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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Sylvia Jumpertz aus managerSeminare 300, März 2023
„Sad to lose this example of love in leadership“ – So lautet ein Kommentar zum Tode Edgar H. Scheins auf der Businessplattform LinkedIn. Schein ist am 26. Januar 2023 in Palo Alto, Kalifornien, hochbetagt gestorben, so wie er es sich gewünscht hat: ohne Krankheit, ohne Leiden, einfach am Ende eines Arbeitstages, wie sein Sohn Peter Schein mitteilte.
„Love in Leadership“ – diese Worte passen gut zum Lebenswerk dieses Wegbereiters der Organisationspsychologie und Pioniers der Organisationsentwicklung, dessen Verdienst nicht zuletzt darin bestand, das Bewusstsein dafür geweckt zu haben, welche Rolle das Menschliche im Business spielt. So war Schein maßgeblich daran beteiligt, dass in den 1980er-Jahren das Verständnis dafür wuchs, dass nicht nur ethnische Gruppen eine Kultur haben, sondern auch Unternehmen – und er lieferte mit seinem Drei-Ebenen-Modell der Unternehmenskultur ein bis heute viel zitiertes Konzept zur Erklärung dieser schwer greifbaren Materie. Demnach spielt sich Kultur auf drei Ebenen ab: der sichtbaren Ebene der Verhaltensmuster und Artefakte, der zugrunde liegenden Ebene der Normen, Regeln und Handlungsmaximen und der noch tieferen Ebene der Grundannahmen der Organisationsmitglieder.
Im Umgang mit seinem berühmten Kulturmodell zeigte sich früh auch eine Eigenschaft, die den Menschen Edgar Schein neben vielen anderen auszeichnete, erinnert sich Sonja Sackmann, emeritierte Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität der Bundeswehr in München: „Edgar Schein war immer lernbereit. Er war offen für Gespräche und Diskussionen auf Augenhöhe, ob mit Studierenden, Kolleginnen und Kollegen oder Praktikern.“ So habe er beispielsweise ihre Kritik an seinem „homogenen Organisationskulturkonzept“ schnell aufgegriffen und „mögliche organisationale Subkulturen inkludiert“. Außerdem erkannte er rasch, dass man auf der Werte-Ebene die proklamierten offiziellen Werte von Organisationen von den tatsächlichen, nicht unbedingt offiziell benannten Überzeugungen unterscheiden muss.
Schein – der ehemals u.a. Schüler von Douglas McGregor am M.I.T. Massachusetts Institute of Technology war – beschäftigte sich in den 1960er-Jahren auch intensiv mit der Bedeutung des Menschenbildes in Organisationen. Mit seinen acht „Karriereankern“ schuf er ein Tool, das noch heute in der Karriereberatung und Personalentwicklung eingesetzt wird, um Menschen dabei zu unterstützen, ihren eigenen Motiven, Stärken und Kompetenzen auf die Spur zu kommen.
Gerhard Fatzer – Leiter des Trias Instituts in Zürich, das Scheins langjähriger Kooperationspartner im deutschsprachigen Raum ist (und bleibt) und mit ihm eine Buchreihe und Zeitschrift herausgab –, zitiert den M.I.T-Sloan-Forscher John Van Maanen, der die Arbeitsweise Edgar Scheins einmal in einem Buch als „die eines Fuchses“ beschrieben hatte: „Der Fuchs weiß viele Dinge, der Igel aber nur ein großes. Ed ist ein Fuchs.“ Hierin unterscheide er sich von den meisten Kollegen, die das Weltmodell, die „Grand Theory“, suchten, schrieb Van Maanen. Schein dagegen versuchte sich der Komplexität menschlichen Verhaltens aus vielen Richtungen anzunähern und publizierte seit den 1950er-Jahren zu Erwachsenensozialisation, Kultur, Karriere, Gruppendynamik, Führung und vielem mehr. Dabei zeichnete er sich, so Fatzer, nicht nur durch seinen Scharfsinn aus, sondern auch durch seine publizistische Kompetenz: „Er ist sicher der begnadetste Schriftsteller im Bereich Management. Er hat seinen Ansatz in klaren Ausführungen und vielen Übungen und Fallbeispielen vermittelt.“
Zeit seines Lebens arbeitete Edgar Schein nicht nur als Wissenschaftler, sondern auch als Berater. Der in Zürich geborene Sohn eines gebürtigen Ungarn und einer Deutschen, der mit seiner Familie 1938 in die USA emigriert war und dort an Vorzeigeadressen wie der Stanford und Harvard University Psychologie studiert und in Sozialpsychologie promoviert hatte, war von 1964 bis zu seiner Emeritierung 1990 Professor für Organisationspsychologie und Management an der Sloan School of Management des M.I.T. in Cambridge. Doch seine Theorien, Konzepte und Tools entwickelte er nicht im Elfenbeinturm der Forschung. „Er betrachtete seine Kunden vielmehr als Mitforscher und Mitdenker einer gemeinsam entwickelten Vorgehensweise, der Organisationsentwicklung. Und er entwickelte die Grundlagen guter Beratung zusammen mit seinen Kunden“, so Fatzer.
