„In der Politik zeigt sich gerade, was zeitgemäße Führung ausmacht“

Worin zeigt sich gute Führung? Christiane Brandes-Visbeck, Expertin für New Leadership, ist überzeugt: Das lässt sich derzeit besonders gut im Bereich der Politik beobachten.
 
Frau Brandes-Visbeck, in der Politik wird Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern momentan viel abverlangt. Was lässt sich aus ihrem Verhalten über Führung lernen?
 
Christiane Brandes-Visbeck: Aus dem Verhalten einiger Politiker und Politikerinnen lässt sich zum Beispiel sehr gut lernen, wie wichtig ein transparenter, empathischer Führungsstil heute ist. Wir haben durch die Social Media Zugang zu allen möglichen Informationen – zu klassischen, zuverlässigen Informationen seriöser Medien wie auch zu Informationen, die stark interessengeleitet sind, bis hin zu Fake News. Das führt dazu, dass sich heute jeder Mensch seine eigene Meinung bildet – ob die nun wahr ist oder berechtigt, ist eine andere Frage. Jedenfalls fühlen sich die Menschen dazu befähigt, selbst zu urteilen. Und damit haben wir eine Situation, in der es für Führungskräfte – solche in der Politik wie auch der Wirtschaft – unfassbar wichtig geworden ist, sich gut zu erklären. Denn erst in dem Moment, in dem man in der Lage ist, Menschen zu erläutern, warum man tut, was man tut, ist man glaubwürdig.
 
Quelle: Screenshot der Sendung „Markus Lanz“ vom 31.3.2022, www.zdf.de/nachrichten/politik/habeck-energie-embargo-ukraine-krieg-russland-lanz-100.html
 
Welche Politikerinnen und Politiker leben uns aktuell Transparenz vor?

Beispielsweise Außenministerin Annalena Baerbock, die Bundesvorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, oder gerade auch Wirtschaftsminister Robert Habeck. Sie alle erklären sich sehr genau, vor allem in den Social Media. Sie erläutern die Gründe für die Schritte, die sie tun, und Entscheidungen, die sie treffen müssen, auch wenn diese unpopulär sind. Sie zeigen dabei Empathie. Und sie machen sehr offen ihre eigenen Dilemmata zwischen Theorie und Praxis, dem Ideal und der Realo-Politik deutlich. Das ist es, was glaubwürdig macht.

Aber ist es auch klug?

Sicher: Man kann sich durch diese Offenheit auch Feinde machen. Ich denke trotzdem, dieser Weg ist genau der richtige. Wir leben in einer komplexen Welt mit hoher Veränderungsgeschwindigkeit. Da ist es wichtig, zu lernen, dass das, was man gestern gesagt hat – oder was jemand anderes gesagt hat –, heute vielleicht nicht mehr dem aktuellen Wissensstand entspricht, gestern aber trotzdem berechtigt war. Auch, wenn das nicht alle goutieren, führt daran – ob in Politik oder Wirtschaft – kein Weg vorbei.

Vielen Führungskräften aus Politik und Wirtschaft scheint es, trotz der neuen rühmlichen Ausnahmen, aber immer noch nicht leicht zu fallen, so zu agieren ...

Jede Managementstudentin, jeder Jurastudent hat in den 1970er, 80er und 90er Jahren noch gelernt, „Wer A sagt, muss auch B sagen. Wenn ich meine Meinung ändere, dann betrachten mich alle als instabil.“ Patricia Riekel, die langjährige Chefredakteurin großer Boulevard-Blätter wie Bunte und Amica, hat einmal sinngemäß gesagt: „Wenn ich etwas entschieden habe, dann bin ich dabeigeblieben, auch, wenn ich es später noch so sehr bereut habe.“ In der Tat können Führungskräfte so Anerkennung und Einfluss gewinnen. Der Preis dafür ist hoch. Wir erleben doch gerade jetzt wieder, angesichts der Energiekrise, dass dieses „Wer A sagt, muss auch B sagen“ in volatilen Kontexten einfach nicht mehr gelten kann.

