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Philosophisches Coaching
Philosophisches Coaching

Reflexion im großen Rahmen

Während klassisches Business Coaching vor allem auf Zweck-Mittel-Relationen fokussiert – also auf Themen des Verstandes –, steht im philosophischen Coaching die Vernunft im Mittelpunkt. Genauer gesagt, die sogenannte praktische Vernunft, die es uns ermöglicht, moralisch zu urteilen und zu handeln. Die „großen“ mit ihr verbundenen Tugenden sind Gerechtigkeit, Empathie, Selbstreflexion und ethische Entscheidungsfindung. Wo und wie philosophisches Coaching ansetzt, um diese zu entwickeln.

Preview

Verstandesmäßige Verfasstheit: Warum die Wirtschaft per se nicht in der Lage ist, selbstbestimmte und zufriedene Mitarbeitende und Führungskräfte zu „produzieren“

Tugendhafte Entwicklung: Wie philosophisches Coaching eine „vernünftige“ Mitarbeiter- und Lebensführung unterstützt

Ganzheitliche Gerechtigkeit: Wie der Befähigungsansatz von Martha Nussbaum eine größere Perspektive auf Gerechtigkeit liefert

Mitfühlendes Miteinander: Wie sich Martin Bubers Dialogische Philosophie für die Empathie-Entwicklung nutzen lässt

Mehr als ein individueller Akt: Warum sich das Habermas’sche Verständnis von Selbstreflexion fürs philosophische Coaching geradezu aufdrängt

Philosophie praktisch: Wie ethische Entscheidungsfindung in vier Schritten gelingt

Cover managerSeminare 316 vom 14.06.2024Hier geht es zur gesamten Ausgabe managerSeminare 316

Philosophisch betrachtet ist der unternehmerische und berufliche Kontext einer Person geprägt von ökonomischer Logik. Diese ökonomische Logik wiederum repräsentiert nur einen Teil des menschlichen Grundvermögens, den Philosophinnen und Philosophen den Verstand nennen. Der Verstand ist eine geniale Fertigkeit, um Probleme zu lösen und von einem Ziel auf die Mittel zu schließen, die dem Erreichen dieses Zieles dienen. Das Denken des Verstandes ist also instrumentell und von Zweck-Mittel-Relationen bestimmt, die es Menschen erlaubt, optimale Lieferketten zu ermitteln, betriebswirtschaftliche Geschäftsziele zu erreichen und die Mitarbeitenden zum Erreichen dieser wirtschaftlichen Ziele entsprechend ihrer Fähigkeiten einzusetzen und zu Teams zusammenzustellen.

Das klassische Coaching bewegt sich in diesem Bereich, wenn es beispielsweise dem souveränen Umgang in bestimmten Situationen, wie Präsentationen, Mitarbeitergespräche oder Kundenakquise, dienen oder die Kompetenzen der eigenen Person entwickeln soll. Philosophisches Coaching weitet den Blick auf die Gesamtheit menschlichen Vermögens und bezieht dieses ins Coaching ein – zum Wohle der Person und des Unternehmens.

Die Gesamtheit des menschlichen Vermögens umfasst nicht nur den Verstand, sondern auch die Vernunft. Die praktische Vernunft, um genau zu sein. Sie bezeichnet das Vermögen des Menschen, moralisch zu urteilen und zu handeln; es geht also darum, das Richtige zu tun und ein gutes Leben zu führen. Nach Immanuel Kant ist die praktische Vernunft die Quelle universeller moralischer Gesetze, und indem wir uns an ihr orientieren, ermöglicht sie es uns, autonom und frei zu handeln. Nur so können wir unserer Würde als vernunftbegabte Wesen gerecht werden. Praktische Vernunft verfolgt also keine Zwecke und Ziele, sondern setzt diese, orientiert an überindividuellen Werten. Die praktische Vernunft ist mithin ein zentrales Konzept, um unser Handeln und unsere Entscheidungen ethisch zu fundieren. Sie befähigt uns dazu, frei von ökonomischen oder anderen Zwecken über unsere Ziele und Motive nachzudenken, unser Verhalten an moralischen Maßstäben auszurichten und spielt somit eine entscheidende Rolle für ein gelingendes, sinnerfülltes Leben.

Die Wirtschaft muss ihre eigene Logik überschreiten

Die Horizonterweiterung des Business Coachings über die Grenzen der ökonomischen Logik hinaus, die der Ansatz des philosophischen Coachings verfolgt, dient – wie geschrieben – nicht nur dem Wohle der Person, sondern auch dem Wohle der Wirtschaft. Das erklärt sich zum einen aus der Tatsache, dass die Wirtschaft durch ihre verstandesmäßige Verfasstheit nicht in der Lage ist, die Voraussetzungen selbst herzustellen, von denen sie abhängig ist: durch die Ausübung der praktischen Vernunft selbstbestimmte und zufriedene Mitarbeitende und Führungskräfte „herzustellen“.

