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Übersicht AnsprechpartnerWie gelingt es, dass alle Mitarbeitenden möglichst selbstbestimmt, selbstverantwortlich und selbstorganisiert im Sinne des großen Ganzen agieren? Anders ausgedrückt: Wie geht Empowerment – und wie lässt sich dieser Ansatz weiterdenken? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Jahrestagung der Unternehmensberatung Kienbaum Mitte Mai 2019 in Köln.
Ein Beitrag von Andree Martens
Der türkische Marsch ertönt im Bistro des Headquarters von Kienbaum Consultans International in Köln. In fünf Gruppen hantieren die Kongress-Teilnehmer, größtenteils Führungskräfte aus dem HR-Bereich, mit bunten Luftballons. Fast wirkt es so, als würden sie dabei dem flotten Takt des Mozart-Stücks folgen. In die Tasten haut die Innovationsexpertin Seda Röder, sie hat auch die Aufgabe vorgegeben: Binnen vier Minuten – solange die Klaviermusik erklingt – mit Luftballons und Tesafilm einen möglichst hohen Turm bauen.
Während eine solche Aktion vor wenigen Jahren in diesem Rahmen vielleicht noch für das ein oder andere Stirnrunzeln und einen sich leerenden Raum gesorgt hätte, führt sie heute zu ausgelassener Betriebsamkeit. Die NewWorkisierung ist auf dem Jahreskongress des ältesten Beratungsunternehmens Deutschlands deutlich zu spüren. Sie oder du? Du natürlich. Maßband fehlt? Macht nichts, messen wir die Luftballontürme einfach an den Beinen von Julia. Die Stimmung steigt und mithin der Energielevel – Auftrag des Mittags-Incentives ist erfüllt.
Den Energieschub können die Teilnehmenden gut gebrauchen. Denn während in den Fluren und auf den Flächen ein Groove irgendwo zwischen Modern Club und Jahrmarkt herrscht – vor dem Gebäude sind Loungemöbel auf der Wiese verteilt, überall Getränkestände und Kühlschränke mit Fritz Cola & Co., lässige Lounge-Musik im Ausstellungsbereich, ein Fahrsimulator, eine Candy Bar … –, werden in den Plenumsvorträgen und den parallelen Sessions dicke Bretter gebohrt. Es geht um die Frage, wie es gelingt, dass alle im Unternehmen möglichst selbstbestimmt, selbstverantwortlich und selbstorganisiert im Sinne des großen Ganzen agieren. „Leadership by Empowerment“ lautet das dazugehörige Veranstaltungsmotto.
Fabian Kienbaum, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens, erläutert es bei der Kongresseröffnung genauer: „Die Herausforderung besteht darin, die Stärke der Vielfalt zu nutzen und gleichzeitig die Individualität eines jeden Einzelnen zu respektieren.“ Eigentlich reiche Empowerment nicht, WePowerment sei gefragt. Dieser Begriff wird nicht nur überall in den Räumen auf Plakaten präsentiert, sondern dann auch zu einem Trend-Topic bei Twitter im Stream zur Veranstaltung. Raum, ihn mit zeitgemäßem Gedankengut der neuen Arbeitswelt zu füllen, lässt er auf jeden Fall. Fabian Kienbaum bietet dazu einen fast schon philosophischen Gedanken an: „Wollen wir miteinander arbeiten oder füreinander?“
Was in diesem Gedanken anklingt, wird auch in den anderen Vorträgen deutlich: WePowerment ist vor allem ein Kulturthema. Thomas Ogilvie etwa, Personalvorstand der Deutsche Post DHL Group, betont in seinem Vortrag, dass für das gemeinsame Empowerment der Menschen im Unternehmen ein positiver Vibe entscheidend sei. Die Führungskräfte müssten vermitteln, dass die Zukunft positiv ist, „sonst kann auch die Organisation nicht positiv sein.“ Und wenn die Stimmung negativ ist, so Ogilvie, trauen sich alle weniger zu, herrsche eher Absicherungsmentalität, Initiative und Selbstverantwortung können nicht gedeihen. Wichtig sei zudem, den Weg in die Zukunft positiv zu gestalten, wie Rahmyn Kress, Chief Digital Officer bei Henkel, im Bühneninterview unterstreicht: „Change ist immer unangenehm, es geht darum, ihn charmant unangenehm zu gestalten.“
Auch im moderierten Talk zur Frage, was die Organisation als Ganzes tun kann, um die Mitarbeitenden zum empowern oder im Veranstaltungsslogan gesagt: zu wepowern, geht es sofort wieder um das Thema Kultur. Die thematische Hinführung übernimmt Sandra Breuer von combine Consulting, einem Experten für Bürokonzepte. „Räume prägen das Verhalten, Verhalten prägt die Kultur“, lautet ihre Grundüberzeugung. Eine Arbeitslandschaft, die eine Kultur fördert, die die Mitarbeiter empowered, lässt vor allem Raum, sagt Breuer. Raum zum Denken und Raum für Begegnung. Und Begegnung fördert sie zudem gezielt: „Planning for Serendipty, nennen das Architekten“, erklärt Breuer. Ein solches Raumkonzept erhöht die Chance für zufälligen Austausch, für interne Vernetzung, die nicht nur für die betreffenden Mitarbeitenden, sondern vielleicht sogar fürs ganze Unternehmen zum Glücksfall wird.
