Learntec 2011 im Rückblick

Eindrücke

Die Zahlen der vergangenen Donnerstag zu Ende gegangenen Learntec liegen vor: Mit 180 Ausstellern und 5.785 Besuchern verbuchte die Veranstaltung vom 1. bis 3. Februar ein Plus gegenüber dem Vorjahr (Besucher: 5.600, Aussteller: 160). Die Veranstalter reden von einer "Elektrisierung" und lobten "die neue Learntec". Doch was war eigentlich neu, was anders, was verbesserungswürdig? Meine Eindrücke aus Karlsruhe:

„Neu" ist ein relativer Begriff. Auf den ersten Blick wirkte diese 19. Ausgabe der Learntec auch nicht viel anders als die vorangegangene. Das Mehr an Ausstellern war mit bloßem Auge nicht zu bemerken, die Halle wirkte übersichtlich. Das Mehr an Besuchern verteilte sich über die drei Tage auch wenig auffällig.

Neu war auf jeden Fall der Beirat: Erstmals stand die Learntec unter der Ägide von Sünne Eichler und Prof. Peter Henning. Beide wirkten extrem engagiert, waren sehr präsent, aufmerksam gegenüber der Presse und den Referenten (soweit ich das erlebt habe). Getrübt wurde dieser Eindruck nur durch das permanente Eigenlob, nicht zuletzt von KMK-Sprecherin Britta Wirtz hervorgebracht.

Zum Kongress: Die aktuellen Themen der Zeit hat der Kongress bedient, aus meiner Sicht auf einem guten und weniger eigenmarketinglastigen Niveau als im Vorjahr. Was nicht heißt, dass die Vorträge insgesamt "besser" waren, manches war extrem dröge vorgetragen und daher schwer rezipierbar. Während eines Vortrags im Track "Semantische Technologien" etwa hielten die Teilnehmer "meiner" Stuhlreihe größtenteils die Augen geschlossen... Verbesserungswürdig erscheinen mir die Ankündigungen der einzelnen Beiträge: zum Teil extrem sperrig. Zum Teil hielten die Beiträge auch nicht, was im Titel angekündigt wurde.

Zu den Themen: Großes Interesse genossen Inhalte zu den Themen Social Media und Social Learning, Micro und Mobile Learning, Serious Games... Das Keyword über alle Themen hinweg war wohl Medienkompetenz, ein alter Bekannter mit gewichtiger Bedeutung. Zu meinen Highlights zählte die Keynote von Prof. Dr. Christian Elger, seines Zeichens Hirnforscher, der zum Thema Neuro-Learning referierte, die Beiträge des Mediendidaktikers Prof. Dr. Christian Swertz, und die Keynote von Steve Wheeler zu Web 2.0 bzw. Web 3.0.

Die Kernbotschaften von Elger im Schnelldurchgang: Anpassungsdruck führt zu Hirnentwicklung. Hirnentwickkung führt zu größerer Leistungsfähigkeit. Ergo: Jede Herausforderung ist für das Gehirn positiv. Es entwickelt sich zurück bei reduzierter Nutzung. Es gibt beim Lernen eine Macht des Impliziten. Beispielsweise schaffen Gesichter Vertrauen. Es handelt sich dabei um archaische Gesetzmäßigkeiten, die nur schwer zu durchbrechen sind. Die MRT (Magnet-Resonanz-Tomografie) hat die Gehirnforschung revolutioniert. Lernen geschieht ausschließlich im Wachzustand. Für die Konsolidierung des Gelernten ist aber Schlaf unabdingbar. Das Lernvermögen ist etwa mit 30 Jahren auf dem Höhepunkt. Eine Frau mit 60 Jahren hat das Lernvermögen eines 14jährigen Mädchens, ein 60jähriger Mann das eines 10jährigen Jungens. Die Gedächtnisleistung ist aber auch im Alter sehr hoch. Jung und Alt lernen verschiedentlich: Junge eher durch Repetition, Alte durch Strategie (Kontextlernen). Für das Lernen ist das "priming" wichtig, die so genannte Bahnung. Eine falsche Wortwahl, ein irgendwie negativ vorgestellter Lehrer (Stichwort: Lehrer-Bashing) ... wirken lernhemmend. Während des Lernens sollten Belohnungen gesetzt werden, z.B. bei Texten in Form von Neuigkeiten.

Die Keynote war nicht übermäßig besucht – anders als die von Steve Wheeler fand sie im Kongress statt – aber dennoch überzeugend. Elger plädierte für eine Arbeitsteilung von Neurologie und Didaktik, was ihm bei den Didaktikern sicher Sympathiepunkte einbrachte.

