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Übersicht AnsprechpartnerEr hat aus seinem Versagen als Führungskraft keinen Hehl gemacht: Bodo Janssen. Seine Hotelgruppe Upstalsboom ging den Bach runter, bevor er sich Hilfe holte im Kloster. Jetzt hat er zusammen mit dem Benediktinermönch Anselm Grün ein Buch herausgebracht: „Stark in stürmischen Zeiten“. Und im März startet sein Kinofilm über den Kulturwandel in Unternehmen.
Herr Janssen, wie ist es zu der Zusammenarbeit mit Anselm Grün gekommen? Es ist ja nicht unbedingt naheliegend, dass sich ein Unternehmer und ein Mönch für ein Buch zusammenfinden.
Janssen: Der Kontakt ist im Jahr 2010 aus der Not heraus entstanden. Damals waren die Mitarbeiter mit der Art und Weise, wie ich das Unternehmen führte, so unzufrieden, dass sie sich einen anderen Chef wünschten. Und weil ich das Gefühl hatte, mit den konventionellen Methoden, die ich in St. Gallen gelernt habe, nicht weiterzukommen, habe ich nach Alternativen gesucht. In einem Gespräch mit einer Redakteurin bin ich auf das Hörbuch „Spirituell führen“ von Anselm Grün und Friedrich Assländer aufmerksam geworden. In diesem hörte ich ganz andere, neue Dinge zum Thema Führung. Ich bin neugierig geworden und hatte dann das Glück, im Herbst 2010 den letzten Platz in dem Seminar zum Hörbuch zu bekommen.
Aber dann kommt man ja nicht gleich darauf, dass man ein Buch zusammen schreibt.
Diese Idee ist in der Tat ziemlich genau vor einem Jahr entstanden. Da habe ich Anselm Grün angeschrieben, weil ich das Gefühl hatte, dass ich viel bei ihm lernen durfte und wir viel von dem in der Praxis umgesetzt haben, was er den Menschen zu vermitteln versucht. Für mich lag es daher nahe, ihn zu fragen, ob er gemeinsam mit mir darüber schreiben will, wie der Transfer von den monastischen Themen, klösterlichen Strukturen und Wegen des Heiligen Benedikt in die Unternehmenspraxis gelingen kann. Seine Antwort kam nach knapp 20 Minuten, sie lautete: Ich mache mit.
Was verbindet Sie mit Anselm Grün?
Uns beiden geht es darum, Menschen zu stärken und sie zu unterstützen, ihr Leben wirklich zu leben. Ich empfinde eine Sehnsucht danach, Menschen erfolgreich zu machen, und das heißt für mich, dass Menschen die Freiheit haben, das zu leben, was ihnen wirklich wichtig ist. Anselm Grün schreibt Bücher mit Titeln wie „Versäume nicht dein Leben“ oder „Menschen führen - Leben wecken“. Ihm geht es also auch darum, dass die Menschen wirklich leben und nicht gelebt werden, nicht einfach nur funktionieren und im Hamsterrad laufen.
Sie sind ja jetzt schon einige Zeit auf dem Upstalsboom-Weg unterwegs, angefangen 2010. Was ist in der Zeit die wichtigste Erkenntnis, die Sie gewonnen haben und die Sie jetzt weitergeben wollen?
Ich habe erst vor kurzem wieder mal paradox klingende Zahlen gehört: 97 Prozent aller Führungskräfte glauben, einen guten Job zu machen. Gleichzeitig aber erfolgt der Großteil der Kündigungen – etwa 81 Prozent – aufgrund des unmittelbaren Vorgesetzten. Das heißt also, auf der einen Seite gibt es Menschen, die sagen, sie machen einen guten Job, auf der anderen Seite gibt es Menschen, die nehmen das ganz anders wahr. Die grundlegende Erkenntnis, die ich auch im Buch wiedergebe, ist die: Es geht um gelingende Beziehungen. Ich habe im vergangenen Jahr mit meinen Mitarbeitern im Rahmen der Curricula über Führung als Dienstleistung geredet. Doch greifbar wurde das Thema erst, als verinnerlicht wurde: Hier geht es um gelingende Beziehungen. Und was macht das für Euch aus – in der Familie, im Verein ebenso wie im Unternehmen? Plötzlich fielen dann Begriffe wie Verbundenheit, Ermutigung, Geborgenheit und Sicherheit. Die für mich wichtigste Erkenntnis und der Fokus für die Zukunft ist, alles dafür zu tun, dass Menschen in gelingende Beziehungen treten können. Mit sich selbst und mit anderen.
Diese gelingenden Beziehungen gilt es auch mit dem Außen herzustellen, mit dem Markt, zum Kunden, zum Wettbewerb?
