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Übersicht Ansprechpartner„Neuro“ ist in: Auf der Suche nach den besten Wegen, zu lernen und zu verstehen, landen Lernexperten und Weiterbildungsprofessionals immer wieder bei der Hirnforschung. Denn das Gehirn ist die lernfähigste Struktur überhaupt auf der Welt. Vom Gehirn zu lernen hat daher Sinn. Neurowissenschaftler Henning Beck im Interview zu den Fragen, warum Wissensaufbau ineffizient sein muss und Intelligenz allein nicht reicht.
Herr Beck, was ist neurowissenschaftlich gesehen der Unterschied zwischen Lernen und Verstehen?
Henning Beck: Beim klassischen Lernen lösen Informationen, Sinnesreize oder sonstiger Input eine Aktivität im Gehirn aus. Passiert das öfter, passt das Gehirn seine Netzwerke an, damit dieses Aktivitätsmuster (die Information) das nächste Mal leichter ausgelöst werden kann. Deswegen macht Übung den Meister – denn wer oft übt, hat viele Gelegenheiten, sein Nervennetzwerk anzupassen. Doch Lernen ist überhaupt nichts Besonderes: Hummeln lernen, Elefanten lernen, Computer lernen, doch wir verstehen. Wer etwas lernt, kann es auch verlernen. Doch einmal verstanden kann man es nicht ent-verstehen. Denn Verstehen bedeutet, dass man die Art, wie man Informationen verarbeitet, verändern kann. Erst wenn man das Gelernte verstanden hat, kann man es nicht nur wiedergeben, sondern auch zu Neuem verknüpfen oder selbstständig verändern. Dafür sind andere Hirnregionen zuständig als für das klassische Lernen, denn Verstehen gelingt manchmal auf Anhieb. Nur so verstehen wir neue Wörter beim ersten Mal. Wörter wie Selfie, Brexit oder Flexitarier. Wir lernen diese Wörter nicht auswendig, wie Vokabeln, sondern erkennen deren Konzept.
Wie ist das mit Künstlicher Intelligenz? Kann sie Verstehen im menschlichen Sinn?
Das wissen wir nicht. Zumindest ist es ausgeschlossen, dass die derzeitigen Computersysteme die Dinge „verstehen“, die sie verarbeiten. Auch die derzeitigen Fortschritte in der K.I. werden nicht zu einem Verständnisprozess führen, sondern lediglich klassische Lernprozesse, das Erkennen von Mustern und Korrelationen in großen Datenmengen, verbessern.
Überhaupt ist der Begriff „künstliche Intelligenz“ sehr missverständlich. Als würde Intelligenz all das umfassen, was uns kognitiv ausmacht. Doch Intelligenz alleine reicht eben nicht, um die Welt zu verändern. Denn intelligentes Verhalten bedeutet im Prinzip, dass man schnell Muster und Regeln erkennt, um Probleme zu lösen – doch es bedeutet nicht, neue Probleme zu finden und Vorhaben zu planen. In jedem IQ-Test gibt es Aufgaben wie „Ergänzen Sie die Zahlenreihe 0, 1, 2, 3, 5, 8, 13, X möglichst sinnvoll!“ Doch es wird eben nie gefordert: „Entwickeln Sie mal einen Test, um zu bestimmen, wie logisch andere Menschen denken!“ Nur wer versteht, was er tut, kann sinnvoll voraus denken und die Welt so verändern, wie er es will. Kein superintelligenter Computer wird deswegen die Welt beherrschen, denn Intelligenz ist nicht genug.
Was braucht es denn eigentlich, damit Verstehen gelingt? Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein? Wie können Lehrer und Trainer unterstützen?
Am Anfang sollte immer die Frage nach dem Sinn stehen. Die bohrende Nachfrage von Schülern „Und wozu brauche ich das jetzt?“ ist die wichtigste Frage, die man stellen kann. Lehrer und Trainer sollten sich klarmachen, dass es am wichtigsten ist, neugierig zu machen. Lehrer sind keine Informationsvermittler, sondern clevere Fragensteller. Und helfen dann beim Antworten.
