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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Klaus Eidenschink aus managerSeminare 317, August 2024
Absolut vs. unklar: Wie sich Streit entlang von unterschiedlichen Bewertungsformen entwickelt
Aufgeladene Richtigkeit: Warum absolute Standpunkte Konflikte eskalieren lassen – und nötig sind
Nützliche Unklarheit: Wie offene Bewertungen aus der Symmetrie von Auf- und Abwertung heraushelfen
Werte und Identitäten: Warum Meinungen schnell mehr werden als sachliche Beurteilungen
Regulationskompetenz: Welche Fähigkeiten gefragt sind, um mit Absolutheit und Unklarheit umzugehen
Stellen Sie sich ein Meeting vor: Ein Projektleiter berichtet über den Status eines Vorhabens, das für die Firma von ausschlaggebender Bedeutung ist. Dabei schwärmt er von den „bahnbrechenden“ Ergebnissen des Projektes, das „absolut on track“ ist und auch sonst „herausragend performt“. Eine Führungskraft aus einem benachbarten Bereich hört sich die Lobhudelei des Projektleiters an, bis es ihr zu bunt wird und sie herausplatzt: „Alles, was in dem Projekt bislang erarbeitet wurde, basiert nicht nur auf eindeutig unzutreffenden Voraussetzungen, sondern ist auch im Ergebnis rundum falsch!“
Wenn Sie die vorangegangenen Teile dieser Serie gelesen haben, wissen Sie, dass besagte Führungskraft damit gleich mehrere Eskalationsregister gezogen hat. Mit dem Wort „alles“, nutzt sie den in Teil 2 vorgestellten Eskalations-Pol „generalisiert“ und mit den Worten „eindeutig unzutreffend“ bespielt sie den in Teil 3 vorgestellten Pol „einfältig“ und bringt sich so gegen den Projektleiter in Stellung. Mit der Abwertung – „rundum falsch“ – eskaliert sie außerdem noch auf eine dritte Weise, indem sie ein deutliches Urteil ausdrückt, und damit die Wertung nicht mehr der weiteren Diskussionen überlässt. Um diese dritte Möglichkeit, Konflikte anzufachen oder abzuschwächen, soll es in diesem Teil der Serie „Liebe Konflikte“ gehen.
Um die folgenden Erläuterungen richtig einzuordnen, sei kurz an das Konfliktverständnis erinnert, das dieser Serie zugrunde liegt: Konflikte sind nicht per se gut oder schlecht, sondern unvermeidbar und oft sogar notwendig, nicht nur in Meetings, sondern generell zwischen Menschen und in sozialen Systemen wie Unternehmen. Wie Konflikte ablaufen, entzieht sich der willentlichen Steuerung, vielmehr haben sie eine Eigendynamik, die bestimmten Regeln folgt. Ob sie sich abschwächen oder aufschaukeln, entscheidet sich dabei immer wieder neu, von einem Kommunikationszug zum nächsten. Was dabei passiert, lässt sich anhand von insgesamt neun Polaritäten beschreiben, eine davon im sogenannten Bewertungsmodus (s. Kasten).
Demnach lässt sich jeder Konflikt dahingehend beobachten, welche Rolle Bewertungen in der jeweiligen Konfliktkommunikation spielen. Das ist in jedem Konflikt anders, hat jedoch immer erheblichen Einfluss darauf, wie sich die Konfliktdynamik weiter entfaltet (oder eingedämmt werden kann). Bewertungen sind dabei als Wahlvorgänge zu verstehen – das ist gut, das ist schön, das ist richtig, das ist angenehm usw. –, die die Welt in erwünscht und unerwünscht ordnen. Sie zerstören damit immer auch Freiheit, insofern sie alternative Möglichkeiten zugunsten einer klaren Orientierung ausschließen. Bewertungen – positive wie negative – sind immer auch anders möglich und damit individuell: Jeder Mensch, jede Gruppe, jedes soziale System hat eigene Bewertungen. Kommen die mit den Bewertungen anderer Menschen, Gruppen und sozialer Systeme in Kontakt, führt das zwangsläufig zu Konflikten.
Den Texten dieser Serie liegt ein systemtheoretisches Verständnis zugrunde, das Klaus Eidenschink u.a. in seinem Buch „Die Kunst des Konflikts“ ausführt. Demnach sind Konflikte …
Ob sich Konflikte ausweiten oder abschwächen und welche Form sie dabei konkret annehmen, lässt sich nach Eidenschink anhand von insgesamt neun Polaritäten zeigen, die im Laufe dieser Serie thematisiert werden (s. Grafik). Im aktuellen Teil geht es um den sogenannten Bewertungsmodus, also um den Gegensatz von verabsolutierter und unklarer Wertung. Im Fokus steht die Frage, wie sich der Konflikt entwickelt, wenn die Konfliktparteien ihre Meinungen „mit Richtigkeit“ aufladen oder wenn sie die Beurteilung offen halten.