Zum anderen, und dafür muss man sich Hegels Phänomenologie des Geistes zu Gemüte führen, zeigt ein Blick auf die geschichtliche Entwicklung menschlicher geistiger Erzeugnisse, dass sich diese in dem Augenblick ihren Untergang selbst bereiten, in dem sie sich absolut setzen. Auch hier wieder: Nur wenn die Wirtschaft ihre eigene Logik überschreitet, bleibt sie lebensfähig. Das wusste auch schon einer ihrer Gründerväter, Adam Smith, seines Zeichens immerhin Moralphilosoph. Er sah den Menschen nicht nur als reinen Nutzenmaximierer, sondern als ein soziales und zur Empathie fähiges Wesen. Für ihn waren Menschen mehrdimensionale Wesen, die nicht nur nach der eigenen Besserstellung streben, sondern darauf Wert legen, dass es auch anderen gut geht und der Tausch von Gütern gerecht und fair erfolgt. Smiths Ökonomie basierte also auf einem ganzheitlichen Menschenbild, das sowohl Eigeninteresse als auch Empathie und Gemeinwohlorientierung umfasste.

Natürlich kann philosophisches Coaching nicht den Lauf der ökonomischen Dinge oder ganze Menschenbilder beeinflussen, sehr wohl aber zu einem vernünftigen und erfüllten Leben der Menschen im ökonomischen Kontext beitragen. Schließlich ist immer noch die Wirtschaft zum Wohle der menschlichen Gesellschaft da, und nicht umgekehrt. Das einzusehen, bereichert wiederum nicht nur den Menschen, sondern auch die Wirtschaft.

Wir sollten nicht vergessen, dass die Wirtschaft zum Wohle der menschlichen Gesellschaft da ist, und nicht umgekehrt. Das einzusehen, bereichert wiederum nicht nur den Menschen, sondern auch die Wirtschaft.

Entwicklung der Tugenden der praktischen Vernunft

Und was für Beschäftigte im Allgemeinen gilt, gilt für Führungskräfte – die Hauptzielgruppe von Business Coaching – umso mehr. Die Führungskraft kann nur eine Kraft sein, die andere Menschen führt, wenn sie selbst die Kraft besitzt, das eigene Leben zu führen. Diese Kraft fußt nach dem Philosophen Arnold Gehlen auf „jener Grundtatsache des menschlichen Wesens: das nicht lebt, sondern sein Leben führt, aus Erfahrungen und Leistungen heraus, die es selbst angelegt und großgezogen hat“. Bei der Entwicklung dieser Leistungen – oder Tugenden, wie es damals hieß –, die nur im Bereich der praktischen Vernunft als Maximen eines selbstbestimmten, sinnerfüllten und ethisch ausgerichteten Lebens zu finden sind, will das philosophische Coaching unterstützen. Nur indem die ökonomische Logik vernünftig-werteorientiert überschritten wird, lassen sich deren Voraussetzungen in Gestalt von ganzheitlich „angelegten“ und das eigene Leben zu führen fähigen Mitarbeitenden und Führungskräften gewährleisten.

Etwas moderner verstanden, sind diese eine ganzheitliche Lebens- und Mitarbeiterführung fördernden Inhalte eines philosophischen Coachings moralischer Natur, beispielsweise Gerechtigkeit, in zwischenmenschlich-sozialer Hinsicht Empathie und methodisch verstanden Selbstreflexion. Um das Ökonomische praktisch durch Ethik zu erweitern, spielt wiederum ethische Entscheidungsfindung eine zentrale Rolle. Zu diesen Kernelementen im Einzelnen:

Gerechtigkeit

Philosophische Gerechtigkeitstheorien beziehen sich üblicherweise auf Staat und Gesellschaft, weil sie dort den größten Anwendungsbereich vorfinden. Jedoch ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass es sich bei ihnen trotzdem um philosophische und nicht um politische oder sozialwissenschaftliche Theorien handelt. Das bedeutet, es geht bei ihnen um Gerechtigkeit an sich und nicht um Gerechtigkeit, die sich in gesellschaftlichen Gefügen oder politischen Systemen manifestiert. Die philosophische Beschäftigung mit Gerechtigkeit ist damit sowohl für eine ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung als auch für das Miteinander in der Wirtschaft von Bedeutung.

