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Übersicht AnsprechpartnerDie Zukunft der Personalgewinnung ist geprägt von Algorithmen, künstlicher Intelligenz, Automatisierung – und dem Menschen. Das war die Botschaft des deutschen Personalberatertags in Königswinter. 20 Jahre alt wurde der Kongress des Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU) in diesem Jahr – ein guter Anlass, um zurückzuschauen und vorauszublicken.
Ein Beitrag von Sarah Lambers
Es riecht noch ein bisschen nach Farbe in den frisch renovierten Räumen des Steigenberger Grandhotels auf dem Petersberg, und man erwartet regelrecht, irgendwo ein vergessenes Preisschild oder einen Rest Kreppband zu entdecken. Bei näherem Hinsehen kommt einem jedoch vieles vertraut vor: Die Stühle, Vorhänge und Lampen erinnern an die Zeit vor dem Umbau. Mit der Verbindung von alt und neu bildet die Location die perfekte Kulisse für den Jubiläumskongress.
Der nämlich steht unter dem Motto: „Innovation trifft auf Tradition“. Insgesamt über 200 HR-Manager und Personalberater, ein neuer Besucherrekord für den deutschen Personalberatertag, haben im großen Bankettsaal des Hotels Platz genommen. Die meisten stehen für die Tradition: Sie tragen Anzug oder Kostüm, schlürfen Apfelschorle und siezen ihren Sitznachbarn. Und doch halten sie in den Händen ihre Smartphones. Nicht ohne Grund: Über das digitale Voting-Tool Mentimeter sollen sie online eingeben, wie oft sie bereits Besucher des Kongresses waren. Einige tippen Zahlen von 1 bis 20 ein, andere nutzen die Gelegenheit, um noch schnell ihre Recruiting-App zu checken oder Fotos bei Facebook hochzuladen. Währenddessen hält BDU-Vizepräsidentin Regina Ruppert ihre Begrüßungsrede und verspricht den Teilnehmern einen Tag voller Diskussionen – über den Einsatz digitaler Tools, aber vor allem über die Rolle des Menschen im Recruiting. „Die Zukunft ist unvermeidbar. Aber es liegt an uns Menschen, sie zu gestalten“, betont die Personalberaterin, bevor der Beamer den technologischen Fortschritt in Erinnerung zurückruft und eine 3,8 an die Wand wirft – die durchschnittliche Anzahl der Kongressbesuche pro Teilnehmer in der Vergangenheit. Ob sich Recruiting-Spezialisten auch in ferner Zukunft noch zum Austausch auf dem deutschen Personalberatertag treffen werden? Zumindest die BDU-Vizepräsidentin ist davon überzeugt: „Die Personalgewinnung ist etwas, das auch in 20 Jahren noch am Menschen, für den Menschen und mit dem Menschen stattfinden wird.“
Um den Menschen, vor allem um seine Gefühle, geht es auch in der Eröffnungs-Keynote von Dirk W. Eilert. Als Experte für emotionale Intelligenz und Mimikresonanz kennt er sich aus mit Gefühlen und den dazugehörigen Gesichtsausdrücken. Wir sehen uns Videoausschnitte an. Markus Lanz, wie er im Gespräch mit Celine Dion kurz die Luft anhält, Jürgen Klopp mit hochgezogenen Augenbrauen und zuckendem Mundwinkel. Anhand dieser Beispiele von Mikroexpressionen – feinen Bewegungen in der Mimik – erklärt Eilert, wie man die wahren Gefühle seines Gegenübers erkennen kann. Die Teilnehmer hören aufmerksam zu. Sie wissen, wie oft Emotionen im Spiel sind: in Bewerbungsinterviews, im Verkauf, im Rahmen transformationaler Führung... Und sie wissen auch, dass es hilfreich sein kann, Gefühle wie Ärger, Wut oder Enttäuschung zu identifizieren und anzusprechen. Eilert spult die Aufnahme von Klopps Gesicht noch einmal zurück. „Sehen Sie? Da! Die ersten 500 Millisekunden sind das Geheimnis. In dieser Zeitspanne gibt es kein Pokerface, weil die Mimik schneller ist als der Verstand“, erklärt der Emotionsexperte.
In der Pause am Vormittag findet das Gelernte direkt Anwendung. „Ich glaube, da unten bei Ihnen im Gesicht hat gerade etwas gezuckt... Stimmen Sie mir etwa nicht zu?“, neckt eine HR-Managerin ihren Kollegen, der grübelnd an seinem Kaffee nippt. Dahinter zwei Personalberater, die sich über digitale Tools unterhalten. Auf beiden Gesichtern: Sorgenfalten. Kein Wunder, schließlich nimmt der Einsatz digitaler Technologien zu und verändert das Geschäft der Headhunter fundamental. Zu dieser Erkenntnis kommt auch der BDU in seiner Marktstudie 2018, die er in einer Pressekonferenz auf dem Kongress vorstellt. Der Studie zufolge stimmen 80 Prozent der Personalberater der Aussage zu, dass die Nutzung digitaler Technologien künftig entscheidend für den Erfolg der Geschäftsmodelle von Personalberatern sein wird. Doch welche Tools eignen sich für die Personalauswahl und werden diagnostische Testverfahren und People Analytics über kurz oder lang den Personalberater oder Recruiter komplett ersetzen?
