#PTT2018

Lars Vollmer über die Mythen der neuen Arbeitswelt

Die neue Arbeitswelt ist in aller Munde und voller teils amüsanter, teils gefährlicher Mythen. Was Arbeit überhaupt ist, was es für die New Work braucht, warum sich Mitarbeiter und Führungskräfte viel zu häufig zum Spielen von Business-Theater genötigt sehen und warum Personalentwicklung möglicherweise ein Denkfehler ist, hat Lars Vollmer auf den Petersberger Trainertagen erläutert. Im Interview zeigt er zentrale Denkfallen der neuen Arbeitswelt auf.




Herr Vollmer, was verstehen Sie unter New Work?

Lars Vollmer: New Work ist ein Topfwort, ein Klammerbegriff, der nach meinem Dafürhalten seine scharfe Grenze in der öffentlichen Kommunikation verloren hat. Ungeachtet der historischen Herkunft von Frithjof Bergmann versteckt sich dahinter inzwischen alles, was irgendwie modern klingen soll. Es ist als Abgrenzung zur „alten“ Arbeitswelt gemeint, die sehr stark durch tayloristische Prinzipien, also durch Anweisung und Steuerung, Kontrolle, Planung, geprägt ist. Und dazu, - das ist wohl der kleinste gemeinsame Nenner – soll es einen Gegensatz bilden.

Über die New Work existieren viele Mythen. Welche sind da zu nennen?

Ein Mythos, den ich nicht müde werde, immer wieder zu strapazieren, ist der, dass die Arbeitswelt menschlicher werden muss. Das klingt natürlich mit moralischer Brille betrachtet sehr schön, da wird’s einem warm ums Herz - mir auch übrigens. Aber ich glaube, es ist eine Denkfalle, in die wir rutschen. Weil dann sind wir schnell versucht, Maßnahmen durchzuführen, die es einfach nur schöner machen im Arbeitsleben. Aber die eigentliche Arbeit, der Grund, weswegen die Leute in die Unternehmen kommen, der bleibt dann genauso dysfunktional wie vorher auch. Und ich bin der Überzeugung, Menschen springen darauf viel stärker an. Es macht unzufrieden, wenn man merkt, dass die eigene Zeit, die man investiert, keine Wirkung erzielt, weil die Zeit verpufft, weil man damit keine Wertschöpfung erzielt. Und deswegen glaube ich nicht, dass die Arbeitswelt menschlicher werden muss, damit die Menschen zufriedener aus den Unternehmen rausgehen, aber - und damit kommt es dann vielleicht zusammen - wir brauchen die Ideen der Menschen, weil es immer mehr Probleme gibt in der heutigen Zeit, die mit Wissen nicht zu lösen sind. Jetzt brauchen wir Ideen. Und Ideen bekomme ich von Menschen, wenn sie mit ihrer ganzen Persönlichkeit - ich sage mal - mit ihrer ganzen Unausstehlichkeit, im Unternehmen agieren. Aber das ist kein Akt der Humanität, sondern es ist eine letztlich wirtschaftliche Notwendigkeit. Wenn wir die Moral zu sehr in diese Diskussion reinlassen, dann können wir zumindest nicht mehr sauber differenzieren. Und für die Differenzierung werbe ich.

Wo sehen Sie vor diesem Hintergrund die Aufgabe von HR?

Manchmal bin ich versucht zu sagen, HR ist ein alter Denkfehler, der sich in einer Abteilung manifestiert hat, in dem Glauben, man hätte es mit entwicklungsbedürftigen Reparaturwesen zu tun. Und damit meine ich jetzt nicht den Teil von HR, der administrative Aufgaben übernimmt, sondern den, der es als seine Berufung ansieht, Menschen zu entwickeln. Aber Menschen sind überhaupt gar keine entwicklungsbedürftigen Wesen. Sie entwickeln sich, und Einladungen dazu darf jeder aussprechen. Aber es liegt nicht in der Hoheit des Unternehmens, diese Entscheidung abzunehmen. Und außerdem Lernen: Echtes Lernen findet ja immer nur in Gegenwart von realen Problemen statt. Also, was ein Mitarbeiter lernen muss, das erfährt er an realen Problemen. Am Markt sozusagen erlebe ich, was ich lernen muss, nicht mit einem Gespräch mit einer Führungskraft oder mit einer - und sei sie noch so gut ausgebildeten - Personalkraft. Also müssen wir wieder Lernumgebungen schaffen, die an realen Problemen liegen, dann erkennen die Menschen automatisch und selber ihre Lernpotenziale.

Also würden Sie Personalentwickler abschaffen und dafür plädieren, dass mehr Raum zur Selbstentwicklung gegeben wird?

Eindeutig: Ja!

Sie haben in Ihrem Vortrag auf den #PTT2018 noch weitere Mythen erwähnt, zum Beispiel das Mitarbeitergespräch.

