Austen oder Kafka als Videospiel vorstellen? Natürlich nicht. Meine Meinung: Durch die Nutzung von digitalen Medien kann sich der menschliche Geist oft gar nicht voll entwickeln.
Ein weiterer Aspekt, der im Zusammenhang mit der zunehmenden Digitalisierung diskutiert wird, ist die Tatsache, dass wir uns heute nicht mehr so viele Dinge merken müssen...
Wir ändern unsere Strategien, um an Informationen zu kommen.
Sie erinnern sich an die Datei, in der Sie etwas nachschauen können, aber merken sich nicht den Fakt selbst. Wenn Sie jemand kennen lernen, verstehen Sie sich umso besser, je mehr gemeinsame Referenzen Sie haben. Es ist schwierig, wenn Sie sagen, „Ich gehe nach Barcelona“, und der andere muss erst googeln, wo Barcelona ist, bevor er antworten kann. Wir brauchen eine Art Arbeitsspeicher, den wir spontan nutzen können.
Wie sinnvoll ist E-Learning Ihrer Ansicht nach?
Es hängt davon ab, was Sie erreichen wollen und welche Alternativen es gibt. Über E-Learning haben auch Personen an entfernten Orten die Möglichkeit, auf Weiterbildungen zuzugreifen. Aber dennoch geht nichts über einen inspirierenden Lehrer, jemanden, der einem dabei hilft, Zusammenhänge zu verstehen.
Ideal wäre es, auf digitale Technik Zugriff zu haben, aber begleitet von einem Mentor.
Viele Menschen fühlen sich angesichts der neuen Medienflut überfordert – auch am Arbeitsplatz. Wie können Unternehmen darauf reagieren?
Untersuchungen zeigen, dass sich Kreativität steigern lässt, indem wir uns in natürlichen Umgebungen aufhalten. Wir wissen auch, dass Denken durch Spazierengehen angeregt wird. Wer das Wohlbefinden und die Kreativität der Mitarbeiter fördern will, braucht also Zugänge ins Freie oder wenigsten einen Ausblick auf die Natur. Auch in einem Gebäude umherzugehen kann helfen. Sie könnten dabei auch jemandem begegnen, den sie lange nicht gesehen haben und sie inspiriert. Das ist zudem gut für die Augen, weil Sie sich in der Zeit nicht auf dem Bildschirm konzentrieren.
Und was halten Sie von Achtsamkeitstraining und Meditation?
Achtsamkeit stößt derzeit allgemein auf sehr gute Resonanz. Viele Leute finden entsprechende Trainings hilfreich. Ich selbst brauche so etwas auch. Es fördert das Wohlbefinden und ist nicht teuer, wenn es funktioniert. Aber die Menschen sind so vielfältig und wunderbar einzigartig, dass es keine Zauberformel gibt, um ein glücklicher Mensch zu sein. Der Trick ist wirklich,
Menschen zu erlauben, sie selbst zu sein und ihre Talente zu entwickeln, wo auch immer diese liegen mögen.
Sind digitale Medien eher eine Bedrohung für unser Wohlbefinden oder helfen sie uns, ein wunderbares Leben in der Zukunft zu führen?
Es kommt darauf an. Mit meinem Buch „Mind Change" möchte ich Menschen bestärken und ihnen sagen:
„Digitale Medien sollten Mittel zum Zweck sein und nicht Selbstzweck“. Wenn die Menschen ein Gefühl der Identität in ihrem Leben zurück erlangen, dann können ihnen die Medien sehr viel nützen. Wenn sie indes nur passive Opfer der Medien sind und hauptsächlich auf Bildschirme starren, dann werden sie ihr eigentliches Potenzial nicht entfalten. Wir haben es also in der Hand mit dem, was wir tun.
Interview: Stefanie Hornung
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Über Susan Greenfield:
Baroness Susan Greenfield ist britische Hirnforscherin, Schriftstellerin und Mitglied des House of Lords. Als Spezialistin für die Physiologie des Gehirns untersucht Greenfield, wie sich Technologien des 21. Jahrhunderts auf den Geist und das Bewusstsein auswirken. Zum Thema Hirnforschung hat sie eine Reihe von allgemeinverständlichen Büchern verfasst, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Im August 2014 ist ihr neues Buch „Mind Change“ erschienen. Auf der Messe Zukunft Personal hält sie am 15. Oktober um 9:30 Uhr eine Keynote zum Thema: „The future of the 21st century mind: The impact of current technology on corporate health and well being”.
29.09.2014