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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Henning Beck aus managerSeminare 318, September 2024
Wenn es eine Kennzahl für die Güte des menschlichen Denkens gibt, dann ist es die Intelligenz. Kein Persönlichkeitsmerkmal ist besser untersucht, nichts sagt den späteren Erfolg im Leben (gesundheitlich, finanziell, emotional) besser vorher, keine kognitive Eigenschaft ist stabiler als die Intelligenz. Es dauert zwar gute zwanzig Jahre, bis das persönliche Intelligenzniveau maximal geworden ist. Danach bleibt es aber für viele Jahrzehnte konstant, wenn man sich nicht allzu ungesund ernährt und auf sein Gehirn ein bisschen achtgibt.
Und doch: Intelligenz allein reicht nicht aus, um zu beurteilen, ob jemand clever denken kann. Schließlich beschreibt Intelligenz die Fähigkeit, Probleme effizient zu lösen. Intelligente Gehirne denken deswegen besonders wenig, weil energiesparend. Kurz gesagt: Intelligent ist man dann, wenn man schnell und fehlerfrei die eine richtige Lösung für ein Problem findet. Genau so sind Intelligenztests konzipiert: Es wird eine Aufgabe gestellt, die eine (und zwar nur eine) richtige Lösung hat. Wer am schnellsten darauf kommt, bekommt die meisten Punkte (den höchsten IQ). Es wird jedoch gerade nicht abgefragt, auf neue Lösungen zu kommen, die Regeln zu brechen, zu hinterfragen oder neue Wege zu gehen. „Erfinde mal einen IQ-Test für deinen Nachbarn!“ oder „Wie verdoppelt man den Radverkehr in Hamburg?“ sind gerade keine Aufgaben eines Intelligenztests.
Was in Diskussionen über das Thema Intelligenz deswegen oftmals vergessen wird: Intelligenz beschreibt nur einen Teilbereich unseres Denkens. Stattdessen verwendet man den Intelligenzbegriff oft synonym zu „Denkfähigkeit“. Dabei sind wir auch kreativ, empathisch oder kommunikativ. All diese Fähigkeiten haben mit dem eigentlichen Intelligenzbegriff nur wenig zu tun. Okay, ein Mindestmaß an Intelligenz muss man mitbringen, um auch in anderen Denkkategorien zu brillieren. Aber doppelt so intelligente Menschen sind nicht zwangsläufig doppelt so empathisch. Man kann auch ein inselbegabter Nerd mit einem IQ von 190 sein – das heißt noch lange nicht, dass man dann auch gut denken kann.
Weil gerade die Fähigkeit, seine Denkmuster zu hinterfragen und nicht nur zu optimieren (sprich: intelligent zu sein), in der heutigen Zeit so wichtig ist, wurde in der aktuellen PISA-Studie genau danach gefragt, wie kreativ man in der Schule sein muss. Gerade mal 59 Prozent der Befragten sagte, dass Kreativität in der Schule geschätzt wird. Wie traurig ist das für ein Land, das von den Ideen seiner Menschen lebt?
Was wir brauchen, sind weniger Testknacker, die darauf getrimmt werden, die richtige Lösung zu finden, sondern Menschen, die auch zehn Jahre nach ihrem Abschlusstest auf findige Lösungen kommen. Mein Chemielehrer brachte uns genau das bei. Er sammelte im Winter Wasserproben aus Pfützen und ließ uns tags darauf berechnen, wie viel Streusalz ein Laster am Vorabend abgeworfen haben musste. Er sammelte in der Nacht die Reste von Benzin aus den Zapfpistolen, damit wir am nächsten Tag analysieren konnten, was er sich da gemopst hatte. Wir bekamen Probleme vor die Nase gesetzt, die wir mit eigenen Ideen lösen konnten. Wir stellten neue Substanzen her und sprengten ein Loch in den Schulhof. Wir büffelten nicht für einen Abschlusstest, sondern lernten, unser Gehirn zu benutzen und gewohnte Pfade zu verlassen. Denn genau diese Fähigkeit ist mindestens so wichtig wie Intelligenz. Intelligente Menschen verschieben schließlich gerade nicht die Grenzen der Menschheit. Sie akzeptieren sie und wenden sie fehlerfrei an. Wie langweilig wäre das bloß.
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