Für den Konfliktverlauf ergeben sich daraus in jedem Kommunikationszug zwei Möglichkeiten, nämlich ob die darin enthaltene Bewertung ...
Wichtig: Die Unterscheidung besteht nicht zwischen Bewerten und Nichtbewerten, in beiden Fällen liegt eine Bewertung vor, nur ist sie in einem Fall klar festgelegt und im anderen kontingent.
Beides hat Auswirkungen auf den weiteren Konfliktverlauf: Wenn Argumente eher als „vorläufig“ oder „noch zu begründen“, „zu erforschen“ oder „differenzierungsbedürftig“ angesehen werden, parkt der Konflikt gewissermaßen das Urteil, was richtig und falsch ist. Der Konflikt hat damit mehr Freiheitsgrade. Hingegen wirken deutliche Meinungsäußerungen in der Regel konfliktstimulierend.
Das zeigt auch das Eingangsbeispiel, in dem sich die Führungskraft im Bewertungsmodus auf dem Eskalationspol „verabsolutiert“ platziert. Durch das „rundum falsch“ führt sie zudem früh die Bewertungskategorie „Wahrheit“ in die Kommunikation ein, was in der Regel nur passiert, wenn es um etwas Wichtiges geht. Wer von etwas in der Sache absolut überzeugt ist und sich entsprechend äußert, bezieht eine Position, die mit „Richtigkeit“ regelrecht aufgeladen ist. Und das ist wiederum Anlass für die Gegenseite, motiviert „Nein“ zu sagen.
Die Führungskraft platziert ihre Bewertung also so, dass die Konfliktdynamik den Projektleiter nahezu zwingt, diesen „Angriff“ seinerseits zu kontern: „Wenn der Kollegin nichts anderes einfällt, als unsere Arbeit schlechtzumachen, zeigt das einfach, wie unzureichend ihr Sachverstand ist!“ Dennoch schürt die Führungskraft den Streit nicht alleine. Denn auch der Projektleiter setzt durch sein ambivalenzfreies Schwärmen über die eigene Arbeit und die damit verbundene Selbstaufwertung seinerseits einen verabsolutierenden Stimulus. Unterm Strich sind beide grundlegend von ihren Bewertungen überzeugt und können die des Gegenübers nicht unwidersprochen stehen lassen. Und so nimmt die Dynamik ihren Lauf. Beide werden laut, sprechen einander das Abitur ab und erklären das jeweilige Gegenüber für fehlgeleitet.
Trotz der gezeigten Eskalation greift die gängige Meinung, dass eindeutiges Bewerten und das Festhalten am eigenen Urteil ein Kennzeichen von dysfunktionalem Konfliktverhalten ist, zu kurz. Organisationen (und andere soziale Systeme) brauchen manchmal sogar die Verabsolutierung von Bewertungen, weil sie sich sonst im Gewohnten festfahren. Ohne Klarheit darüber, was wichtig und richtig ist, geht die Fähigkeit zu Veränderung, Selbstregulation und Innovation verloren, weil bestimmte Diskussionen überhaupt nicht erst losgetreten werden.
Vielleicht merken Sie, dass ich mit dem vorliegenden Artikel dasselbe Muster bediene: Ich bin überzeugt, dass ich recht habe, sonst hätte ich den Artikel gar nicht geschrieben. Der ist so gesehen ein Konfliktangebot an all jene, die den Thesen widersprechen. Je mehr ich meine Meinung mit Wahrheit auflade, desto mehr lade ich auch alle, die eine andere Ansicht zur Konfliktdynamik haben, zum Widerspruch ein, und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich auf das Gelesene ein inneres Nein bildet.
Das muss nicht schlecht sein, und die Lösung für Streit liegt auch nicht immer im Kompromiss. Es gibt Situationen, in denen es einer Konfliktform bedarf, die einen Standpunkt als absolut wahr und richtig vertritt und keine anderen Bewertungen zulässt. Mit einem Einbrecher zum Beispiel wäre eine offene Diskussion, wie viel der Beute er mitnehmen darf, eher ungewöhnlich. Hier ist Klarheit statt Kompromiss gefragt: „Das ist mein Haus!“ Im Zusammenhang mit Führung und Unternehmen verhält es sich mitunter ebenso, wie deutlich wird, wenn man andere Begriffe einsetzt: Zuständigkeit, Abteilung, Expertise, Projekt, Rolle, Funktion etc. Wenn es für die Leistungserbringung unabdingbar ist, muss es Personen geben, die in der Lage sind, die eigenen Positionen ohne Wenn und Aber zu vertreten.
