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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Henning Beck aus managerSeminare 284, November 2021
An dieser Stelle muss ich ein Geständnis machen: Ich bin ein unfassbar schlechter Einparker. Selbst wenn Parklücken fast doppelt so groß sind wie mein Auto, stehe ich nach langem Rangierkampf am Ende immer schief. Einparken in weniger als fünf Zügen – es bleibt das große Ziel für mich. Deswegen ist die mit Abstand wichtigste technische Erfindung der vergangenen Zeit für mich die automatische Einparkhilfe. Die funktioniert nämlich immer gleich gut und vor allem auch dann, wenn man unter Beobachtung einparkt. Schließlich ist es ein bekanntes Phänomen (nur nicht für mich), dass man unbeobachtet sein Auto selbst in winkligen Parklücken unterbringt. Wenn jedoch zehn johlende 16-Jährige daneben stehen und Ihre Fahrkünste per Handyvideo festhalten, dann versagen selbst Einparkprofis schnell. Denn Beobachtung verändert unsere Handlungen – und zwar immer. So schlagen zum Beispiel Konzertpianisten unterbewusst kräftiger in die Tasten, wenn sie vor Publikum spielen, als wenn sie alleine üben.
Besonders schlimm ist dieser Effekt bei geistiger Leistung, wenn es auf Konzentration oder auf präzise Bewegungen ankommt. Wann immer wir beobachtet werden, versagen uns die Nerven. Und dank der Neurowissenschaft wissen wir auch, wo die Nerven liegen, die in diesem Fall versagen: im unteren Schläfenlappen, einer Region, die normalerweise andere Hirnregionen aufeinander abstimmt, damit Handlungen fehlerfrei durchgeführt werden können. Leider wird ebenjene Region durch Hirnareale gehemmt, die bei Beobachtung anspringen. Sprich: Sobald wir bewusst kontrolliert werden, werden unsere Handlungen und Gedankengänge unpräziser.
Das hat eine wichtige Konsequenz, denn will man dafür sorgen, dass andere Menschen ihre Bestleistung abrufen, darf man sie nicht permanent beobachten. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Vergessen Sie es. Die Neurowissenschaft zeigt eindeutig das Gegenteil. Je mehr Stress aufkommt, weil man sich kontrolliert fühlt, umso schlechter wird beispielsweise ein Lernprozess. Wobei ich präzisieren sollte: Stress fördert zwar das Lernen – aber nur ganz konkret auf den Stressor bezogen. Falls Sie also unachtsam über die Straße laufen und im letzten Moment doch nicht umgefahren werden, merken Sie sich, dass Sie besser nicht, ohne zu schauen, loslaufen sollten. Wenn ich jedoch Matheformeln lerne, muss ich dreimal um die Ecke denken, bis mir der Zusammenhang zwischen a²+b²=c² und den Auswirkungen einer schlechten Prüfungsnote klar sind. Stress ist also ein schlechter Lernratgeber, weil er unsere Aufmerksamkeit vom eigentlichen Lerninhalt ablenkt.
Genau das Gleiche passiert unter Beobachtung: Man konzentriert sich darauf, die Erwartungshaltung des Beobachters zu erfüllen – und hat dann keine geistigen Ressourcen mehr zur Verfügung, um wirklich gut zu denken. Damit Menschen das volle Potenzial ihrer geistigen Fähigkeiten zur Anwendung bringen, muss man ihnen Freiräume geben. Das trifft gerade auf Lernprozesse zu (nimmt alltägliche Bürotätigkeiten jedoch nicht aus). Vor allem muss man Menschen die Angst nehmen, dass sie in Phasen des Ausprobierens für ihre Fehler bestraft werden. Eine gute Lehrstunde schließt eigentlich immer Phasen des Nichtwissens, des Testens und des Rumprobierens ein, Fehler inbegriffen. Wer dabei jedoch permanent gemonitort wird, wird am Ende weniger behalten als diejenigen, die für kurze Phasen das Gefühl völlig freien Ausprobierens haben. Am Ende muss klar und sauber kontrolliert werden dürfen, keine Frage – aber nicht unbedingt auf dem Weg dorthin.
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