Schlauer lernen
Schlauer lernen

Den Stress trainieren

Henning Beck erklärt, warum wir unter Druck oft versagen und wie wir lernen können, Druck standzuhalten.

Warum verschießen Profifußballer einen Elfmeter? Jeder, der für eine Nationalmannschaft aufläuft, sollte zumindest technisch in der Lage sein, den Ball in jede beliebige Stelle des Netzes zu dreschen – trotzdem patzen selbst die Besten. Überhaupt: Warum versagen wir unter Druck, wenn alle Augen auf uns gerichtet sind? Wenn niemand schaut, zirkelt man sein Auto in die winzigste Parklücke. Aber wenn zehn grölende 16-Jährige daneben stehen, wird’s schwierig. Warum versagen uns in einer Prüfung oder in der Abschlusspräsentation die Nerven, obwohl wir den Prüfungsstoff vorher so gut konnten?

Das Phänomen des „Versagens unter Druck“ kennt man in der Wissenschaft als „Choking under Pressure“. Es gibt dafür zwei Gründe. Zum einen schüttet das Gehirn unter Stress Botenstoffe aus, die nicht verändern, was wir wahrnehmen, sondern wie wir das tun. So ähnlich wie ein Fotofilter auf Instagram auch nicht den Bildinhalt ändert, sondern dessen Erscheinung. Im Falle einer Stresssituation sorgen ebenjene Neuromodulatoren dafür, dass sich unsere Wahrnehmung verengt. Prinzipiell ist das eine gute Sache, denn genau das fördert die Konzentration. Doch wird der Stress zu groß, passiert dasgleiche, als wenn Sie den Kontrastregler bei Ihrer Foto-App komplett an den Anschlag drehen: Sie erkennen das Bild nicht mehr. Für unsere Handlungen bedeutet das: Wir versagen.

Zum anderen werden im Gehirn Entscheidungen nicht nach einer „Aus A folgt B“-Logik getroffen. Vielmehr konkurrieren parallele Handlungsmodelle, von denen manche stimmen, manche nicht: „Den Ball in die obere linke Ecke schießen“, „Den Ball an den Pfosten schießen“, „Den Ball in die Mitte schießen“. Durch Zufall, oder wenn wir uns auf ein falsches Muster konzentrieren („Bloß nicht gegen den Pfosten schießen“), kann ein solches falsches Muster so stabil werden, dass es die anderen Muster übertönt und sich in einer Handlung durchsetzt. Prompt verschießt man den Elfmeter.

Doch dagegen kann man etwas tun, in der Sportpsychologie nennt man es „Prognosetraining“: Man simuliert im Training die stressige Situation, um den Umgang mit dem Stress zu lernen. So trainierten die Engländer das Elfmeterschießen vor der WM 2018. Elfmeter wurden grundsätzlich am Ende einer harten Trainingseinheit geschossen. Zusätzlich lud man sich Hunderte Schulkinder ein, die die Schützen vor dem Elfmeter ausbuhen sollten. Richtig Stress und Druck kann man eben doch simulieren – und vor allem den souveränen Umgang damit. So gelang es den Engländern, Kolumbien 2018 im Elfmeterschießen zu schlagen. Dass sie 2021 im EM-Finale alle Fehler im Elfmeterschießen begingen, die man begehen kann, ist eine andere Geschichte.

Auch fürs Lernen kann man ein solches Prognosetraining nutzen. Man hat Angst vor der Prüfung? Dann simuliert man sie vorher, indem man Freunde eine Prüfung vorbereiten lässt, die man dann unter Zeitdruck lösen muss. Man hat Panik vor Vorträgen? Dann hält man einen Vortrag zu Hause vor Freunden, hat aber nur eine einzige Möglichkeit, ihn zu halten, darf nicht neu ansetzen, sondern muss ihn durchziehen. So trainiert man das, was man in der Prüfung braucht: Resistenz gegen Widrigkeiten und den Mut, sich stressigen Situationen auszusetzen. Wie sagte schon Roberto Baggio, nachdem er 1994 den wichtigsten Elfmeter der WM-Geschichte verschoss: „Elfmeter vergeben nur diejenigen, die den Mut haben, ihn zu schießen.“

Der Autor: Henning Beck ist Neurowissenschaftler, und zwar einer der verständlichen. In Vorträgen und Seminaren vermittelt er die spannenden Themen des Gehirns. Sein aktuelles Buch heißt „Das neue Lernen heißt Verstehen“. Kontakt: henning-beck.com

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