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Übersicht AnsprechpartnerEr lag schon in den Wehen, überquerte in einem Flüchtlingsboot das Mittelmeer und wurde freiwillig alkoholabhängig: TV-Reporter Jenke von Wilmsdorff setzt sich für seine Sendung „Das Jenke-Experiment“ regelmäßig Extremsituationen aus. In einer Keynote auf der Messe Zukunft Personal Mitte September in Köln sprach er über die Kunst, die eigenen Ängste zu überwinden.
Interview: Nina Carbonetti, Kamera: Oliver Hartmann, Siegburg
Als Extremreporter gehören Grenzerfahrungen zu Ihrem Alltag. In Ihren Vorträgen ermutigen Sie Menschen ebenfalls dazu, etwas zu wagen und ihre Komfortzone zu verlassen. Was ist daran so erstrebenswert?
Jenke von Wilmsdorff: Ich finde es dramatisch, einmal eingeschlagene Wege nicht mehr zu verlassen. Schließlich schlummert in den meisten Menschen viel mehr als sie ahnen. Talente und Bedürfnisse, über die sie sich gar nicht im Klaren sind. Wenn man all dem keinen Raum gibt, führt das auf Dauer zu einer Stauung, davon bin ich überzeugt. Plötzlich tauchen dann irgendwelche Krankheitssymptome auf – bis hin zu einem Burnout. Ich wage zu bezweifeln, dass der Großteil der Menschen, die einen Burnout erleben, tatsächlich von ihren Aufgaben überfordert sind. Ich denke vielmehr, dass sie falsche Ansprüche an sich stellen und denken, sie müssten etwas leisten, was sie tief in ihrem Inneren gar nicht wollen. Das bringt sie in einen tiefen Konflikt widerstrebender Energien, der sie schließlich ausbrennt.
Was ist Ihr Rat?
Ich habe für mich herausgefunden, dass ich viel kreativer und auch für einen Arbeitgeber viel interessanter und nützlicher bin, wenn ich wirklich so viel Jenke sein kann wie nur möglich. Natürlich mit dem Know-how und den Techniken, die es für meinen Beruf braucht: Ich recherchiere, bereite mich gut vor und gehe nicht tollkühn an irgendwelche Sachen heran. Aber zu mir gehört auch, einen Schritt mutiger zu sein als andere. Ich lasse mich nicht von Ängsten leiten. Und ich glaube, das kann jeder auf seinen eigenen Alltag, auf sein eigenes Leben übertragen: einfach mal etwas wagen.
Was sollten Menschen bezogen auf ihren Job wagen? Einfach kündigen? Noch mal neu anfangen?
Es wäre töricht, Menschen zu sagen: Wenn Du mit Deinem Job unzufrieden bist, dann kündige einfach und such’ Dir was Neues. Das ist mit Sicherheit der falsche Weg. Mein Appell ist: Wenn Du nicht glücklich bist, dann suche nach einem neuen Weg und sei mutig zu wechseln, wenn Du Chancen erkennst. Also nicht alles auf einmal wagen, aber Schritt für Schritt, um sich mehr Selbstbewusstsein aufzubauen und Energien zu aktivieren, die einen weiter tragen. Ich habe das in meinem Leben ähnlich praktiziert. Ich hatte immer eine feste Basis, von der aus ich neue Optionen ausgelotet habe. Ich wusste, dass ich mich verändern will. Und wenn ich gesehen habe, dass eine neue Sache erfolgreich sein könnte, habe ich weitere Schritte in diese Richtung gewagt.
Sie haben schon in unterschiedlichen Berufen gearbeitet, waren Schauspieler und Autor, bevor sie zum Fernsehen kamen. Was war für Sie die wichtigste Lernerfahrung?
Meine wichtigste Lernerfahrung habe ich nicht in beruflichen Kontexten gemacht. Das war viel früher. Ich war ein ängstliches und kontaktscheues Kind. Irgendwann habe ich aber erkannt, dass ich mich von meinen Ängsten nicht beherrschen lassen will. Die wichtigste Erkenntnis war daher: Wenn ich mich meinen Ängsten stelle und auf meine Bedürfnisse und mein Bauchgefühl höre, lebe ich zufriedener und selbstbestimmter. Diese Maxime leitet mich bis heute – auch in meinem Beruf.
Sie sind bekannt für Ihre spektakulären Selbstversuche. Welches Experiment würde Sie im Personalwesen oder der Unternehmenswelt reizen?
Ach, da bieten sich eine Menge spannende Experimente an. Zum Beispiel: als Quereinsteiger für ein paar Wochen ein Unternehmen zu leiten. Man müsste zunächst verstehen, wie alles funktioniert. Das ginge natürlich nur in einem kleinen Betrieb. Ich bin jedoch ganz sicher, dass es einer Firma viele nützliche Erkenntnisse bringen kann. Wir sind oft zu festgefahren und bewegen uns immer in der eigenen Blase. Wenn man dann von außen mit komplett anderen Ansätzen und Sichtweisen konfrontiert wird, kann das nur bereichernd sein. Jenke als Geschäftsführer auf Zeit von einem kleinen oder mittelständischen Unternehmen – das fände ich ein interessantes Experiment. Wir haben zum Glück eine gute Versicherung bei RTL. Wenn ich den Laden an die Wand fahre, dann gleichen wir das aus. (**lacht**)
Das große Thema dieser Messe ist „Arbeiten 4.0“. Was verbinden Sie mit neuen Arbeitswelten?
Ich verbinde damit mehr Individualität – etwa die Bereitschaft in Unternehmen, individuelle Stärken zu erkennen und zu fördern. Personaler, die nicht nur auf gerade Lebensläufe achten, sondern auch mal Menschen einstellen, die ein bisschen bunter sind, aber über besondere Talente verfügen. Den Mut, auch mal unkonventionelle Herangehensweisen zu testen. Wenn ich Vorträge in Unternehmen halte, bekomme ich oft die Rückmeldung: Wir würden gerne etwas Neues versuchen, aber unsere Chefs haben Angst. Neues Arbeiten braucht also vor allem couragierte Führungskräfte.
Was ist für Sie persönlich die ideale Form der Arbeit?
Ich lebe sozusagen eine berufliche Polygamie. Das Fernsehen ist nur eine meiner beruflichen Geliebten. Über die Sendung erreiche ich ein großes Publikum und kann Aufmerksamkeit auf Missstände lenken. Ich mache aber nicht nur gerne Programm, das Menschen anschauen können. Ich stehe auch gerne höchstpersönlich vor ihnen. Im Kontakt mit anderen zu sein, ist für mich sehr wichtig. Deswegen halte ich gerne Vorträge und gebe Seminare.
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Jenke von Wilmsdorff (49) ist ausgebildeter Schauspieler, arbeitete lange am Theater und spielte kleinere Fernsehrollen. Ab 2001 wurde er als Reporter bei „Extra - Das RTL-Magazin“ einem größeren Publikum bekannt. Dort probierte er außergewöhnliche Berufe aus oder reiste in Krisengebiete. Seit 2013 hat von Wilmsdorff eine eigene Doku-Reihe namens „Das Jenke-Experiment“, in der er unter anderem Probleme wie Armut, Alter, Alkohol- und Drogenmissbrauch durch Selbstversuche thematisiert. Daneben hält er Vorträge und Seminare. Über die Fähigkeit, Ängste zu überwinden, hat er ein Buch geschrieben: „Wer wagt, gewinnt. Leben als Experiment.“ Kontakt: www.jenke.tv
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Fotos: © Zukunft Personal, Fotostudio Franz Pfluegl.