Besonders geeignet ist dazu die Gerechtigkeitstheorie von Martha Nussbaum, ihr sogenannter Befähigungsansatz. In diesem definiert sie eine Liste zentraler menschlicher Fähigkeiten, die jeder Person ermöglicht werden müssen, um ein wahrhaft menschenwürdiges Leben führen zu können. Für Nussbaum bedeutet Gerechtigkeit, dass jedem Individuum die Entfaltung dieser grundlegenden Fähigkeiten ermöglicht wird. Dazu gehören die Fähigkeit, ein langes und gesundes Leben zu führen, Bindungen zu anderen einzugehen und Achtung zu erfahren sowie die Fähigkeit zur Bildung der praktischen Vernunft, einer Konzeption des Guten und der Mitwirkung an Entscheidungen.

Nussbaums Gerechtigkeitskonzeption beinhaltet den Schutz und die Förderung dieser Fähigkeiten unabhängig von Herkunft, Geschlecht und Religion. Ihr Ansatz zielt darauf ab, Ungleichheiten und Benachteiligungen bestimmter Gruppen zu überwinden und betont dabei stärker als andere Gerechtigkeitstheorien – etwa John Rawls' „Theorie der Gerechtigkeit“ von 1979 – die Bedeutung von Emotionen, Fürsorge und zwischenmenschlichen Beziehungen für ein gerechtes und menschenwürdiges Leben.

Für den gelebten Alltag lassen sich vor allem der Fokus auf die Fähigkeiten und Potenziale von Menschen, deren Gleichbehandlung unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe, Religion sowie die breit angelegte Beteiligungsmöglichkeit an Entscheidungsprozessen aus Nussbaums Gerechtigkeitskonzeption ableiten. Damit ist die Forderung verbunden, dass alle Beteiligten den gleichen Zugang zu den für die Entscheidung notwendigen Informationen erhalten sowie Offenheit und Transparenz im Prozess.

Empathie

Auch der in gewisser Weise zum Trendwort mutierte Begriff der Empathie lässt sich im Sinne einer ganzheitlich-vernünftigen Persönlichkeitsentwicklung „tiefer legen“ und für philosophisches Coaching fruchtbar machen. Dazu ist besonders Martin Bubers Dialogische Philosophie geeignet, die ein mitfühlendes Miteinander auf die Begegnung als Grundform menschlicher Existenz und Erkenntnis gründet.

Buber unterscheidet zwei grundlegende Beziehungsformen: Die „Ich-Du-Beziehung“, in der der Mensch dem anderen in seiner Ganzheit und Einzigartigkeit begegnet, und die „Ich-Es-Beziehung“, in der der andere zum Objekt der Erkenntnis und der Verfügung gemacht wird. Hintergrund Bubers Begegnungsphilosophie ist die Kritik eines einseitigen Individualismus und der zunehmenden Verdinglichung moderner Gesellschaften, in denen der Mensch den anderen und die Welt zu bloßen Objekten degradiert und so den Zugang zur Wirklichkeit verliert. Die Ich-Es-Beziehung ist entsprechend durch Distanz und Instrumentalisierung gekennzeichnet.

Im Gegensatz dazu sieht Buber in der Begegnung – verstanden als Ich-Du-Beziehung – die einzige Möglichkeit eines wirklichen Verständnisses des anderen und damit die Grundlage von Erkenntnis und Ethik. Die Ich-Du-Beziehung ist für Buber der Schlüssel zu einem authentischen, sinnerfüllten Leben, da wir in ihr den anderen als gleichberechtigtes Gegenüber erfahren und in einen unmittelbaren, dialogischen Austausch eintreten. Nur auf Grundlage dieser authentischen und bedeutungsvollen Beziehungen zwischen Menschen entsteht bei Buber das, was wir Empathie nennen, also die Fähigkeit, die Gefühle und Bedürfnisse des anderen zu erkennen und sich einfühlsam in dessen Lage zu versetzen. Gleichzeitig ist die Begegnung für Buber der Ursprung moralischen Handelns. Indem wir den anderen als einzigartiges Gegenüber anerkennen, werden wir zu verantwortungsvollem Handeln aufgefordert. Ethik gründet somit in der Begegnung, nicht in abstrakten Prinzipien.

Durch die Betonung der Beziehung zum anderen und des dialogischen Austauschs ermöglicht ein philosophisches Coaching die Förderung von kleinteiligeren Fähigkeiten wie aktivem Zuhören, indem die Gedanken und Empfindungen der Mitmenschen ernst genommen werden, bis hin zu Großtugenden wie die Wertschätzung der Mitmenschen und des Miteinanders, unabhängig von Leistungsparametern wie etwa „Mitarbeiter des Monats“.

