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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Henning Beck aus managerSeminare 312, März 2024
Denken Sie, dass Bildung die Lösung aller Probleme ist? Das habe ich auch gedacht – ist aber nicht ganz korrekt. Denn Bildung alleine sagt wenig darüber aus, ob man sich auch klug verhält. Es kann sogar das Gegenteil passieren: Wenn man bloß genügend Wissen ansammelt, kann es passieren, dass man dieses viele Wissen nicht dazu einsetzt, um sich selbst zu hinterfragen, sondern um sich in seinen Ansichten weiterhin zu bestätigen. Kurz gesagt: Mit Wissenschaft zu denken, heißt noch lange nicht, wissenschaftlich zu denken. Wer viel Wissen im Tank hat, fährt noch lange nicht in die richtige geistige Richtung.
Die wissenschaftliche Studienlage liefert nämlich ein erschreckendes Bild, wie gebildete Menschen ihr Wissen eben auch einsetzen können: So zeigt sich, dass gebildete Menschen politisch besonders voreingenommen und schwerer zu überzeugen sind als Ungebildete. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts PredictWise und des US-Magazins „The Atlantic“ zeigte, dass die politische Intoleranz am größten unter gebildeten weißen Stadtbewohnern ist. Überhaupt, die Intelligenz: Je intelligenter Menschen sind, desto eher denken sie, dass sie nicht auf typische Denkfehler (wie Selbstbestätigung) reinfallen – und werden gerade deswegen besonders oft Opfer derselben. Ein typisches Phänomen des „Blind Spot Bias“.
Es ist paradox: Wenn Bildung und Intelligenz wirklich so wichtig sind, warum findet man dann gerade unter den gebildeten Menschen überdurchschnittlich viele starrköpfige, wie eine Untersuchung im Jahre 2020 zeigte? Die Erklärung: Aufgeklärtes und selbstreflektiertes Denken ist etwas anderes, als bloß gebildet zu sein. Wenn man Bildung als reine Wissensvermittlung versteht, wird man am Ende Menschen mit viel Wissen haben. So ausgebildet werden sie besonders gut in der Lage sein, ihr Wissen gegen andere Sichtweisen erfolgreich zu verteidigen. Denn je sorgfältiger man seine eigene Position erworben hat, desto unwilliger gibt man sie wieder auf.
Bedeutet nicht jeder Sinneswandel auch das Eingeständnis von Schwäche? Dass man nämlich vorher immer falsch lag? Vermutlich kann so ein „Backfire-Effekt“ entstehen: Je gebildeter und rhetorisch beflissener Menschen sind, desto besser können sie ihren Starrsinn ausleben. Das Wissen kommt, doch das unwissenschaftliche Denken bleibt. Was man dagegen tun kann, hat ein kluger Mann vor fast exakt 240 Jahren aufgeschrieben: Die Kunst ist es, selbst zu denken und sich in seinen Ansichten aktiv zu hinterfragen. In der Wissenschaft wird man permanent dazu trainiert: nach Widersprüchen zu suchen, uneitel seine Positionen für das bessere Faktum zu räumen, immer daran interessiert zu sein, sich zu widerlegen – um dadurch Bildung für die ständige Verbesserung des eigenen Denkens einzusetzen.
Interessant ist, dass professionelle Wissenschaftler genau das tun. Eine Nature-Veröffentlichung zeigte 2022 sogar: Wissenschaftler werden deswegen mit zunehmendem Wissen immer bescheidener – und bleiben dadurch neugierig. Nicht-Wissenschaftler tendieren dazu, immer selbstbewusster zu werden. Bis sie sich in einer kognitiven Hybris schwertun, sich selbst zu hinterfragen. Gute Bildung ist also mehr, als viel Wissen anzusammeln. Es geht auch darum, dieses Wissen einzusetzen, um selbstständig zu denken und sich dadurch immer zu hinterfragen. Sonst wird man zum hochgebildeten Dogmatiker. Das sollte nicht unser Ziel sein. Willkommen im Kant-Jahr 2024.
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