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Übersicht AnsprechpartnerNormale Meetings? Gibt es beim Düsseldorfer Unternehmen Sipgate fast gar nicht mehr. Alles Wichtige wird im Rahmen eines regelmäßigen Barcamps diskutiert – dem Open Friday. Der wurde eingeführt, als die Arbeitsorganisation auf Scrum umgestellt wurde und kurz darauf ins Stottern geriet. Mittlerweile ist das Format Herzstück der Zusammenarbeit im Unternehmen. managerSeminare war bei einem Open Friday dabei.
Ein Beitrag von Andree Martens
Morgen wird die millionste Rechnung geschrieben, „wir sollten mal überlegen, wie das System damit umgeht“, sagt einer der Mitarbeiter, geht zum Whiteboard und klebt ein Post-It in den 11:15 Uhr-Slot. Der nächste hat eine „Google-Analytics-Auswertung“ für alle Unternehmensseiten durchgeführt und würde gerne die Ergebnisse diskutieren – sein Post-it platziert er im 15 Uhr-Slot mit dem einladenden Untertitel „Da kann man schon fast ein Bier mitbringen“. Ein dritter klebt das Thema „Eventbus“ ans Board. Die Idee dahinter: Die Art und Weise wie hier gearbeitet wird, soll stärker in die Öffentlichkeit getragen bzw. gefahren werden, vor allem um neue Mitarbeiter zu finden.
„Hier“ heißt in diesem Fall bei Sipgate, einem Internet-Telefonie-Dienstleister, der in einem trendigen loftartigem Bau im Düsseldorfer Medienhafen sitzt. Und dem Trend oder besser gesagt dem neuen Zeitgeist der Arbeitswelt entspricht auch der Sipgate-Way-of-Work: Selbstorganisation und Selbstverantwortung werden hier nicht nur groß, sondern auch fett geschrieben. Abgesehen von der Geschäftsführung, die sich aus dem Daily Business jedoch heraus hält, gibt es keine Hierarchie. Alle Themen, die über die spezifische Projektarbeit hinausgehen, werden teamübergreifend diskutiert und vorangetrieben – vor allem Freitags, genauer gesagt an jedem zweiten Freitag, am Open Friday. Ein solcher ist heute.
„Der Form nach ist der Open Friday ein firmeninternes Barcamp, also ein Konferenztag für die Mitarbeiter, den die Mitarbeiter gestalten“, sagt Johanna aus dem Presseteam von Sipgate. Jeder, der will, kann mit einem Thema einen freien Session-Platz auf dem Timetable besetzen, und jeder, den es interessiert, kann dann hingehen und mitreden. Der Funktion nach ist der Open Friday jedoch viel mehr: das Herzstück der teamübergreifenden Zusammenarbeit im Unternehmen sowie Ergebnis und zugleich Schmiermittel einer Entwicklung in Richtung agiler Organisation, die immer noch läuft.
Startpunkt der Entwicklung war 2010 – damals wurde die Arbeitsorganisation auf Scrum geswitcht. Beim Framework Scrum, das auf dem Prinzip der experimentellen Verbesserung beruht, geht es vor allem darum, Prozesse effektiver und schneller zu machen. Das funktionierte auch bei Sipgate. „Wir haben unser Tempo ziemlich schnell verdoppelt“, erzählt Stefan, einer der Web-Entwickler. Sprint – so heißt bei Scrum ein Arbeitszyklus – folgte auf Sprint, dabei griffen die Prozesse von Anfang an so gut ineinander, dass es kaum noch Leerlauf gab – also Zeiten, in denen ein Team, etwa von Konzeptionierern, aufs andere wartete, etwa von Web-Entwicklern, die eine Lösung umsetzen sollten.
Die höhere Effektivität hatte aber auch eine Kehrseite, die sich rasch zeigte. Mit den Wartezeiten reduzierte sich die Zeit, in der die Mitarbeiter über Trends diskutierten und künftige Entwicklungen philosophierten. Es reduzierte sich die Zeit, in der zuvor oft die Weichen für wichtige Entwicklungen gestellt worden waren. Es blieb weniger Zeit für den teamübergreifenden Austausch an der Kaffeebar, bei dem aus abseitigen Gedanken auch schon mal gute Ideen entstanden. Es gab kaum noch Zeit, Bestehendes zu hinterfragen und Neues auszuprobieren. Und vor allem fehlte es nun an Zeit, um einfach einmal Luft zu holen und wieder zu Atem zu kommen. „Irgendwann stellte sich eine Sprintmüdigkeit ein“, schildert Stefan. Und alsbald darauf eine Einsicht: Wir brauchen wieder mehr Slacktime, also Zeit, die nicht von Unterkante bis Oberkante mit Aufgaben angefüllt ist.
