#DGFPcongress

Auf den Wegen der Transformation

Aus starr wird agil, aus analog digital, aus evolutionär disruptiv: Der Wandel in der Wirtschaftswelt ist radikal und rasend schnell. Was Unternehmen tun können, um Schritt zu halten, war Thema des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP) am 23. und 24. März in Berlin. Unter dem Motto „Challenge Transformation“ wurde nicht nur über Lösungsansätze diskutiert, einige konnten die Kongressbesucher auch besichtigen: auf einer Tour zu Arbeitsorten, die zu Konzernen gehören, aber Start-up-Spirit verströmen.

Ein Beitrag von Nicole Bußmann und Andree Martens

Westhafen Event und Convention Center, etwa 120 Menschen stehen im Foyer. Das sind die der fast 400 Teilnehmer, die früher angereist sind, um auf Innovationstour zu gehen. Die Stimmung ist gelöst, Aufbruch liegt in der Luft. Die Guides heben ihre Schilder und geleiten zum Bus. Los geht’s mit dem Sightseeing. Auf dem Programm stehen die neuesten Sehenswürdigkeiten von Berlin: kein Brandenburger Tor, nicht der Wannsee, sondern das Silicon Valley – genauer gesagt die Berliner Version davon.

Die liegt unter anderem in Berlin-Wedding. Der Stadtteil ist nicht hipp, genauso wenig wie der graue Betonbau, in den die knapp 20-köpfige Tourgruppe strömt. Der Bau beheimatet die hiesige Niederlassung des Chemieriesen Bayer, und sieht so aus, wie man sich das Innere eines in die Jahre gekommen Konzern-Dinos vorstellt: Ein verblasster Teppich führt zum Empfang, an dem zwei Livrierte freundlich, aber bestimmt nach Ausweisen verlangen – überall Schilder: „Handlauf benutzen“, „Rauchen verboten“ und hinter jeder Sitzbank der Hinweis „Nur für Besucher“.

Eine schmucklose Betontreppe, zwei Stockwerke nach unten, eine massive Stahltür – und hinaus aus der alten Arbeitswelt hinein in die neue, in die Räume des Accelerators von Bayer. Bunte Wände statt graue, Couchs statt Bänke, ein Tischtennisplatte als Konferenztisch – hier knüpft Bayer Bande zu Startups. Grants4Apps heißt das dazugehörige Programm, das von fünf Accelerator-Mitarbeitern vorangetrieben wird. Eine davon ist Sabrina Steinert: „Wir arbeiten hier eng, direkt und auf Augenhöhe mit Startups zusammen, deren Angebote zu unserer Produktwelt passen.“ Der Weg bis zur Zusammenarbeit: Die Startups bewerben sich mit ihrer Businessidee um die Programmteilnahme. Sabrina und Kollegen picken die 35 aus ihrer Sicht spannendsten Konzepte heraus und stellen eine Beschreibung von diesen auf einer Collaboration Plattform ein. Alle Bayer-Mitarbeiter können dort für ihren Favoriten voten. Die zehn mit den meisten Stimmen kommen in die Interviewrunde. Wer das Accelerator-Team auch dort überzeugt, wird dem Vorstand präsentiert, der dann letztlich die Entscheidung trifft. Also doch wieder die für die alte Welt typische Ansage von oben? Nicht ganz: „Wir diskutieren die Entscheidungen mit dem Vorstand und in aller Regel entscheiden die besten Argumente und nicht die Hierachie“, sagt Sabrina.

Als Starthilfe bekommt das Startup dann 50.000 Euro – vor allem aber 100 Tage lang massive fachliche Unterstützung – Bayermitarbeiter aus der Forschungsabteilung kommen vorbei und diskutieren mit den Programmteilnehmern ihre Produktideen, ein Theaterworkshop wird veranstaltet, indem die Startupler lernen, Inhalte spannend zu präsentieren, Führungskräfte und interne Berater kauen mit den Jungunternehmen ihre Business Models durch … Und was hat Bayer davon? Beteiligungen an vielversprechenden Unternehmen. „In der Regel werden acht Prozent ausgehandelt“, sagt Steinert. Worauf durchaus auch gehofft wird: Dass der ein oder andere Jungunternehmer über das Programm die Welten wechselt, heißt, den Weg in die Konzernwelt von Bayer einschlägt.

Ein weiteres Tourziel ist das #openspace der Commerzbank. In Schöneberg, direkt um die Ecke zum Haupteingang der Bank befindet sich der Eingang zur neuen Welt. #openspace macht seinem Namen alle Ehre, viel Platz, großzügige Räume, gestapelte Paletten als Sitzmöbel, orange-farbene Sitzkissen, eine Kaffeebar. Bevor Joachim Köhler und Christof Weidl erklären, was sie hier tun, gibt’s nen Cappuccino. #openspace ist eine Tochter der Commerzbank, seit Januar ist das Unternehmen offiziell eröffnet. Sein Zweck ist nicht etwa die Digitalisierung der Commerzbank. Oder zumindest nur indirekt. #openspace versteht sich als Transformator für den Mittelstand. Der Mittelstand ist der Kunde der Commerzbank, und dieser Kunde soll die Digitalisierung überleben, so das Kalkül.