Wie so ein Raumkonzept konkret aussehen kann, lässt sich direkt vor Ort erfahren. Denn das Gebäude im Kölner Business Park, in das Kienbaum vor zweieinhalb Jahren mit seinem Headquarter gezogen und das dieses Jahr erstmals Location der Jahrestagung der Unternehmensberatung ist, ist nach diesem Prinzip geplant und – mit Unterstützung von Sandra Breuer – eingerichtet worden. Der Vorplatz des zweistöckigen Komplexes aus viel Glas und schlanken, weißen Betonelementen wirkt geradezu googleresk. Ein riesiges gepflegtes Grün, durchzogen mit Wegen und durchsetzt mit kleinen Bäumen, langegezogene Brunnen mit Fontänen, dahinter eine breite Holzterrasse direkt am Wasser. Im Inneren geht die Weite weiter: die Vorhalle, die sich in der Höhe über zwei Etagen erstreckt, eine breite Treppe, die ins Gebäude hineinsaugt und hoch auf die Gallerie führt. Und überall Bänke, einige Tische, viel, das Atmosphäre schafft, große Ölbilder an den Wänden, Skulpturen, ein Gewächshaus mitten im Raum, voller Grünpflanzen und Blumen …
So großzügig der Komplex auch angelegt ist, einen Raum, in den alle 400 Kongressteilnehmenden hineinpassen, gibt es wohl nicht. Jedenfalls finden die Plenumsvorträge in einem Zelt auf dem Rasen vor dem Gebäude statt – das kennt man noch von den Tagungen zuvor in Ehreshoven. Und auch der Vortrag von Walter Jochmann, Managing Director bei Kienbaum, hat auf diesem Event bereits Tradition. Jochmann liefert wieder einen Statusbericht zum State oft the Art von HR und zeigt Zukunftsperspektiven fürs Ressort auf. Gemäß dem Motto diesmal insbesondere vor dem Hintergrund der Frage: Welchen Beitrag kann HR zum Empowerment der Mitarbeiter leisten, welche Rolle im WePowerment spielen?
Jochmann stellt verschiedene Szenarien vor, das spannendste, weil radikalste: „HR wird komplett im Unternehmen aufgelöst bzw. eingebettet.“ Embedded HR heißt dieser Ansatz. Konkret: Alle nicht-verwaltenden HR-Funktionen gehen direkt ins Business. So hat dann jedes Team seinen eigenen Personalentwicker und ggf. auch einen Recruiter. Der Vorteil liegt auf der Hand: Personalarbeit on demand, hundertprozentig passend zu den Anforderungen des Business. Dass sich HR in eine solche Richtung bewegt, sieht Jochmann allerdings nicht. Überhaupt beobachtet er dort zu wenig Bewegung und warnt: „Wenn sich HR nicht mindestens so schnell verändert wie das Unternehmen als Ganzes, ist es in zehn Jahren tot.“
Ganz so schlimm steht es um Thyssenkrupp sicher nicht, allerdings hat das Unternehmen – nicht zuletzt aufgrund der gerade gescheiterten Fusion mit Tata Steel – aktuell auf dem Markt und auch intern mit großen Problemen zu kämpfen. Der Personalvorstand und Arbeitsdirektor des Industriekonzerns ist trotzdem gekommen – und hat Antworten zur Leitfrage des Kongresses mitgebracht. Seine wichtigste hat auch wieder etwas mit Kultur zu tun: Wer selbstbewusste und selbstbestimmte Mitarbeiter möchte, muss sie vor allem zu Wort kommen lassen. „Wir haben im Unternehmen eine Speak-up-Kultur etabliert“, berichtet Oliver Burkhard. Die Mitarbeitenden sagten mittlerweile sehr offen ihre Meinung, was – gerade im Moment – natürlich nicht immer angenehm sei. Warum brauchen wir überhaupt noch einen Vorstand, fragte kürzlich einer ziemlich unverblümt, erzählt Burkhard. „Aber gerade solche Fragen bieten gute Gelegenheiten, in Dialog zu kommen.“
Das wichtigste – auch fürs WePowerment – ist es, sagt der Personalvorstand, nicht den Humor zu verlieren. Und macht auch gleich vor, dass er davon genügend besitzt. Weil die Powerpoint-Fernbedienung hakt, lassen einzelne Folien länger auf sich warten, es kommt immer zu kleinen Pausen. Burkhard schmunzelt „Dann haben Sie wenigstens Zeit zum Nachdenken.“ Vor allem die Königsdisziplin des Humors, die Selbstironie, ist fürs WePowerment im Unternehmen entscheidend, sagt Fabian Kienbaum, der einige der Programmpunkte co-moderiert. Sein Gedanke: Wenn alle ihr Ego ein Stück weiter zurückstellen und auch einmal über sich selbst lachen können, wird die Gemeinschaft im Unternehmen stark und lassen sich Dinge viel leichter bewegen.