Dazu wurde jeder zweite Donnerstag freigeräumt. Der Tag wurde NDS (Nach-dem-Sprint) genannt, die Sprints liefen damals immer bis einschließlich Mittwoch. Am NDS durfte jeder Mitarbeiter machen, was er wollte – nur sollte es eben nicht direkt die Sprintarbeit betreffen, trotzdem aber irgendetwas mit Arbeit zu tun haben. Morgens trafen sich alle Mitarbeiter und erzählten, was sie vorhaben, um Ansatzpunkte für die Zusammenarbeit zu schaffen. Abends gab es jeweils einen Abschlusskreis. In diesen zeigte sich jedoch schnell: Das funktioniert nicht. Stefan: „Die meisten muggelten den Tag über irgendwas alleine für sich rum, Austausch und Zusammenarbeit fanden kaum statt.“
Rund ein Jahr später besuchte Web-Entwickler Stefan ein Barcamp – und entdeckte in dem Format eine Möglichkeit, wie sich freiwillige, spontane Zusammenarbeit in größeren Gruppen organisieren lässt. Das Konzept wurde auf den NDS übertragen, dieser von Donnerstag auf Freitag verlegt und in Open Friday umbenannt. Die Themeneinschränkung wurde aufgehoben, dafür die drei Kernprinzipien des mit dem Barcamp verwandten Open-Space-Formats zum Regelwerk der Veranstaltung erhoben, das vom Moderator – in die Rolle schlüpft meist Stefan, und wenn er nicht da ist, „dann spontan eben jemand anders“ – jeweils zu Beginn verlesen wird:
– Whoever come are the right people.
– It’s over when it’s over.
– Es gilt das „Law of two feet“ (Wer nichts mehr beitragen oder lernen kann, geht woanders hin.)
„Der erste Open Friday hatte direkt einen enormen Impact, es wurde eine Idee entwickelt, wie sich unsere Sprints besser organisieren lassen“, erzählt Stefan. Das wirkte wie eine Initialzündung, beim zweiten Open Friday hatte sich die Teilnehmerzahl bereits auf 40 verdoppelt, mittlerweile machen jeweils Zweidrittel der Sipgate-Mitarbeiter mit, heißt, sie versammeln sich morgens ums Themenboard, das im firmeninternen Restaurant- und Barbereich an der Holztheke lehnt, und nehmen an mindestens einer Session teil. Wer die Session vorgeschlagen hat, schreibt am Ende die Ergebnisse zusammen, macht gegebenenfalls ein Foto vom Flipchart, lädt alles bei Yammer – einer Social-Collaboration-Software – hoch und präsentiert die Ergebnisse kurz bei der Abschlussveranstaltung ab 16 Uhr, bei der dann auch nicht nur fast ein Bier getrunken wird.
„Normale Meetings gibt es bei uns kaum noch“, sagt Johanna aus dem Presseteam. „Fast alle Themen, die nicht zeitkritisch sind, werden mittlerweile mit in den Open Friday genommen, weil sich da immer die richtigen Leute zusammenfinden und niemand knietief im Tagesgeschäft steckt.“ In acht von zehn Slots geht es um Arbeitsthemen oder um Dinge, die das Unternehmen direkt betreffen. Und in den anderen? Meistens um etwas, das einer der Mitarbeiter gelernt oder erfahren hat und gerne weitergeben möchte. So gab es etwa einmal eine Session übers Schweigen, angezettelt von einer Mitarbeiterin, die ein Schweigeseminar besucht hatte. Oder eine zur Frage „Wie baut man eine Achterbahn?“ „Kurios ist“, sagt Johanna, „wie oft Input aus solchen speziellen Slots irgendwann bei ganz anderen Fragestellungen weiterhilft.“
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Anmerkung: In der Oktoberausgabe von managerSeminare erscheint ein ausführlicher Artikel über die Entwicklung von Sipgate zur agilen Organisation und dem Sipgate-Way-of-Work.
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Fotos: Oli Tjaden / sipgate