Dabei interessierte sich Edgar Schein besonders auch für die eigene Rolle als Beratender – und gelangte so zu seinem Konzept einer helfenden Beratung. Damit prägte er das Feld der sogenannten Prozessberatung (hier verstanden als eine Beratung, die dem Klienten nicht sagt, was dieser zu tun hat, sondern die ihm Hilfe zur Selbsthilfe bietet) entscheidend mit. Statt Ansagen zu machen und Ratschläge zu geben, solle man sein Gegenüber besser über offen gestellte, ehrlich interessierte und vorurteilslose Fragen darin unterstützen, selbst weiterzudenken und weiterzukommen. „Humble Inquiry“ bzw. „Humble Consulting“ nannte Schein diese Haltung – die er, so Sonja Sackmann, auch selbst lebte: „Bescheidenheit, gekoppelt mit Neugierde und einer Portion Realismus und Humor kennzeichnete den Menschen Edgar Schein.“
Scheins Kooperationspartner im deutschsprachigen Raum, das Trias Institut, veranstaltet – u.a. im Umfeld der Konferenz „Leadership and Culture: Zur Zukunft der Arbeitswelt“ (mit der FH Wien) – Anfang Juni 2023 Workshops zu Ehren Edgar Scheins. Mit dabei ist Peter Schein, Edgar Scheins Sohn, der dessen Werk fortführt. Im Herbst ist Peter Schein zudem als Keynote Speaker auf der Konferenz „Führung und Kulturentwicklung: die Kunst der Veränderung“ angekündigt. Weitere Infos unter: www.trias.ch
Zentrale Prinzipien seines Ansatzes übertrug Schein auch auf die Tätigkeit von Führungskräften („Humble Leadership“). In einem Artikel zum Thema, der 2016 in managerSeminare erschienen war (www.managerseminare.de/MS219AR04), schrieb er: „Führungskräfte sind mehr denn je darauf angewiesen, dass die Kooperation und Kommunikation in ihrem Team funktioniert – nicht zuletzt die von unten nach oben. Sie tun daher gut daran, ihre Abhängigkeit von den Mitarbeitern anzuerkennen – und entsprechend zu handeln. Meine Erfahrungen in der Lehre und in der Unternehmensberatung haben mir gezeigt, dass der Aufbau vertrauensvoller Beziehungen das Entscheidende dabei ist.“ Schein wies darauf hin, dass nicht nur vorurteilsfreies, ehrlich interessiertes Fragen, sondern auch die Preisgabe von Persönlichem ein wichtiges Fundament für das Entstehen tragfähiger Beziehungen ist. Damit nahm er schon früh eine Diskussion vorweg, die auch heute im Businesskontext geführt wird: Wie wichtig ist es, dass sich Führungskräfte verletzbar zeigen?
Für Edgar Schein war die Kunst, tragfähige Beziehungen aufzubauen, aber nicht nur ein Businessthema, sondern auch ein Schlüssel, um die komplexen gesellschaftlichen Themen unserer Zeit anpacken zu können, sagt einer seiner bekanntesten Schüler, der M.I.T.-Forscher und Erfinder der „Theorie U“ Claus Otto Scharmer. „Ed Schein war einer der zwei, drei wichtigsten Lehrer, die ich im Leben gehabt habe. Von niemandem habe ich mehr über praktische Organisationsarbeit gelernt.“ Doch was ihn gerade in den vergangenen Jahren in den Gesprächen mit Schein besonders bewegt habe, sei dessen Appell an Sozialwissenschaftler wie auch an die OE-Praktiker gewesen, „relevanter zu sein für die planetare ökologische Krise, in der wir uns in diesem Jahrhundert befinden“. „Vielleicht“, so Scharmer, „liegt das wahre Vermächtnis von Eds Arbeit darin, seinem Ruf zu folgen und dieses Projekt in die praktische Realisierung zu bringen, auf unserem Weg nach vorn.“