Ja, das ist so ein Überbleibsel aus dem Industriezeitalter. Dahinter steckt erstens die Überzeugung, dass, wenn wir nicht ein Ritual dafür setzen würden, der Chef gar nicht mit seinem Mitarbeiter sprechen würde. Zweitens: Der Chef muss ritualmäßig mit dem Mitarbeiter sprechen, sonst ist er kein guter Chef. Drittens die Überzeugung, der Mitarbeiter könnte sich durch das Gespräch mit seinem Chef weiterentwickeln. Und alles drei stimmt eigentlich nicht. Der Mitarbeiter entwickelt sich - und darin wiederhole ich mich - am realen Problem. Und das können übrigens Menschen übernehmen, die vorher Personalentwicklung gemacht haben - sie können organisatorische Lösungen anbieten, in denen Menschen tatsächlich am echten Problem arbeiten können. Also nicht in Abteilungen gefangen, die funktional geteilt sind, sondern in integrierten Teams nah am Problem, nah an der Wertschöpfung, machthierarchiefrei - dann findet echtes Lernen statt. Da muss man dann als Personalentwickler gar nichts mehr tun. Da braucht es dann auch keine Mitarbeitergespräche mehr. Und trotzdem wird extrem viel miteinander gesprochen.

Sie plädieren für echte Arbeit im Gegensatz zu Businesstheater.

Echte Arbeit ist, Wertschöpfung für den Kunden zu betreiben. Das ist nicht nur die originärste Aufgabe eines Unternehmen - jedenfalls ist das meine Überzeugung -, sondern auch der ureigenste Wunsch von nahezu allen Mitarbeitern. Sie wollen Wirkung erzielen, Unterschied machen, einen Beitrag zur Wertschöpfung liefern. Aber wir haben uns mit den Jahren und Jahrzehnten Praktiken eingefangen, die früher mal in den Märkten des Industriezeitalters vernünftig und wirkungsvoll waren, die aber heute ihre Wirkung nicht nur verlieren, sondern eben ins Gegenteil umschwingen, in eine Art artifizielle Kommunikation, in der wir nur spielen, um Erwartungen zu erfüllen. Denken wir an Mitarbeitergespräche, an Budgetrunden, an Audits. Aber so verhalten wir uns eigentlich in Wirklichkeit gar nicht. Und wir merken auch, so ein Verhalten hilft uns gar nicht, um das Kundenproblem zu lösen, aber es wird ja verlangt. Also setzen wir uns in das Meeting und „spielen“ quasi das Spiel mit. Wenn ich das viele Jahrzehnte mache, merke ich gar nicht mehr, dass ich aktiv spiele, und ich bin auch nicht dran schuld und auch der Chef ist nicht dran schuld. Aber diese Form von Businesstheater nehmen aus meiner Sicht extreme Ausmaße an in vielen Unternehmen und sind für Mitarbeiter wie fürs Unternehmen nicht ungefährlich.

Sollte man also Meetings abschaffen?

Meetings kann man nicht einfach abschaffen, sondern ich muss ja erst einmal eine Struktur bauen, die Meetings überflüssig macht. Das geht auch. Das heißt nicht, dass Mitarbeiter nicht miteinander sprechen, aber dass das Ritual verlorengeht. Rituale, die wirklich abgeschafft gehören aus meiner Sicht, sind 360-Grad-Feedbacks. Ebenso Dienstwagen- und Reisekostenregelungen. All das sind Überbleibsel, vieles davon sind Formen von Controlling, insbesondere all die, die sich auf die Einhaltung von internen Regeln beziehen. Sie dienen überhaupt nicht der Wertschöpfung, sondern sie machen Menschen unzufrieden und verhindern, dass sie mit ihren Ideen auf die relevanten Teile der Wertschöpfung Einfluss zu nehmen.

Unsere neue Welt wird ja gerne als VUKA-Welt beschrieben. Diesen Begriff mögen Sie nicht, wie die Teilnehmer der #PTT2018 erfahren haben...

Ja, weil er so trivialisiert. Weil er so tut, dass unsere Welt vorher nicht VUKA war, und daran glaube ich nicht. Und vor allen Dingen, dass jetzt alles anders wäre. Ich werbe auch hier eher für Differenzierung, für eine Unterscheidung in unterschiedliche Wertschöpfungstypen. Und „den alten Wertschöpfungstyp“, den aus dem Industriezeitalter, den gibt es ja immer noch. Und die Werkzeuge, die sich daraus über viele Jahrzehnte entwickelt haben, die sind gut für den Teil. Aber in hohem Maße gefährlich für einen Wertschöpfungsanteil, der mit Dynamik, mit Überraschungen umgehen muss, genau den, den dieser Begriff wahrscheinlich adressieren will. Ich werbe für mehr Differenzierung und für weniger Benutzung allgemeiner Floskeln, die natürlich Aufmerksamkeit erzeugen, aber uns bei der echten Problemlösung im Wege stehen.

26.04.2018
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