Coaching-Kongress 2016 in Erding

Coaching goes laaaangsam digital

Lebendig und locker in der Form, anspruchsvoll in den Inhalten – so zeigte er sich: der Coaching-Kongess in Erding. Der Branchentreff der Erdinger Hochschule für angewandtes Management stand in seiner dritten Ausgabe Ende Februar 2016 im Zeichen der Digitalisierung. Mit einer eindeutigen Botschaft: Die Digitalisierung „ist immer und überall“ – und hält damit auch Einzug ins Coaching.

Gastbeitrag von Svenja Gloger

Donnerstag Morgen, Schneetreiben im Großraum München. Vom Flughafen aus geht`s mit dem Bus durch eine weite, weiße Landschaft. Von Schneerändern gesäumte Dorfstraßen. Eine verschlafen-beschaulichen Atmosphäre. Und hier soll sich ein großer Kongress auftun – ein aufgewecktes Event, auf dem sich die deutschsprachige Coachingszene trifft? Die Antwort zeigt sich beim Betreten der Stadthalle Erding: Ja, auch in seinem dritten Jahr ist der Erdinger Coaching-Kongress gut besucht. In der Idylle brummt der Bär. Insgesamt 220 Menschen tummeln sich im Foyer, an den Ausstellungsständen von Anbietern und Verbänden sowie in den Räumen der Stadthalle. Viele sitzen bereits an einem der runden Tische im großen Keynoter-Saal, es ist 9.30 Uhr und geht gleich los.

„Wenn Sie sich jetzt mit digitalen Medien im Coaching befassen, sind Sie gut aufgestellt. Dann zählen Sie zu den Vorreitern“, macht Kongress-Organisatorin Jutta Heller den Teilnehmern in ihrer Begrüßungsrede Mut, sich als Coach auch in praxi mit dem Thema zu befassen, dem sich der Kongress an den kommenden beiden Tagen in erster Linie theoretisch widmet: Es geht um die Frage, wann und wie webbasierte Coaching-Plattformen und –Tools sowie Formate wie Telefon und E-Mail das klassische Face-to-Face-Coaching sinnvoll ergänzen oder gar komplett ersetzen können.

Bereits im Rahmen der ersten Vorträge fällt auf: „Virtuelles Coaching: ja oder nein, Weihwasser oder Teufel?“ – diese Grundüberlegung steht schon so gut wie gar nicht mehr im Raum. Die Realität hat längst die Weichen in Richtung „go!“ gestellt. „Die Digitalisierung ist in der Welt“, betont Claas Triebel, Professor für Wirtschaftspsychologie in Erding, in seiner Eröffungs-Keynote, „und sie wird auch die Coaching-Branche radikal verändern“. Etliche Anschlussredner konkretisieren und betonen im weiteren Veranstaltungsverlauf: „Manager nutzen digitale Medien und wollen sie auch im Coaching eingesetzt wissen.“ Der Bedarf an virtuellem Coaching besteht nicht zuletzt, weil diese Coachingform praktisch ist: Unabhängig, ob sich Manager gerade in Kopenhagen aufhalten oder in Katmandu, über digitale Medien können sie unkompliziert und spontan auf ein Coaching zugreifen – so und so ähnlich heißt es immer wieder während der beiden Kongresstage.

Allerdings geht genau hier eine Schere auf: Die Coachees begrüßen virtuelle Coachings – die wenigsten Coachs aber bieten sie tatsächlich an. Letzteres zeigt die Coaching-Umfrage Deutschland 2015/2016 von Jörg Middendorf, von der ein Auszug auf einem der Kongresstische ausliegt. Ins Auge springt: Von 454 befragten Coachs nutzt gerade einmal ein Prozent der Coachs für ihre Coachings online-gestützte Expertensysteme, ein weiteres Prozent coacht in webbasierten virtuellen Räumen. Das Telefon setzen zwar immerhin sieben Prozent der Coachs ein, doch bildet das Face-to-Face-Coaching mit 85 Prozent nach wie vor das klassische Coaching-Setting.

Mit anderen Worten: Zwischen Coachee-Wunsch und Coach-Wirklichkeit, zwischen Bedarf und Angebot gilt es nun, eine Brücke zu bauen. Und das ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Denn wer virtuell coachen will, braucht nicht nur neue technische Kompetenzen im Ungang mit neuen Medien – erforderlich ist insgesamt ein neues Kompetenzprofil.

Besonders deutlich wird dies im Vortrag von Elke Berninger-Schäfer. „Einfach nur ein neues Medium zu nutzen und sich dabei als Coach genauso zu verhalten wie sonst auch, ist nicht professionell“, gibt die Coach-Ausbilderin und Betreiberin von „CAI“, einer Plattform für Online Coaching, am Morgen des zweiten Kongresstages zu verstehen: „Im Web müssen wir lernen, uns kurz zu fassen. Wir müssen lernen, zwischen den Zeilen des Klienten zu lesen. Und wir müssen uns vorab überlegen: Was ist unser Plan B, wenn im Coaching plötzlich die Internetleitung wegbricht?“ Weitere Fragen, die ein virtueller Coach beantworten können muss: Wie kann virtuell die Beziehung gestaltet werden? Wie werden im virtuellen Raum Emotionen transportiert? Und welche Methoden aus meinem Tool-Koffer kann ich als Coach auch online einsetzen? All das erfordere eine intensive Auseinandersetzung, bevor man sich als Coach auf ins Web macht.

In den Diskussionen nach den Vorträgen, in den Pausen an den Stehtischen, beim Mittagsbuffet in der Stadthalle – immer wieder zeigt es sich: Viele der Kongressteilnehmer haben sich über diese Fragen bereits Gedanken gemacht. Aber natürlich: Wenn sie nicht web-affin wären, wären sie nicht zu einem Coaching-Kongress mit Schwerpunkt Digitalisierung gereist.

Spätestens bis zum Jahr 2020 sollte sich dann wohl auch der Rest der Coaching-Welt mit den neuen Herausforderungen auseinander gesetzt haben. Jedenfalls, wenn die Prognose zutrifft, die der Deutsche Bundesverband Coaching (DBVC) in einer Umfrage erhoben hat (*leider nicht online*, Anm. der Redaktion). Coach Jörg Radl, der u.a. den Coaching-Pool am Münchner Flughafen betreut, wirft sie am Ende seines Vortrags mit dem Beamer an die Wand. Ein stummes Verblüffen erfüllt den Raum. Denn es zeigt sich: Weit über zwei Drittel der Coachs glauben heute: In nur vier Jahren werden Face-to-Face-Coachings allenfalls noch 60 Prozent der praktizierten Coachingformen ausmachen.

Foto 1: 220 Coachs waren nach Erding zum Coaching-Kongress gekommen. Foto 2: Beamer-Sheet: Fragen professioneller Coachs zur Kommunikation.

03.03.2016
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