Vehikel zur digitalen Transformation ist das sogenannte Sense-Of-Urgency-Programm. Ein sechswöchiges Programm, das mindestens zwei, maximal fünf Mitarbeiter eines Unternehmens gemeinsam mit Mitarbeitern weiterer Unternehmen durchlaufen – „um die Silos zu durchbrechen“, wie Joachim Köhler erklärt. Auf der Agenda stehen Change Management, agiles Arbeiten, Digitalisierungstools – Ziel ist die Erarbeitung einer digitalen Agenda, die am Ende einer Fachjury und der eigenen Unternehmensleitung vorgestellt wird. Ganz so hip wie die coolen Räume wirkt das Programm auf den ersten Blick nicht, denn es folgt der klassischen Change-Management-Logik Top-Down, Visionsgeber ist die jeweilige Geschäftsführung, sie muss daher in das Programm eingebunden sein, betont Köhler. Sein Team versteht sich als Sparringspartner und Unterstützer der digitalen Transformation, weitere Experten und Unternehmen sind beteiligt. Auch von Start-Ups kann gelernt werden, sie sitzen mit im #openspace.

Standortwechsel. 20 DGFP-Kongressteilnehmer sind in der Berliner Markgrafenstraße, hocken auf den für die neue Welt wohl obligatorischen Paletten. Wie wählt sie die Coachs für ihre Plattform aus? Wie stellt sie die Qualität der Dienstleistung sicher? Geduldig stellt sich Susanne Klepsch den Fragen der Besucher. Klepsch ist Co-Founderin von Coachfox, einem Online-Marktplatz für Videocoaching, und zudem Teilnehmerin am Programm von Axel Springer Plug & Play, einem Joint Venture des Medienhauses mit dem Plug & Play Tech Center aus dem Silicon Valley. Sie stellt sich und ihr Unternehmen in einer Art Pitch den Tour-Teilnehmern vor, so wie sie es bei dem Accelerator gelernt hat.

Das Ambiente ist schräg, chaotisch, kreativ. Schreibtische, Kaffeeküche, die Wände mit Sprüchen übersät. Werkstatt-Feeling und Gründergeist. Genau wie beim Bayer-Programm verbringen die Start-ups hier 100 Tage. Drei Mal im Jahr führt Axel Springer Plug & Play sein Programm durch, jeweils etwa zehn bis 15 Early-Stager sind dabei. Neben 25.000 EUR Anschubfinanzierung erhalten die jungen Gründer Unterstützung bei allen möglichen Fragen – von Marketing-Know-how bis zu rechtlichen Fragen. Für fünf Prozent ihrer Unternehmensanteile versucht das siebköpfige Team von Axel Springer Plug & Play die Gründer möglichst schnell zur Investmentreife zu bringen. 91 Invests hat der Accelator inzwischen getätigt, 68 davon leben noch, wie Frauke Mispagel schmunzelnd erzählt. Auch die Rate der Anschlussfinanzierungen kann sich sehen lassen, das mithin erfolgreichste Exit aus dem Programm ist die mobile Bank N26.

Neben Coachfox stellt sich noch massagio vor, eine Plattform zur Vermittlung von Massagen – auch an Firmenkunden. Und Truffls, ein Tinder fürs Recruiting. Und Aurora Health, ein Onlinedienst zur Erkennung von psychischen Erkrankungen. Axel Springer Plug & Play hat genau jene Gründer ausgesucht und sich vorstellen lassen, an denen die aktuelle Besuchergruppe der DGFP Interesse haben könnte. Das Konzept geht auf. Nach den Präsentationen springen die Besucher auf, eifrig werden Visitenkarten mit den jungen Gründern getauscht. Denn dann geht es auch schon wieder in den Bus. Zurück zum Westhafen. Zurück in die gewohnte Kongresswelt. Der Ausflug ins Silicon Valley von Berlin ist vorbei, die Reise in die neue Welt aber hat gerade erst begonnen.

Wege, die Unternehmen dabei einschlagen, wurden auf dem Kongress skizziert und diskutiert. Der Konsens: Die digitale Transformation ist vor allem ein Kulturwandel. Den zu gestalten ist die Aufgabe von HR. Sie hat die doppelte Transformation zu bewältigen: zum einen ihr Unternehmen zu begleiten, zum anderen sich selbst zu wandeln.

Kamera: Alex Fuchs, Berlin.


29.03.2017
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