Selbstreflexion

Selbstreflexion und Selbsterkenntnis sind eine der bestimmenden Themen der Philosophie und entsprechend schwer einzugrenzen. Da zu der Fähigkeit, sein Leben selbstbestimmt zu führen, zunächst und zumeist eine gewisse Unabhängigkeit von und kritische Distanz zu der Umgebung und sich selbst gehört, eignen sich besonders die Ausführungen von Jürgen Habermas für ein philosophisches Coaching. Auch hier gilt wieder, dass sich die Überlegungen zwar auf gesellschaftstheoretischer Ebene bewegen, Selbstreflexion an sich aber auch in kleiner gezogenen Lebensweltbereichen wesentlich ist.

Habermas versteht Selbstreflexion als einen zentralen Schlüssel zur Emanzipation und Befreiung des Menschen. Für ihn ist die kritische Selbsterkenntnis Voraussetzung dafür, sich von Zwängen und Illusionen zu befreien und zu einem selbstbestimmten, autonomen Handeln zu gelangen. Ausgehend von der aufgeklärten Moderne verortet Habermas die Selbstreflexion im Kontext der Bestrebungen, den Menschen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit zu befreien. Nur durch die Fähigkeit zur kritischen Selbsterkenntnis kann der Mensch die Vernunft autonom gebrauchen und sein Schicksal selbst in die Hand nehmen.

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Insgesamt sieht Habermas in der Selbstreflexion das Potenzial, die uneingelösten Versprechen der Moderne – Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit – und die Verwirklichung des aufklärerischen Projekts in Gegenwart und Zukunft einzulösen. Innerhalb der modernen Gesellschaft sieht Habermas in der kritischen Selbstreflexion ein Mittel, um Ideologien, Verdrängungen und Formen der Verdinglichung aufzudecken. Nur wer sich selbst durchschaut, kann die gesellschaftlichen Zwänge erkennen, die sein Denken und Handeln beeinflussen. Leitend ist hier ein Verständnis von Selbstreflexion nicht als rein individueller Akt, sondern als Vermittlung zwischen Individuum und Gesellschaft. Nur im Dialog mit anderen und durch die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Strukturen kann der Mensch zu einem wirklich emanzipierten Selbstverhältnis finden. Stärker bezogen auf das Subjekt liegt im Prozess der Selbstreflexion das Potenzial zur Emanzipation und Selbstbefreiung, indem der Mensch seine eigenen Bedürfnisse, Interessen und Handlungsmöglichkeiten kritisch hinterfragt und so zu einem autonomen, selbstbestimmten Subjekt werden kann.

Neben der Fähigkeit, sich selbst sowie die eigenen Fähigkeiten, Stärken und Schwächen zu verstehen, über eigene Entscheidungen und Handlungen nachzudenken, Emotionen zu kontrollieren und langfristige Perspektiven einzunehmen, gehört nach Habermas also die kritische Sicht auf die Umgebung und deren Auswirkungen auf das eigene Denken und Handeln. Wenn es im philosophischen Coaching auch darum gehen soll, wie oben beschrieben, die ökonomische Logik des unternehmerischen Umfeldes vernünftig-ganzheitlich zu überschreiten, ist die Habermas’sche Selbstreflexion also das Mittel der Wahl.

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managerSeminare-Dossiers: Philosophie für Manager 1 - 3 

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Die Dossiers enthalten jeweils acht Fachartikel, in denen die Ideen, Konzepte und Modelle von Philosophen auf den Wirtschafts- und Arbeitskontext übertragen werden, darunter Platon, Hannah Arendt und Karl Popper. Im Mittelpunkt steht dabei die praktische Anwendung für Führung und Management.   

Barbara Bleisch, Markus Huppenbauer, Christoph Baumberger: Ethische Entscheidungsfindung – Ein Handbuch für die Praxis. 

Nomos 2021, 35 Euro.

Im Mittelpunkt des Buches steht ein Schema der Entscheidungsfindung für die Lösung ethischer Konflikte. Die Anwendung wird mithilfe vieler Beispiele verdeutlicht und kann mit praxisnahen Übungen trainiert werden. En passant diskutiert werden folgende Fragen: Wie lässt sich über Ethik sprechen, ohne Moral zu predigen? Gibt es Wissen und Wahrheit in der Ethik? Und: Wie stehen Recht und Ethik zueinander?

