Seit Anfang März lässt der Coach und Unternehmer Helmut Roth seine Firma Robe Consulting in Berg schon links liegen. Seit dem Zeitpunkt nämlich ist er unterwegs, zu Fuß, quer durch Deutschland, bei Wind und Wetter. Seit dem 10. April kann man den Coach bei seinem Marsch von Flensburg bis Salzburg ein Stück begleiten: quasi ein Ein-Tages-Wandercoaching buchen. Ich durfte ihn anrufen und ihn per Handy ein paar Minuten bei seinem Marsch begleiten.
Ob ihm langweilig geworden ist, fragte ich ihn als Erstes, und er deswegen jetzt bei seiner Wanderung durch Deutschland Coachees mitnimmt. „Nein", kommt die Antwort prompt von Helmut Roth. Von Anfang an seien „Mitläufer" ab dem zweiten Monat geplant gewesen. Roth läuft seit dem 9. März, einen guten Monat hat er hinter sich, ohne Mails und Kontakt zu seinem Büro. Mit seiner Frau hatte er abgemacht, nur bei wichtigen Dingen eine sms zu schreiben. "Das habe ich nicht durchgehalten", räumt er freimütig ein, „die Sehnsucht wurde doch zu groß", schildert der 61jährige sympathisch.
Kern seines Selbstexperiments ist es denn auch nicht, sich komplett von der Außenwelt abzuschotten oder zu erfahren, wie es ist, offline zu sein. „Keine Zeit" heißt sein Projekt - paradoxerweise, denn genau um das Gegenteil geht es ihm eigentlich: sich Zeit zu nehmen, bewusst seine Lebenszeit zu erfahren, den Business-Alltag hinter sich zu lassen. Ein Zeichen wolle er setzen, für die Menschen, die meinen, keine Zeit zu haben, unabkömmlich zu sein im Job. "Meisten sind das Menschen, die ihren Job über alle Maßen lieben", erklärt Roth. Doch auch sie können
den Fuß vom Gas nehmen.
Wie sich das anfühlt, erfahren nun einige die nächsten Wochen. Letzte Woche der Vorstand der Messe AG Hannover, Ernst Raue.
Coaching am Wegesrand. Geredet wird über das, was dem Coachee auf dem Herzen liegt. Die Anliegen, die sich anbieten, hat Roth vorab zusammen gestellt, in dem Briefing-Letter zum Wandercoaching nachzulesen: etwa Lebensperspektiven-Entwicklung oder Entscheidungsfindung. Aber auch ganz ohne konkrete Idee, was man denn eigentlich besprechen will, kann man ins Wandercoaching gehen. „Dann wird es im Laufen entstehen", erklärt Roth.
Roth macht am Telefon nicht den Eindruck eines aufmerksamkeitsheischenden Beraters, der sich und sein Business partout in Szene setzen will. Ruhig und selbstreflektiert erzählt er von seinen Erfahrungen mit dem Gehen. Wie menschenleer manche Gegenden sind, die er durchwandert,
von dem Gefühl, ausgegrenzt zu sein. Davon, dass Kleider immer noch Leute machen, wie er selbst erfahren musste. Von den abschätzenden Blicken, die er bisweilen erfährt, wenn er leicht verschwitzt mit Hund Layla in einer Pension ankommt und nach einem kostengünstigen Zimmer fragt. Oder Passanten nach dem Weg, wenn er sich - wie inzwischen schon häufiger passiert - verlaufen hat. „Dabei sehe ich nicht etwa abgerissen aus. Ich trage nur eben wetterfeste Outdoor-Kleidung", wundert er sich über die Reaktionen.
Gewundert hat er sich auch schon über sich selbst. "Total überrascht", erzählt er, wurde er von seinen eigenen Stimmungsschwankungen.
Von der Leichtigkeit des Seins bis zur tiefen Schwermut - alles dabei. „Die Sinnfrage" habe ihn manches Mal regelrecht überrollt, erzählt der Coach, der dachte, durch seinen eigenen Job darauf vorbereitet gewesen zu sein. Eine Reise ins Selbst, das sind die 1.600 Kilometer von Norden nach Süden also auch.
Ein bisschen erleichtert scheint er daher jetzt doch zu sein, Begleiter zu treffen. „Die Resonanz ist riesig", freut sich Roth über die Anfragen nach den eintägigen Wandercoachings, die sein Büro erreicht haben. Bestandskunden sind dies, Kontakte, die zehn und mehr Jahre brach lagen, aber auch ganz neue Coaching-Interessenten. Nahezu ausgebucht ist sein weiterer Weg. Ob ihm das nicht zu viel wird? Das Experiment damit nicht konterkariert wird?, will ich wissen. "Nein", kommt die Antwort wieder prompt. Bei so einem Coaching würde man nicht den gesamten Tag reden, sondern auch schweigen.
„Details wahrnehmen, die am Wegesrand liegen“.
Seit den Wandercoachings ist Roths Weg durch Deutschland besser organisiert als im ersten Monat. Er hat feste Anlaufstationen, Hotels, in denen er seine Coachees trifft. Auch müssen die Führungskräfte nicht fürchten, Erfahrungen zu machen, wie er anfangs: Toiletten auf dem Gang etwa. Roth will seinen Coachees keinen Stress machen. Sich selbst auch nicht. Geplant ist, dass er Ende Mai an der deutsch-österreichischen Grenze ankommt. Wenn nicht, dann nicht. Roth sieht es gelassen:
„Der Weg ist das Ziel".
Bilder und Berichte zu seinen Erfahrungen gibt es auf seiner
Website. Sein Blog hat er übrigens im ersten Offline-Monat per Schneckenpost bedient: die Erfahrungen auf einen Zettel geschrieben, in die Post gegeben, und im Büro wurden sie dann eingepflegt.
16.04.2012