HEMA

Die klassische Organisationsstruktur stieß an ihre Grenzen

Dass Agilität nicht nur was für junge hippe Unternehmen ist, zeigt die Heermann Maschinenbau GmbH. Das schwäbische Unternehmen ist eine von zwei Stationen, die der „Musterbrecherexpress“ Mitte Oktober anfährt. Auf der Lernreise lernen die Teilnehmenden das Traditionsunternehmen kennen, das vor fünf Jahren seine Strukturen umstellte, seine Führungsebene abschaffte und Augenhöhe einführte. Im Interview erzählt Geschäftsführer Markus Bleher von der Transformation.

Ihr Unternehmen ist eine der Stationen, die auf der Lernreise der „Musterbrecher“ angefahren wird. Was können die Lernreisenden, die zu Ihnen in die Firma kommen, sehen?

Markus Bleher: Ich gehe davon aus: viele lachende Gesichter. Wir werden uns als Geschäftsführung an dem Tag zurückhalten und die Teamsprecher und Teammitglieder reden lassen. Sie geben Einblicke in unsere tägliche Arbeit, erzählen von unserer Geschichte und von dem Umbruch vor einigen Jahren.

Ihre Geschichte erzählt von der Transformation: vom klassischen Maschinenbauer zum New-Work-Unternehmen. Was genau haben Sie umgebaut?

Wir kommen aus dem klassischen Standardmaschinenbau mit hohen Stückzahlen und standardisierten Bauteilen, und feiern demnächst sogar hundertjähriges Jubiläum. Schon mein Schwiegervater hatte angefangen, das Unternehmen umzubauen, sprich geänderte Standardmaschinen und Sondermaschinen einzuführen, also auf die Marktanforderungen zu reagieren. Dafür sind wir ihm sehr dankbar, denn in Deutschland sind inzwischen alle Standard-Bandsägenhersteller ausgestorben. Mein Schwager und ich sind 2009 in das Unternehmen eingestiegen und haben drei, vier Jahre lang Erfahrung gesammelt in den gewohnten Führungsstrukturen mit Produktionsleiter, Montagemeister, Fertigungsmeister usw.. Strukturen also, in denen die Führungskraft dem Mitarbeiter sagt, was es zu tun gibt. Mein Schwager und ich haben damals schon damit gehadert, dass bei uns der Umgangston nicht stimmt. In der Summe war das nicht konform mit unserer Denkweise.

Was hat dann konkret zur Umstrukturierung geführt?

2012/2013 hat sich bei uns ein sehr großer Auftrag angebahnt aus Russland. Der hatte einen Wert von sechs Millionen Euro, was unserem damaligen Jahresumsatz entsprach. Um das große Projekt mit zu koordinieren, haben wir einen neuen Projektleiter eingestellt: Marco Niebling. Der hat damals die Aufgabe bekommen, ein sauberes Projektmanagement aufzusetzen. Das Projekthandbuch gibt es noch, es liegt noch heute in der Schublade. Marco ist dann mehr oder weniger durch Zufall auf die agilen Methoden gestoßen. Da haben wir erst mal laut losgelacht, aber irgendwie saß der Stachel. Wir haben uns dann intensiver mit der Thematik beschäftigt und erkannt: Das klassische Führungsverhalten, die klassische Organisationsstruktur und das klassische Projektmanagement haben vor dem Hintergrund der gestiegenen Komplexität längst ihre Grenzen erreicht. Vor allem deshalb, weil sie verhindern, dass die Mitarbeiter mehr Verantwortung übernehmen.

Wie sind Sie nach der Einsicht vorgegangen?

Wir haben mit einer externen Beraterin mehrere Workshops in der ganzen Firma gemacht. Dann haben wir von einem Jahr aufs andere, also sprich zum 1. Januar 2013, das Unternehmen auf die agilen Methoden umgestellt. Und das fragt man uns immer wieder: Und dann? Was ist dann passiert? Die Antwort: soviel eigentlich nicht. Es hat funktioniert. Komischerweise hat es funktioniert.

Warum hat es funktioniert?

Weil es im Prinzip auch schon vorher in ähnlicher Weise funktioniert hat. Ich behaupte mal, dass das in den allermeisten Firmen der Fall ist: dass die Mitarbeiter mit ihrem Fachwissen die Arbeit in den Griff bekommen. Wir haben die Vorgesetzten abgeschafft und ihnen andere Rollen gegeben. Und die Projektkoordination in die Teams verlagert, die jeweils einen Teamsprecher gewählt haben.

Und die Führungskräfte haben hingenommen, dass sie ihrer Positionen beraubt wurden?