Die Kernbotschaften von Swertz: Lernen heißt verstehen. Microchips können daher nicht lernen und Computer nicht unterrichten. Dennoch gibt es die programmierte Unterweisung, die auch nicht verteufelt werden sollte, aber eben nicht immer funktioniert. Microlearning findet Swertz (Foto) sexy, versteht er darunter doch den Einsatz vernetzter Computersysteme in Lernprozessen. Zusammengebracht werden sollten kooperative, rezeptive und interaktive Elemente. Lerntypen indes funktionieren nicht. Sie gibt es seiner Aussage nach nicht: Man lernt beim Lernen, wie man lernt. Durch mediale Lernangebote wird weder eine Effizienz- noch eine Effektivitätssteigerung erreicht. Es geht schlicht um die unterschiedlichen Medienkulturen, die bedient werden wollen. Lehrer etwa haben eine andere als ihre Schüler.

Wheelers "beste" Aussagen in Twitter-Manier: For the first time we are preparing students for a future we can´t even describe. Blended Learning today: a mixture of formal learning (20 percent) and informal learning (80 percent). Zitat Don Tapscott: "It´s not what you know that counts it´s what you can learn". Learners will need new literacies: - social networking, - privacy maintenance, - identity management, - creating content, - organising content, - reusing and repurposing, - filtering and selecting, - self broadcasting. Retweeting is not repetition, it´s amplification. Web1.0 = hyperlinks, Web2.0 = user participation, Web3.0 = existing data reconnected for other users.

Das war übrigens ein Keynote-Vortrag, der im "Bildungsforum" auf der Messe gehalten wurde. Extrem voll (erstes Foto), ungewöhnlich rege Publikumsbeteiligung. Die Fragen der Zuhörer zeigten: Der Umgang mit Social Media brennt unter den Nägeln. Mehr zu Steve Wheelers Inhalten in seinem Blogpost Learning with e´s: Heating the house or burning it down?

Zur Messe: Drei grobe Beobachtungen. 1. Der Mittelstand rückt weiter in den Fokus. Verschiedene Anbieter haben ihre Angebote in der Richtung weiterentwickelt. Software-as-a-Service ist hier das Schlagwort. Pragmatismus steht im Vordergrund (d.h. statt ideale Großlösungen zu installieren, wird auf dem aufgesetzt, was in den Unternehmen schon vorhanden ist und wie es sich weiterentwickeln lässt). 2. Die E-Learning-Anbieter entdecken HR-Themen. Gleich mehrere Anbieter (im-c, chemmedia, TTS...) boten Lösungen fürs Talentmanagement. Vermutlich, weil die Themen verwandt sind und die Grenzen zwischen Talent Management, E-Learning, Personalentwicklung und Bildungscontrolling zunehmend verschwimmen bzw. zusammenwachsen. 3. Mobile Learning.

Fazit: Die Learntec in der Ausgabe 2011 war im Gesamten gelungen. Zwar fehlt Karlsruhe irgendwie der Spirit der Online Educa in Berlin. Vielleicht, weil die deutsche Szene weniger euphorisch und emotionalisierend auftritt. Fragwürdig fand ich anfangs das Konzept, auch Speaker wie Gregor Staub und Marco von Münchhausen einzubinden. Ich habe keinen von beiden gesehen, da ich ihre Vorträge von anderen Veranstaltungen kenne. Offenbar aber sind sie gut angekommen, sinnvoll erscheint in jedem Fall, solche Keynotes auf der Messe stattfinden zu lassen. Zum einen wird damit das in den vergangenen Jahren dahindümpelnde Bildungsforum aufgewertet, zum anderen gibt es damit eine zumindest kleine Verzahnung von Kongress und Messe. Die Resonanz auf die Wheeler-Keynote zeigte zudem, dass sich das Publikum gern beteiligt. Daher: mehr Diskussionen und Fragen zulassen. Gut fand ich, dass Nischen- und experimentelle Formate wie etwa die Spinnersuite dem Mainstream nicht weichen mussten. Nachgedacht werden sollte über die Preisverleihungen und Ehrungen, genauer über deren Rahmen und Präsentation. Für die D-Elina-Award-Vergebung etwa brauchte man viel guten Willen.

Weitere Rückblicke: Jochen Robes im Weiterbildungsblog Steve Weehler über die Learntec: The futures market Edgar Wang im Auftrag der Learntec im Veranstaltungsblog

Fotos (Quelle: Lars Behrendt, Learntec) Steve Wheeler auf dem Bildungsforum Prof. Dr. Christian Swertz während der Pressekonferenz Blick in die Messehalle
06.02.2011
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