Welche Fehler werden aus neurowissenschaftlicher Sicht betrachtet am häufigsten gemacht bei der Wissensaneignung? Was ist zum Beispiel mit Ablenkungen...?
Der häufigste Fehler ist, dass man Wissensvermittlung tatsächlich als solche betrachtet: Informationen müssen von A nach B „vermittelt“ werden. Doch das geht nicht. Man kann Wissen nicht vermitteln. Denn Wissen entsteht erst, wenn man selbstständig die dargebotenen Informationen verdauen kann. Man kann nur den halben Weg gehen, Informationen und Fragestellungen liefern und dann soweit neugierig machen, dass die Auszubildenden selbstständig die andere Hälfte des Weges gehen und die Informationen zu Wissen verdauen.
Ganz wichtig deswegen: Antworten und Infos nicht zu leicht anbieten. Heute werden Nachrichten viel zu leicht verfügbar gemacht. Ein Klick und ich kann mir jede erdenkliche Antwort ergoogeln. Doch so schnell dieses Scheinwissen kommt, so schnell geht es wieder. Denn der neurobiologisch so wichtige Verdauungsprozess von Informationen wird übergangen. Die besten Lehrer, die ich hatte, haben mir eben nicht googelartig die besten Antworten gegeben, sondern die besten Fragen gestellt. Und dann hat man sich drangemacht, diese Fragen zu beantworten. So wird der Lehrer zum Begleiter zu neuem Wissen.
Welche Rolle spielt das Kreative beim Lernen, also etwa das Experimentieren, das Fehlermachen dürfen?
Nur in ganz begrenzten Lernphasen ist das Experimentieren wichtig – und zwar ganz am Anfang. Zu Beginn stellt man eine Frage oder Aufgabe, die die Teilnehmer interessiert und neugierig macht. Man probiert rum, testet aus – und wird dann vom Ausbilder auf die richtige Fährte gelenkt. Guter Wissensaustausch ist deswegen immer ein bisschen ineffizient – erst die Frage, dann die Antwort. Niemals umgekehrt, auch wenn das schneller erscheint.
Was können wir in dieser Hinsicht von virtual reality-Anwendungen erwarten? Werden sie Lernen und Verstehen verbessern?
Auch die modernsten digitalen Systeme werden nicht davor schützen, die gleichen Lernfehler zu machen, die man seit Jahrhunderten macht – Lernende nämlich zu Informationskonsumenten zu degradieren. Natürlich bieten neue Technologien ganz fantastische Möglichkeiten, Informationen anschaulich und interaktiv anzubieten. Doch der beste Lehrer braucht nicht die besten PowerPoint-Slides, sondern die Begeisterung in den Augen, etwas Tolles vermitteln zu dürfen.
Müssen professionelle Trainer Angst haben vor KI oder VR – im Sinne der Substitution des Lehrenden?
Wenn man sich als Ausbilder als Informationsüberträger begreift, mit Sicherheit. Wenn man jedoch versteht, dass Verstehen mehr ist, als Infos zu den Auszubildenden zu schaffen, dann niemals. Denn so toll digitale Möglichkeiten der Informationsweitergabe sind: Erst wenn man es im analogen Umfeld bei seinen Mitmenschen anwenden kann, macht es überhaupt erst Sinn.
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Der Interviewte: Henning Beck ist Neurowissenschaftler, und zwar einer der verständlichen. Seit 2011 ist er als Sience Slammer unterwegs, um seine Forschung ebenso unterhaltsam wie fundiert zu vermitteln. Auf der Learntec in Karlsruhe spricht Beck über „den Weg des Wissens zu den Nervenzellen“. Termin: Donnerstag, 1. Februar, 10 Uhr.
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Foto: Dr. Henning Beck: ©Marc Fippel