Beraubt ist der falsche Begriff. Besser: befreit. Aber tatsächlich ist das eine Thematik, die viele Unternehmen umtreibt, die auf agile Methoden umstellen wollen. Führungskräften, die 20, 30 Jahre Vorgesetzte waren, geht plötzlich die Daseinsberechtigung verloren. Da entsteht enormes Konfliktpotenzial. Wir haben das gemacht, was wir schon hätten früher tun sollen und wozu auch der gesunde Menschverstand rät: uns gefragt, was sind die Stärken dieser Mitarbeiter, wo setzen wir sie ein? Denn uns war klar, dass wir sie nicht verlieren wollen, weil wir sie mögen, sie gut sind und zu uns passen. So ist der Montagemeister beispielsweise heute im Team After Sales tätig, der Fertigungsmeister im Bereich Entwicklung und Arbeitsvorbereitung. Beide Mitarbeiter sind gute Beispiele für den Gewinn eines solchen Umbaus: Beide hatten etwas Defizite im Umgang mit ihren Kollegen. Jetzt brauchen sie ihre Mitarbeiter nicht mehr anzuweisen, sondern sie können sich mit den Dingen beschäftigen, mit denen sie sich auskennen und vor allem auch unseren Kunden einen wichtigen Mehrwert bringen.

Und die Mitarbeiter? Wie haben sie die Umstellung mitgemacht?

Zunächst kam eine brutale euphorische Phase, das wurde uns allerdings auch prophezeit. Die Handschellen waren weg, und alle sind losgerannt. Es haben sich relativ schnell viele Mitarbeiter herauskristallisiert, die gerne Verantwortung übernehmen wollten, die sich dann aber verrannt haben in ihrer eigenen Euphorie. Es gab ja eine ganze Reihe von Projekten, die koordiniert werden mussten. Diese Arbeit wurde vorher von den Meistern, den Vorgesetzten, gemacht. Das war jetzt bei den Teams, und das war zu viel, weil es schlichtweg an Erfahrung fehlte.

So kippte die Euphorie in Frustration?

Nein, es war keine Frustration. Es war eine Enttäuschung. Es wurde wahnsinnig viel diskutiert, und es fehlte so ein bisschen die Richtung und die Zielführung in der Diskussion. Wir haben dann relativ zügig nach der Umstellung Kommunikationstrainings für das gesamte Unternehmen angehängt. Denn das hatten wir völlig vernachlässigt: Wie sage ich was? Wie kommuniziere ich, wenn etwas nicht läuft? Wie kritisiere ich auf der sachlichen Ebene? Das ist ja bei diesen Arbeitsweisen, bei denen viel zusammen geredet wird, wahnsinnig wichtig. Zudem mussten wir das strukturierte Arbeiten, die strukturierte Vorgehensweise neu erlernen.

Wie geben Sie der Arbeit jetzt Struktur?

Als Ziel gilt für uns der Liefertermin für den Kunden. Wenn wir den einhalten, wissen wir, das Projekt lief relativ effizient und erfolgreich durch. Wir machen wöchentlich eine Gesamt-Projektbesprechung mit allen Teamsprechern, da wird pro Projekt der Status abgefragt und abgeglichen, sodass sich die Teams untereinander koordinieren und auf Kundenwünsche, Krankheitsausfälle und Lieferengpässe reagieren können. Die Struktur wird dokumentiert, ins Dokument kann jeder reinschauen. Und die Doku wird jeden Tag mitgepflegt, so dass Änderungen von Lieferterminen etc. eingetragen und alle betroffenen Stellen immer informiert und up to date sind.

Machen Sie also ein Daily Scrum?

Wenn wir hier sagen würden, wir machen jetzt ein Daily Scrum, dann läuft Ihnen hier jeder davon und sagt, macht euren Scheiß selber. Sagt man aber, lasst uns mal kurz drüber sprechen oder in Schwäbisch: babbele, dann hört jeder zu und leistet einen Beitrag. Wir sind hier im kleinen, schwäbischen Frickenhausen. Da kommen Sie mit solchen Worten nicht so weit. Wir haben mit der agilen Methodik so begonnen, wie es in der Literatur empfohlen wird. Es gab auch Boards und viele bunte Zettel. Wir haben aber relativ schnell erkannt, dass wir es so machen müssen, wie es zu uns passt. Denn bei der Agilität steht der Mensch im Mittelpunkt, also auch unsere Mitarbeiter. Und daher muss es ja zu unserer Kultur passen.

Foto: Markus Bleher (links) und sein Schwager Christoph Heermann. Beide sind Geschäftsführer der Heermann Maschinenbau GmbH. Das schwäbische Unternehmen gilt als Vorzeigeunternehmen in Sachen New Work und agile Transformation. 2015 wurde es mit dem New-Work-Award von Xing ausgezeichnet, Mitte Oktober ist es Station der Lernreise „Musterbrecher-Express“. ****

Das vollständige Interview gibt es in der Printausgabe von managerSeminare.

26.09.2018
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