Ethische Entscheidungsfindung

Erwähnt wurde bereits die praktische Vernunft als fundamentales menschliches Vermögen, das Zwecke und Ziele setzt, besonders moralischer Natur, und uns dadurch abseits von zweckrationaler ökonomischer Logik gutes Handeln und Leben ermöglicht. Die ethische Entscheidungsfindung öffnet den Blick auf die Arbeitsweise dieser Vernunft und zeigt gleichzeitig Wege, das Ethische praktisch in das Ökonomische zu integrieren. Das kann etwa dann relevant sein, wenn im Leben oder Unternehmen Entscheidungen anstehen, die mit ökonomischer Logik nicht zu lösen sind und nicht zu lösen sein sollen. Dazu sei angemerkt, dass Ethik nicht irgendetwas ist, was man dem Ökonomischen aufpfropfen kann, wenn einem der Sinn danach steht. Unternehmen sind sozial und gesellschaftlich, durch die Menschen, die in ihnen arbeiten, und die Gesellschaft, in der sie operieren, dermaßen in ethische Räume eingebunden, dass man sich fragt, wie denn „größere“ Entscheidungen in der Alltagspraxis überhaupt allein nach ökonomischer Logik getroffen werden können.

Unternehmen sind sozial und gesellschaftlich, durch die Menschen, die in ihnen arbeiten, und die Gesellschaft, in der sie operieren, dermaßen in ethische Räume eingebunden, dass man sich fragt, wie es sein kann, dass „größere“ Entscheidungen in der Alltagspraxis überhaupt allein nach ökonomischer Logik getroffen werden können.

Ein Modell der ethischen Entscheidungsfindung, das sich im philosophischen Coaching bewährt hat, ist folgende Vier-Schritte-Technik, entwickelt in Anlehnung an die Ausführungen der Philosophin Barbara Bleisch, des Theologen Markus Huppenbauer und des Philosophen Christoph Baumberger (siehe „Ethische Entscheidungsfindung“ im Kasten „Mehr zum Thema“).

Im ersten Schritt erfolgt die Analyse des Ist-Zustandes, in welchem zunächst Fakten und Negativ-Beispiele aufgelistet, geltendes Recht berücksichtigt und Stakeholder identifiziert werden. Grundsätzlich geht es in diesem Schritt darum, zunächst bei den gegebenen Verhältnissen zu bleiben und innerhalb derer die ethischen Aufgaben und Herausforderungen wahrzunehmen. Ethisch relevante Fragen werden identifiziert, formuliert und dabei von ethisch nicht relevanten Fragen unterschieden.

Im zweiten Schritt erfolgt die Kontextualisierung und Anreicherung der Fragen. Die identifizierten Fragen werden in einen breiteren inhaltlichen Kontext gestellt, indem die mit diesen Fragen zusammenhängenden ethischen oder philosophischen Diskurse miteinbezogen werden. Ist das Problem beispielsweise Ungerechtigkeit, wird anhand des oben erwähnten Gerechtigkeitsansatzes von Nussbaum darüber gesprochen, was Gerechtigkeit eigentlich ist. Darauf aufbauend werden Handlungsoptionen ersonnen und mit Pro- und Contra-Argumenten versehen. Letztere können sich aus der Entscheidung für oder gegen handlungsleitende Werte ergeben, die den Gerechtigkeitskonzeptionen wesentlich sind – etwa die Berücksichtigung und Förderung individueller Fähigkeiten.

Der dritte Schritt ist geprägt von Dialog und Diskurs, in welchem die Handlungsoptionen gemeinsam debattiert und Argumente beurteilt und gewichtet werden. Hier kommen sowohl methodische Strategien zum Zuge, um zu einer Entscheidung zu kommen, zum Beispiel Argumentationstheorien und Güterabwägungen. Mitentscheidend sind soziale Haltungen wie Kompromissbereitschaft und das Priorisieren des allgemeinen Interesses vor dem persönlichen Interesse.

Im vierten und letzten Schritt wird die Entscheidung überprüft und festgehalten, sodass alle Betroffenen transparente und bindende Dokumente zur Verfügung haben. Darüber hinaus werden Implementierungsmöglichkeiten und -maßnahmen besprochen.

Festzuhalten bleibt: Philosophisches Coaching beinhaltet also keine Ablehnung ökonomischer Logik, sondern sichert in bester Hegel’scher Dialektik deren Bestand durch Überschreitung. Denn die Voraussetzung ökonomischen Handelns ist nur durch mitarbeitende und führende Menschen gegeben, die im Vollbesitz ihrer vernünftigen-ethischen Vermögen sind.

Der Autor: Dr. Holger Thiel ist promovierter Philosoph und als philosophischer Praktiker sowie Digitalethiker tätig. Kontakt: holgerthiel.net

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