Grundsätzlich zwischen Menschen. Wir erleben das doch: Wenn es menschelt, spielen häufig fachliche oder auch standardisierte Dinge nur noch eine untergeordnete Rolle. Das kennt man auch aus Verhandlungen: Da wird 90 Minuten lang übers Hobby gesprochen und 10 Minuten übers Geschäft. Das ist nur leider zum Teil völlig verloren gegangen, weil sich nicht mehr Menschen begegnen in Unternehmen, sondern nur noch Funktionen und Positionen. Das heißt, Beziehung findet nur noch zwischen zwei Objekten statt. Aber das ist nicht nutzbringend. Wenn ich echte Begegnungen ermöglichen möchte, dann muss das zwischen zwei Subjekten erfolgen, die sich gegenseitig etwas mitzugeben haben. Und wenn zwischen diesen Menschen etwas entsteht – eine Verbundenheit, ein gemeinsames Interesse, was auch immer –, dann ist die fachliche Ebene viel einfacher zu bearbeiten, als wenn das nicht der Fall ist.
Sehen Sie sich selbst denn als Vorbild in dieser Hinsicht?
Das, was wir im Unternehmen tun, ist nicht kopierbar. Jedes Unternehmen muss zusammen mit den Menschen, die da sind, seinen eigenen Weg finden. Aber natürlich haben wir Erkenntnisse gewinnen dürfen, die andere inspirieren können. Unsere Haltung vielleicht. Wir instrumentalisieren unsere Mitarbeiter nicht für die Wirtschaft, nicht dafür, dass die Gewinne maximiert werden, dass wir Geld, Macht und Anerkennung bekommen. Wir sehen vielmehr das Unternehmen als Mittel zum Zweck Menschenerfolg.
In Ihrem Buch ist das öfters zu lesen: Unternehmen als Entwicklungsstätten...
Wir haben für uns den Menschen als Entwicklungssubjekt herausgearbeitet. D.h., wir nutzen das Unternehmen dafür, Menschen zu entwickeln, sie erfolgreich zu machen - sowohl den Mitarbeiter als auch den Gast. Bezogen auf den Gast heißt erfolgreich: Er hat bei uns die Freiheit, das zu erleben, was ihm als Mensch gerade wichtig ist. Bezogen auf den Mitarbeiter: Er hat die Freiheit, das zu arbeiten, was für ihn wesentlich ist. Das Unternehmen ist also eine Plattform, wo Menschen eben nicht nur arbeiten, sondern auf der sich entwickeln können in eine Richtung, die sie für sich als sinnvoll erachten. Und die beste Entwicklungsmöglichkeit, die wir sehen, ist die Begegnung mit Menschen. Die Plattform Hotel ist dafür prädestiniert!
Merken das die Gäste Ihrer Hotels?
Die Rückmeldung, die wir bekommen, ist, dass die Mitarbeiter echt, authentisch, offen wirken. Dass sie nicht nur Interesse an der Dienstleistung und dem Gast als Kunden zeigen, sondern an dem Menschen an sich. Sie stellen Fragen. Sie wollen wissen, sie wollen lernen. Da kann auch mal die Rückmeldung kommen: „Der Service war jetzt unter dem Knigge-Aspekt nicht perfekt, aber ich bin einem Menschen begegnet.“
Wahrscheinlich aber ist der Upstalsboom-Weg nicht nur mit positiven Erfahrungen gepflastert. Was haben Sie an Negativem erfahren?
Ich würde die Wertung positiv/negativ rausnehmen und lieber von Ursache und Wirkung sprechen. Eine Auswirkung unserer Arbeit auf Vertrauensbasis kann ich als Beispiel nennen: Wenn es Entwicklungen gibt, die kritisch sind, die also anders als erwartet ausfallen, intervenieren wir nicht sofort. In solchen Fällen kann es dann aber durchaus sein, dass die kritische Entwicklung wesentlich stärker ausschlägt als es vielleicht in herkömmlichen Unternehmen der Fall ist.
Zum Beispiel?
In einem Hotel hatten wir uns so eine Art Führungsvirus eingefangen. Alte Führung stieß auf eine neue Kultur, und das hat im Team für solche Unstimmigkeiten gesorgt, dass die Gästezufriedenheit um 20 Prozent gesunken ist, die Ergebnisse um 30 Prozent. Kurzum: Es gab eine degressive Entwicklung auf allen drei Ebenen - menschlich, wirtschaftlich und qualitativ. In einem herkömmlichen Unternehmen würde die Geschäftsführung sofort kommen und gegensteuern. Das wäre Redelegation. Wir aber lassen so etwas laufen, nicht passiv, sondern wir stellen Fragen, wir gehen mit einem Coachingansatz an die Sache heran und versuchen, das Team vor Ort dazu zu befähigen, selbst aus dieser negativen Entwicklung herauszukommen. Das geht dann meistens allerdings nicht so schnell, als wenn die Hebel durch die Geschäftsführung umgelegt würden, weil jemand gekündigt wird zum Beispiel. Und somit sind dann die Auswirkungen der Krise deutlich stärker. Aber durch die Krise, die in Eigenverantwortung gemeistert wird, ist später dann auch der gegenläufige Effekt größer. Weil die Menschen die komplette Verantwortung übernommen haben. Die Menschen Verantwortung übernehmen zu lassen, hat in diesem Change-Prozess aber häufig zur Folge, dass es ein bisschen teurer wird, als man sich das als Unternehmer idealerweise wünscht.
