Sabine Remdisch

„Digital Leadership ist vor allem Beziehungsmanagement“

Wie sieht die Führung von morgen aus? Was muss passieren, damit Organisationen die digitale Transformation bewältigen? Was braucht es an Kulturveränderung? Fragen wie diese sucht der Digital Leadership Summit zu beantworten. Am 21. Juni 2017 geht die Veranstaltung in die zweite Runde. Eröffnungsrednerin ist Sabine Remdisch, die zu „Führen und Arbeiten in der digitalen Welt“ forscht – unter anderem mit der Forschungsgruppe „LeadershipGarage“ in Palo Alto im Silicon Valley.

Prof. Sabine Remdisch, was hat Ihre Forschung ergeben: Wie wird Führung in der digitalen Welt aussehen?

Dazu haben wir eine spannende Studie durchgeführt und herausgefunden, dass Führungskräfte in der digitalen Arbeitswelt vor drei neuen Aufgaben stehen: Zum Ersten müssen sie Netzwerke moderieren können. Mitarbeitende arbeiten heutzutage ganz häufig in Teams, sind vernetzt und erhalten dadurch viel schneller Zugang zu Wissen. Dadurch verschieben sich auch die Machtverhältnisse, die Gesetze klassischer hierarchischer Strukturen gelten nicht mehr – Macht bedeutet nun, Einfluss im Netzwerk zu haben. Aufgabe der Führungskraft, des Digital Leaders, ist es somit, belastbare Arbeitsbeziehungen aufzubauen, Schnittstellen zu justieren, Informationen zu sammeln, zu bewerten und zu verteilen und alles in allem das Netzwerk noch effektiver zu machen.

Welche Aufgaben haben Digital Leader noch?

Eine zweite wichtige Aufgabe besteht darin, Visionen zu vermitteln, mit Visionen zu führen: Wo will das Unternehmen hin, und warum lohnt es sich für Dich, für dieses Unternehmen zu arbeiten? Jeder Einzelne muss wissen, welchen Beitrag er zum großen Ganzen leistet. In Zeiten der Globalisierung und der flexiblen Arbeitsorte verlieren Mitarbeitende schnell die Bindung an ihr Unternehmen, dann müssen die Führungskräfte ihre Mannschaften verstärkt zusammenhalten und auch entfernt sitzende Mitarbeitende erreichen. Und das geht sehr gut mit Visionen und emotionalen Geschichten: Die Führungskraft veranschaulicht die Werte und Ziele des Unternehmens, indem sie sie in eine emotionale Geschichte einbettet. So werden die Mitarbeitenden „mitgenommen“, erkennen eine attraktive Perspektive für sich, Bindung und Loyalität können entstehen. Führungskräfte von morgen sollten sich auf dieses Storytelling verstehen.

Was ist mit Coaching? Gehört das Ihrer Ansicht nach zum Digital Leadership?

Ja, Coaching ist die dritte wichtige Aufgabe. Wenn die Augenblicke, in denen Mitarbeitende ihren Führungskräften direkt gegenüber sitzen, immer seltener werden, werden sie auch umso kostbarer. Und wo jeder mehr und mehr auf sich selbst gestellt ist, ist vor allem Hilfe zur Selbsthilfe gefragt. Coaching kann beides leisten: Es kann Vertrauen und gegenseitiges Verständnis schaffen, und es kann durch die richtigen Fragestellungen Reflexionsprozesse und Lernprozesse triggern. Versteht sich die Führungskraft also auch als Coach, so kann sie mit dieser Methode Mitarbeitende ganz konzentriert weiterentwickeln, ihnen Motivation und Selbstwirksamkeit vermitteln, sie auf ihrem Berufsentwicklungsweg unterstützen. Es geht um diese kleinschrittigen, handlungsleitenden und so oft wie möglich gegebenen Feedbacks im Prozess, nicht mehr nur um das Jahresfeedback-Gespräch. Als Coach können Führungskräfte persönliche Nähe, Vertrauen, den Wunsch nach Feedback und Orientierung in den digitalen Arbeitsalltag integrieren.

Sind Sie also der Meinung, dass die digitale Arbeitswelt Führungskräften ganz neue Kompetenzen und Fähigkeiten abverlangt?

Ja. Ein „Mindset Shift“ bahnt sich an. Die Standards von gestern gelten nicht mehr, weil die digitale Arbeitswelt eben ihre eigenen Führungsgesetze hat: Netzwerk, Community, Empowerment der Mitarbeitenden, Design Thinking und Leading Innovation gehören ab jetzt zum Führungsvokabular.