Ein klares Nein auf diese Frage gibt Rüdiger Hossiep in einem Expertentalk. Für den Wirtschafts- und Personalpsychologen steht fest: Technologische Verfahren liefern wertvolle Daten, werden den Menschen aber nicht vollständig ersetzen können. „Algorithmen sind nur so gut wie der Mensch, der sie programmiert hat“, erklärt der Eignungsdiagnostiker, der selbst an der Entwicklung einiger Testverfahren beteiligt war. „Was ist denn aber mit Machine Learning?“, fragt ein Personalberater aus den Reihen der Zuhörer. Bei „Machine Learning“ zuckt Hossiep kurz zusammen. Ein heikles Thema. Die anderen beiden Experten aus der Runde, Martin Kersting, Professor für psychologische Diagnostik an der Universität Gießen, und Wirtschaftspsychologe David Scheffer runzeln etwas ratlos die Stirn. Dann entsteht eine lebhafte Diskussion über selbstlernende Programme, Statusdiagnostik, Augenscheinvalidität und die Grenzen des menschlichen Verstandes. An diesem Punkt müssen alle drei Experten schließlich zugeben: Ja, selbstlernende Programme können besser werden als der Mensch.
Torsten Biemann wartet in seiner Keynote mit dem passenden Beispiel dafür auf: ein Algorithmus, der bei der Vorhersage geeigneter Kandidaten für ein Unternehmen gleich mehrere Recruiter in den Schatten stellt. „Das ist allerdings kein Grund zur Beunruhigung“, beeilt sich der Professor für Personalmanagement und Führung an der Universität Mannheim beim Blick in einige entsetzte Gesichter hinzuzufügen. „Wenn künstliche und menschliche Intelligenz zusammenwirken, kann ein großer Mehrwert entstehen“, so der Führungsexperte. Künstliche Intelligenz sei für die Auswertung der Daten bestens geeignet, menschliche Intelligenz dafür besser für die Evaluation. Und das werde sich auch so schnell nicht ändern. Er führt aus: Evaluiert werden müsse z.B., ob sich die Kandidaten später im Unternehmen tatsächlich als erfolgreich herausstellen. Der Algorithmus könne nur anhand dieser Auswertung dazulernen bzw. neu oder feiner justiert werden. Voraussetzung für die Evaluation sei dabei immer, dass der Algorithmus vom Menschen verstanden wird.
Und genau darin sind sich auch die Professoren aus der Expertenrunde einig: Selbstlernende Programme können nur so lange eingesetzt werden, so lange sie verstanden werden.
„Das ist wie mit dem Lügendetektortest“,
wirft Kersting ein. „An der Validität und Reliabilität der Daten zweifelt so gut wie niemand mehr. Sie sind vor Gericht nur nicht zugelassen, weil keiner das System versteht, das dahinter steckt.“ Schweigen. Eine Frage,
die keiner zu stellen wagt, schwebt durch den Raum: Warum ist es überhaupt wichtig, das System zu verstehen? Die Antwort liefert Diagnostiker Kersting ganz unaufgefordert:
„Die Kandidaten müssen jederzeit wissen, welche Daten sie über sich zu welchem Zweck preisgeben. Das hat mit der Wahrung der Subjektqualität zu tun.“
Und es gibt noch weitere Gründe, die mehrmals an diesem Tag anklingen: Neben der Tatsache, dass Daten geschützt werden müssen und Algorithmen Fehler haben können, gibt es auch immer Menschen, die versuchen, das System auszutricksen. „Gaming the System“ nennt Führungsexperte Biemann das. So passiere es z.B. häufig, dass Bewerber Keywords wie Teamfähigkeit, Flexibilität, SEO oder SAP in ihren Lebenslauf schmuggeln, indem sie weiße Schrift auf weißem Hintergrund verwenden. Der Gedanke dabei: Viele Unternehmen setzen Algorithmen ein, die Bewerbungen nach bestimmten Schlüsselbegriffen scannen. Sind sie im Dokument vorhanden, kommt der Bewerber in die nähere Auswahl. Und das, obwohl die Person wahrscheinlich nicht geeignet ist. „Ein menschlicher Recruiter sieht einer Bewerbung auf den ersten Blick an, ob sie gefakt ist oder nicht. Eine Maschine tut sich da schwerer“ , erklärt Biemann. Am Ende des Personalauswahlprozesses, so lautet Biemanns Fazit, stehe daher immer ein vernunftbegabtes Wesen – also ein Mensch.
Der Comedian und Physiker Vince Ebert bringt das in seiner Abschlusskeynote mit den Worten „Computer rechnen, Gehirne verstehen“ auf den Punkt: Das Denken sei die evolutionäre Nische des Menschen, denn in allem anderen sei er nun einmal nicht besonders gut. Sein Tipp: auch in Zukunft weiterhin denken und das nicht Maschinen überlassen. So endet der 20. Personalberatertag mit Gedanken über das Denken und einer Feedbackrunde – natürlich digital über Mentimeter.com.
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Foto 1: In der Pause üben sich die Besucher des Kongresses im Erkennen von Mikroexpressionen.
Foto 2: Im Expertentalk ist man sich am Schluss einig: Der Mensch muss die Kontrolle über den Algorithmus behalten. Personen v.l.n.r.: Arne Adrian (Moderator), Martin Kersting, Rüdiger Hossiep, David Scheffer.