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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Henning Beck aus managerSeminare 325, April 2025
Es begann mit „suboptimal“ als Ersatz für „schlecht“. Heute haben die Euphemismen vollständig übernommen und uns in eine wohlige Wolke des Angenehmen gehüllt. Selbst die negativsten Dinge werden angenehm verpackt: „Herausforderungen“ statt „Probleme“. „Potenzial“ statt „schlechter Zustand“. „Lernfelder“ statt „Fehlentscheidungen“. „Chance“ statt „Krise“, weil angeblich das chinesische Schriftzeichen für beide Bedeutungen dasselbe ist. Eine nette Legende. Leider falsch. Der Sinn dieser rhetorischen Weichzeichner ist klar: Man möchte das Negative umdeuten, den Fokus auf das Gestalterische, das Positive lenken. Reframing nennt sich dieser psychologische Trick, der es Menschen ermöglicht, produktiv und in Lösungen zu denken, statt ständig am Problem rumzunörgeln. Und natürlich ist dagegen überhaupt nichts einzuwenden. Doch wenn man es übertreibt, verlernt man die Fähigkeit, sich widrigen Umständen nicht nur rhetorisch zu stellen, sondern diese auch handfest anzupacken und zu lösen.
Wir wollen ja schließlich resilient sein und in der Lage, auch durch schwierige Zeiten hindurchzumarschieren. Dabei verwechseln wir oftmals Resilienz mit Resistenz. Ein Stein ist resistent, er verformt sich nicht unter Druck, er bleibt standhaft und ist (wenn er groß ist) „ein Fels in der Brandung“. Kein Fels ist resilient, denn Resilienz bedeutet, dass man sich von Rückschlägen erholt und gestärkt daraus hervorgeht. Ein Schwamm ist resilient, er verformt sich unter Druck, aber kommt wieder zurück. „Stark ist, wer niederschlägt, stärker ist, wer wieder aufsteht“, las ich neulich in meinem Poesiealbum aus der vierten Klasse. Das ist Resilienz.
Wir müssen „Deutschland resilienter machen“, lautete kürzlich die Headline in einer deutschen Tageszeitung. Soll das wirklich bedeuten, dass wir Deutschland in die Lage versetzen müssen, nach einem Niederschlag wieder aufstehen zu können? Oder meinen wir eigentlich, dass wir resistent werden und deswegen erst gar nicht in die missliche Lage kommen, wieder aufstehen zu müssen? Beides ist wichtig – und beides schult man nur, wenn man sich nicht in Watte packt, sondern Probleme beim Namen nennt. Dabei machen wir das Gegenteil. Eine Studie der jüngsten „Generation Alpha“ (ein wirklich schlimmer Begriff) zeigte kürzlich: Die heute 20- bis 30-Jährigen behüten ihre Kinder derart, dass sie ihnen immer weniger Probleme zutrauen. Das Ergebnis: Die Frustrationstoleranz sinkt. Und ganz sicher wird man so weder resistent noch resilient.
Die rhetorischen Umdeutungen sind dabei nur ein linguistisches Warnzeichen für eine psychologische Falle, in die wir nicht tappen dürfen: Dass wir (in bester Absicht, die Menschen ermutigen zu wollen) dafür sorgen, dass Menschen ihre Widerstandskraft einbüßen. Die besten Führungskräfte, die ich kenne, waren klar und direkt. Sie nannten Probleme beim Namen, knallhart und unerbittlich. Und versammelten anschließend ihr Team um sich herum: „Leute, wir haben folgendes Problem … Auf geht’s, wie können wir es lösen?“
Wenn Sprache unser Denken formt, was passiert dann mit unserem Denken, wenn wir um Probleme herumformulieren und sie rhetorisch aufweichen? „Houston, wir haben eine Herausforderung!“, so kommt man unter Druck sicher nicht auf den Punkt. Wir sollten Menschen deswegen mehr zumuten. Denn erstens sind unsere Probleme gewaltig. Und zweitens können Menschen mehr, als man denkt. Wenn man das Visier hochklappt und die Probleme schonungslos angreift.
Der Autor: Henning Beck ist Neurowissenschaftler, und zwar einer der verständlichen. In Vorträgen und Seminaren vermittelt er die spannenden Themen des Gehirns. Sein aktuelles Buch heißt „Das neue Lernen heißt Verstehen“. Kontakt: henning-beck.com
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