Manfred Kets de Vries im Interview

„Führung ist ein Teamsport“

Er gilt als einer der profiliertesten Führungsexperten Europas: Manfred Kets de Vries. Der Ökonom und ausgebildete Psychoanalytiker widmete seine Karriere der Verbesserung der Führungskräfteentwicklung. Für seine Verdienste wird der Professor für Leadership Development mit dem Life Achievement Award der Weiterbildungsbranche ausgezeichnet. managerSeminare traf den Niederländer an dem Ort, der seit 30 Jahren seine Wirkungsstätte ist: die Elite Business School INSEAD in Fontainebleau bei Paris.

Kamera: Oliver Hartmann, Siegburg


Prof. Kets de Vries, aus welchem Grund interessieren Sie sich so sehr für die psychologischen Aspekte, die das individuelle Verhalten und das Verhalten aller Mitarbeiter in einer Organisation bestimmen?

Es hat meiner Meinung nach sehr viel Mehrwert, ein tieferes Verständnis für die Dynamiken in einer Organisation zu haben und zu sehen, welche Rituale und welche sozialen Verteidigungsmechanismen es dort gibt und wie der Führungsstil wirkt. Nehmen wir den VW-Skandal. Das Verhalten der Beteiligten war irrational. Keiner hat darüber nachgedacht, was für Auswirkungen diese Idee eines Ingenieurs haben könnte, die Abgaswerte zu manipulieren. Es stand sicher nicht die böse Absicht dahinter, die amerikanischen Kunden hereinzulegen. Man hat vermutlich nur an den eigenen Vorteil gedacht – und nicht zu Ende überlegt, was es bedeutet und dass es natürlich irgendwann herauskommt, wenn diese Idee des Ingenieurs umgesetzt wird. Wie konnte das passieren? Warum haben das so viele Leute mitgetragen? Die Antworten finden Sie letztlich in der Psychoanalyse. Mit ihr erkennen Sie unter der sichtbaren Oberfläche von Aktionen, Strategien und Strukturen die irrationalen Kräfte, Gruppendynamiken und individuellen Dramen, die das Handeln in einer Organisation beeinflussen.

Man merkt: Sie sind nicht nur Wirtschaftsprofessor, sondern haben auch ein psychoanalytisches Studium abgeschlossen und sieben Jahre lang in der klinischen Psychologie und Psychiatrie gearbeitet …

… und heute sage ich: Ich muss verrückt gewesen sein, beides gleichzeitig zu machen – die Wirtschaftsprofessur an der McGill University in Montreal und das psychoanalytische Studium. Allerdings gab es schon vor mir Menschen, die ähnlich gepolt waren und die ich als meine Vorreiter betrachte: der 2011 verstorbene Psychoanalytiker und Führungsexperte Abraham Zaleznik, der 2012 verstorbene Psychologe und Organisationsexperte Harry Levinson und der schon länger verstorbene Psychoanalytiker und Organisationsentwickler Elliott Jaques. Schon früh interessierten sie sich für die Schnittstelle zwischen Psychoanalyse und Management. Heute ist die Kombination von Psychologie und Wirtschaft ja sehr verbreitet, allerdings in Form einer „Psychoanalyse light“. „Light“, weil die wenigsten Berater tatsächlich beide Studiengänge absolviert haben.

Wie definieren Sie vor dem Hintergrund Ihres psychologischen und ökonomischen Wissens gute Führung?

Es gibt keine Führungskraft ohne Kontext. Das heißt: Natürlich braucht ein geschäftsführender Gesellschafter von McKinsey einen anderen Führungsstil als der Chef eines Stahlwerks im Ural. Aber einige grundsätzliche Dinge gelten für alle. Das ist schon seit Alexander dem Großen so und hat sich in unserem digitalen Zeitalter nicht geändert. Manches ist ganz simpel. Es geht darum, das Beste aus den eigenen Leuten herauszuholen: Was kann ich tun, um meine Mitarbeiter noch leistungsfähiger zu machen? Wie kann ich ihnen danken, wenn sie etwas geleistet haben? Zudem braucht eine Führungskraft natürlich eine Vision, eine Richtung. Napoleon hat gesagt: „Anführer sind die Verkäufer der Hoffnung.“ Es geht darum, die Vorstellungskraft der Leute anzusprechen, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu schaffen. Gute Führungskräfte können sich zudem verschiedenen Situationen und Mitarbeitern anpassen und wissen: Manche Mitarbeiter brauchen viel Führung, vielleicht sogar Händchen-Halten. Andere mögen das gar nicht.

Klingt einfach, ist aber schwer umzusetzen …

Ja, es ist alles andere, als einfach umzusetzen. Vielen Führungskräften fällt es schon schwer zu begreifen: Selbst als CEO sind sie kein Gott, der alleine ganz oben steht. Die Gehälter der Spitzenmanager symbolisieren zwar genau das, nämlich den Gott on top – besonders in den USA, wo ein Top-Manager bis zu 500 Mal so viel verdient wie ein durchschnittlicher Mitarbeiter. Aber das ist obszön. Ich sage immer: Führung ist keine Einzeldisziplin, sondern ein Teamsport. Der CEO braucht einen Aufsichtsrat, der aufpasst, dass er nicht auf Abwege gerät. Und auch alle sonstigen Führungskräfte brauchen Unterstützung – entweder aus ihrem Team oder von anderer Seite. Ich kannte zum Beispiel einmal einen russischen Oligarchen, der sehr gut darin war, Geschäfte zu machen. Aber im täglichen Mikromanagement war er hoffnungslos. Er brauchte jemanden, der hinter ihm herräumt und alle Geschäfte, die er angeschoben hat, in strukturierte Verträge gießt. Das zeigt: Führung heißt nicht, alles alleine zu machen. Und es heißt nicht, immer als Einzelner ganz oben zu sein. ****

Das Videointerview wie der hier transkribierte Auszug sind Teile eines etwa 90minütigen Gesprächs. Die ausführliche Version des Interviews lesen Sie in der kommenden Ausgabe von managerSeminare. Live erleben können Sie Manfred Kets de Vries auf den Petersberger Trainertagen vom 15. bis 16. April, auf denen der Vordenker mit dem Life Achievement Award der Weiterbildungsbranche ausgezeichnet wird.

13.01.2016
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