Was hat das mit Ihnen gemacht? Es ist ja auch nicht so leicht, daneben zu stehen, wenn was schiefgeht, und nicht direkt zu handeln.
In meinem ersten Buch habe ich die Geschichte vom Seehotel beschrieben. Da war es tatsächlich so, dass die Ausprägung der Krise so stark war, dass wir dieses Hotel schließen mussten. Und erst sechs Monate später neu aufgesetzt wieder in den Markt bringen konnten. Da heißt es dann, gelassen zu bleiben. Dabei ist es immer so eine Frage: Was ist der Unterschied zwischen Gelassenheit und Gleichgültigkeit? Gelassenheit kann schnell mit Gleichgültigkeit verwechselt werden. Das ist also ist eine Gratwanderung. In allererster Linie hat mir die Eigenverantwortung der Mitarbeiter viel Freiraum geschenkt für Entwicklung, zum einen, weil ich Zeit habe, um über die Zukunft nachzudenken, zum anderen, weil ich viel Zeit für Gespräche mit den Mitarbeitern habe. Allerdings muss man das auch aushalten können. Emotional, aber auch wirtschaftlich.
Sie haben einige Filme gedreht, zuletzt den Dokumentarfilm „Die stille Revolution“, der jetzt sogar in die Kinos kommt. Was ist das Ziel?
Der Film wird ab dem 22. März in den Kinos zu sehen sein. Ausgangspunkt des 90minütigen Dokumentarfilms ist unsere Geschichte mit Upstalsboom. Es geht aber darüber hinaus, um zu zeigen, wie der Wandel der Arbeitswelt von der Ressourcenausnutzung hin zur Potenzialentfaltung gelingen kann. Die Vorpremieren waren allesamt sehr schnell ausverkauft. Da haben wir gesehen: Der Film bewegt, wir haben viele Tränen fließen sehen. Wir erleben viel Betroffenheit, aber auch Bewegtheit. Viele große Konzerne wie BMW, Otto und Lufthansa, fragen an und sind interessiert. Wir schätzen, dass der Film zwischen 100.000 und 200.000 Besuchern haben wird.
Was sagt die große Resonanz über die Unternehmenskultur in Deutschland aus?
Dass es eine ganz große Sehnsucht gibt. Die Menschen wollen etwas verändern, aber sie wissen nicht wie. Sie spüren, dass es so, wie es mancherorts geschieht, nicht weitergehen kann. Dass irgendwo eine Weiterentwicklung erforderlich ist, weil heute andere Dinge in den Vordergrund treten und wichtiger sind als vor 30 Jahren. Ich glaube, dass wir in den Köpfen auch so weit sind, aber dass unsere Systeme - vom Bildungssystem angefangen bis in die Unternehmenssysteme - zum Teil eben noch diese alte Welt darstellen. Und da entsteht eine Diskrepanz. Das heißt, in den Köpfen sind die Menschen weiter als die Organisationsstrukturen und Systeme es in den Unternehmen zulassen. Und je weiter das auseinanderdriftet, desto größer wird die Sehnsucht.
Wie geht es jetzt weiter mit Upstalsboom?
Wir wollen uns in Richtung einer gemeinnützigen Stiftung wandeln. Seitdem das bekannter wird, habe ich das Gefühl, dass das Vertrauen noch größer wird in das, was wir tun. Ich habe vor kurzem jemanden kennengelernt, der hat eine Masterarbeit zum Thema „Die Stiftung als Wirtschaftssubjekt der Zukunft“ geschrieben. Das fand ich super spannend. Ich erlebe nämlich gerade, dass uns Unternehmer anschreiben, die noch irgendwo ein Hotel stehen haben. Unternehmer, die dankbar für den Erfolg sind, den sie gehabt haben, und die sich vorstellen könnten, weiterzumachen, wenn sie zustiften dürfen. Gesprächspartner begegnen uns mit einem anderen Vertrauen, weil sie verstehen, dass wir nicht versuchen, uns selbst zu bereichern, oder das Geld in irgendwelche Shareholder-Kanäle fließt, sondern dafür eingesetzt wird, der Gemeinnützigkeit zu dienen.
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Der Interviewte:
Bodo Janssen übernahm die Hotelkette Upstalsboom, nachdem sein Vater bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war. Nachdem er bei einer Mitarbeiterbefragung ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt bekam, ging er zu Anselm Grün ins Kloster. Nach der inneren Einkehr veränderte er seinen Führungsstil und damit auch die Kultur des Unternehmens. Sein erstes Buch „Die stille Revolution“ erzählt die Geschichte seines Wandels, das neue gibt Erkenntnisse zum Unternehmenswandel weiter. Kontakt: www.der-upstalsboom-weg.de