Welche Erkenntnisse hat die „LeadershipGarage“ denn zur Rolle der Führungskräfte gewonnen? Sind diese auf die Herausforderungen vorbereitet?

Viele achten auf dem Weg zu einem digitalen Unternehmen vor allem auf die digitalen Investitionen. Das allein wird aber nicht ausreichen. Die Übergänge müssen auch vorausgeplant und umgesetzt werden. Hier sind die Führungskräfte gefragt: Sie müssen den digitalen Wandel und auch den damit verbundenen kulturellen Wandel gestalten und steuern. Dazu müssen sie keine Digital Natives sein, aber sehr gute Change Manager. Arbeitsabläufe und vor allem Führungsentscheidungen haben in der digital vernetzten Welt eine viel größere Tragweite. Führungskräfte müssen mit komplexen Daten umgehen und sich auf das Wissen sehr gut ausgebildeter Angestellter verlassen, die zugleich stärker mit einbezogen werden möchten. Die Bedeutung traditioneller Führungsrollen geht zurück; bloße Menschenführung weicht dem offenen Dialog, der auch Mitwirkung, Wissensaustausch, Motivation fördert. Die digitale Welt verlangt Führungskräften also viel ab.

Wie erkennen denn Führungskräfte, ob sie auf diese Rolle vorbereitet sind?

Wie gut sie darauf vorbereitet sind, können Führungskräfte zum Beispiel in unserem Online-Self-Assessment "Digital Preparedness" prüfen. Das Self-Assessment umfasst eine zuverlässige Diagnose des persönlichen Führungsverständnisses und -verhaltens und motiviert zur Selbstreflexion der Führungsmuster. Führungskräfte können ihre Einstellungen und Verhaltensweisen hinterfragen: Halten sie den Anforderungen der digitalen Welt stand? Dabei zeigt sich: Ihr Level der Vorbereitung auf die neuen Aufgaben ist unterschiedlich. Der Grad der Digitalisierung im Unternehmen, die Arbeitsumgebung, die eigene digitale Selbstwirksamkeit, was man sich zutraut und auch die Offenheit für Neues nehmen Einfluss. Viele Führungskräfte suchen noch nach ihrer neuen Rolle in der digitalen Welt der Collaboration, Arbeit auf Distanz und ihrem dauernden Innovationsdruck.

Welche Unterschiede sehen Sie im Umgang mit der digitalen Transformation zwischen den Unternehmen im Silicon Valley und denen in Deutschland?

Im Silicon Valley ist der Begriff von der digitalen Transformation weitgehend unbekannt, denn dort sind die meisten Unternehmen bereits digital gestartet und fest im Data Business unterwegs. Die deutschen Unternehmen hingegen sind über eine sehr lange Zeit gewachsen, haben Traditionen aufgebaut, waren mit ihren Produkten über Jahrzehnte sehr erfolgreich. Für sie kommt nun die Wende, ihre bisher erfolgreichen Geschäftsmodelle wanken, ein Umdenken wird notwendig: Die zukünftige Unternehmenswelt funktioniert datenbasiert, und Deutschland muss diesen Shift vom Produkt zu Data jetzt stemmen.

Was raten Sie deutschen Unternehmen: Was sollten sie sich aus dem Silicon Valley abschauen?

Was ganz sicher nicht funktionieren wird, ist ein einfaches Copy und Paste. Wir müssen sehr genau analysieren und verstehen, warum das Silicon Valley so erfolgreich ist, und diese Prinzipien auf die deutsche Unternehmenstradition, ihre Kultur, ihre Ökosysteme aufsetzen und sie umsichtig mit den Dateninnovationen aus dem Silicon Valley verheiraten. Nur dann wird etwas Wertvolles und Zukunftsfähiges daraus. Also: Hinfahren, Erfahrungen sammeln, in die Kultur und die treibenden Kräfte der Innovation und des Wachstums eintauchen!

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Foto: Sabine Remdisch hält auf dem Digital Leadership Summit einen Impulsvortrag mit dem Titel „Mehr als digital: Führung von morgen“. Gemeinsam mit den Zuhörenden wird die Forscherin entwickeln, wie Führungspersonen am effektivsten in einer digital vernetzten Arbeitsumgebung agieren und wirksam Teams in virtuellen Strukturen führen können. Ihre Kernbotschaft: Digital Leadership bedeutet nicht nur Führen mit digitalen Medien, sondern ist vor allem auch Beziehungsmanagement.

Fotoquelle: Inga Sommer

02.05.2017
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