Wir brauchen in dieser Welt keine Basta-Politiker mehr, keine Basta-Führungskräfte, sondern wir müssen alle lernen, flexibler auf Impulse aus der Umwelt zu reagieren. Ich bin überzeugt, dass dabei Intuition eine wichtige Rolle spielt. Die Komplexität der Umwelt überfordert uns. Aber da hilft es, erst einmal in sich hineinzuhorchen: Wie fühle ich mich eigentlich? Was sagt mein erster innerer Impuls? Und dann bewegt man sich ins Außen und beschäftigt sich nach dieser ersten groben Orientierung mit den vorliegenden Fakten: Stützen diese die Intuition oder nicht? Das hilft beim Entscheiden. Auch bei der wichtigen Führungsunterscheidung: Ist das eine Situation, in der eine klare Ansage sinnvoll ist? Oder ist es eine, in der es besser ist, sich selbst zurückzunehmen und viele Perspektiven gelten zu lassen?

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erfährt zurzeit große Bewunderung, wird teilweise regelrecht als Held verehrt. Wie passt das mit dem Ideal postheroischer Leadership zusammen?

Diese Bewunderung finde ich auch sehr interessant. Ich habe aber den Eindruck, dass sie gar nicht so sehr daher rührt, dass Selenskyi als Held alter Schule gesehen wird, sondern vielmehr daher, dass auch er einen sehr transparenten Führungsstil verfolgt. Zumindest hat es diesen Anschein. Außerdem handelt er sehr werteorientiert: Er ist nicht geflohen, obwohl man ihm das angeboten hat, sondern vor Ort geblieben, um sein Land zu verteidigen. Durch dieses Vorleben von Werten hat er ein hohes Maß an Vertrauen erworben.

Was umso bemerkenswerter ist, angesichts dessen, dass Selenskyj vor dem Krieg anscheinend eher ein Vertrauensproblem hatte. Die Presse berichtete von Unzufriedenheit vieler Ukrainer mit seiner Politik.

Ja, aber sein Beispiel zeigt eindrücklich, woraus sich Vertrauen in Führungskräfte speist: Die Bevölkerung hat jetzt das Gefühl, dass da jemand ist, der sich hundertprozentig für sie einsetzt. Der ihre Interessen im Blick hat. Jemand, der den Nutzen für die Gemeinschaft über Eigennutz stellt. Das hat eine starke Wirkung in Zeiten, in denen wir Politikerinnen und Politiker – und auch Managerinnen und Manager – häufig als Menschen erleben, die vor allem ihre eigene Haut retten und ihre Scherflein ins Trockene bringen wollen.

Wir kennen das auch aus Unternehmen: Wie oft schon haben wir da erlebt, dass es vornehmlich darum ging, das Beste für sich selbst und die eigene Abteilung auszuhandeln, nicht aber das Beste für die gemeinsame Sache. Ich glaube, in der Bewunderung für Selenskyi zeigt sich, dass wir eine sehr große Sehnsucht nach Führungskräften haben, die glaubhaft die Interessen der Gemeinschaft wahrnehmen. Und die auch die Fähigkeit haben, zu verbinden, Menschen zusammenzuführen, integrativ zu wirken. Deswegen kommt bei vielen auch gut an, was Annalena Baerbock macht, die in ihrem Ansatz feministischer Außenpolitik immer wieder klar die Stimme für Frauen und Kinder erhebt, also für gerade für die Menschen, die bisher in der Politik oft vergessen wurden.

So wichtig vorbildliches Führungsverhalten auch ist: Sind dem Handeln von Führungskräften sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft nicht oft auch durch Systeme Grenzen gesetzt, die der Einzelne, die Einzelne nur schwer überwinden kann?

Das stimmt. Deswegen bin ich auch eine große Befürworterin von agilen Methoden, die dabei helfen, Arbeit, sagen wir mal, etwas sachlicher zu verteilen. Von einzelnen Playern ist man dann nicht mehr so abhängig. Wir haben einen großen Entscheidungsstau, in der Politik wie auch der Wirtschaft, weil viele Verantwortliche ungern persönlich Verantwortung übernehmen, sich also kaum jemand die Blöße einer Fehlentscheidung geben will. Ich bin überzeugt, dass neue Methoden, die Entscheidungen auf viele Schultern verteilen, da sehr viel bewegen können.

Die Interviewte: Christiane Brandes-Visbeck startete ihre berufliche Laufbahn als Print- und TV-Journalistin. Heute führt sie die Kommunikations- und Unternehmensberatung Ahoi Innovationen mit Sitz in Hamburg und arbeitet als Expert Partner Transformation & Communication bei der Digitalberatung diconium, Hamburg. Kontakt: www.ahoi-innovationen.de

 

 

 

 

 

04.04.2022
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