Die Nachteile dieses Kommunikationsmusters liegen ebenfalls auf der Hand. Jede Konfliktdynamik eskaliert mit größerer Wahrscheinlichkeit, wenn sich die Argumentation mit Richtigkeit auflädt. Das geschieht übrigens meist nicht aus bösem Willen oder Unfähigkeit der Akteure – obwohl es das natürlich auch gibt –, sondern aus der Eigendynamik von Konflikten heraus. Wir erinnern uns: Konflikte haben Menschen, nicht Menschen haben Konflikte.
Durch Widerspruch und Verneinung entsteht ein Sog, weil bei den Akteuren das Vertrauen und der Wille, die jeweils andere Seite mit Argumenten zu erreichen, im Verlauf der Argumentation zunehmend verloren gehen. In einer Art Symmetrie werden die eigenen Ansichten auf- und die der anderen Partei abgewertet, wodurch die eigene Bereitschaft sinkt, sich in seiner Meinung irritieren oder gar zur Zustimmung verleiten zu lassen. Logisch: Ist die andere Bewertung falsch, wäre es falsch, die eigene aufzugeben. Weil ich recht habe, ist es unsinnig, auf andere zu hören – das ist die Logik des Konflikts.
In den Kommentarthreads in den Social-Media-Plattformen kann man dieses Muster studieren: Beide Seiten wägen die Argumente der anderen nicht mehr ab, weil die Wahrheit ja schon feststeht, eine Einflussnahme der Akteure aufeinander lässt die Konfliktdynamik durch die absoluten Bewertungen nicht mehr zu. Etwas Ähnliches passiert in vielen Organisationen, in denen Meetings damit enden, dass sich die Argumente nur noch wiederholen und die Verneinungskommunikation damit stabilisiert. Bleibt das so, fräst sich der Konflikt fest oder endet durch Abbruch der Kommunikation. Die beiden Varianten sind nur selten funktional. Daher liegt es an uns Menschen, die Konfliktlogik aufzuweichen und gegenzusteuern. Hier kommt die Funktion von Unklarheit über Wertungen ins Spiel.
Jede sachliche Auseinandersetzung lebt vom Argumentieren. Wer argumentiert, erkennt mehrere Dinge an: Erstens, dass die andere Partei verstehen könnte, was man sagt. Zweitens geht man auf die Argumentation der anderen ein, indem man Gründe dagegen anführt. Drittens investiert man in die Erwartung, dass der andere auf das eingeht, was man selbst sagt, und seinen Standpunkt infolgedessen aufgibt. Argument und Gegenargument leben davon, dass unklar ist, welche der Parteien am Ende recht haben wird: Die Kommunikation bleibt kontingent, das heißt, es kann so oder anders kommen, Überraschungen sind möglich. Vielleicht finden die einen die Argumente der anderen sinnvoll oder umgekehrt, Kompromisse und Teileinigungen können getroffen werden.
Diese „unklare“ Form der Kommunikation gilt als konstruktiv, weil das Wechselspiel von Widerlegen und Begründen von Argumenten zu sachlichen Lösungen und Synergien führen kann und zudem mögliche Fehler oder Missverständnisse aufdeckt. Da es viele Konfliktsysteme gibt, die sich über symmetrische Abwertungen der anderen und Aufwertungen der eigenen Person oder Gruppe stabilisieren, braucht es Unklarheit in den Bewertungen, um zu einer gemeinsamen Ordnung bzw. gemeinsamen Entscheidungen kommen zu können. Ohne Einigkeit in den Bewertungen oder zumindest eine Toleranz für abweichende Urteile kann kein sozialer Friede entstehen. Dann schwelt der Konflikt weiter und verbraucht Ressourcen, die an anderer Stelle fehlen.
Carl-Auer 2023, 29,95 Euro.
Mit systemtheoretischem Blick entwickelt Klaus Eidenschink ein Modell zum Verständnis von Konflikten und ihren systemimmanenten Dynamiken. Beschrieben wird, wie sich Konflikte selber erhalten, zwischen welchen Polen und in welchen Dimensionen sie sich bewegen – und welche Kompetenzen wir brauchen, um von Fall zu Fall entscheiden zu können: Sollte ich den Konflikt sogar schüren, anzetteln und auskämpfen? Oder sollte ich ihn doch lieber beruhigen? Und wie gehe ich bei beiden Optionen variantenreich und emotional intelligent vor?
Unter diesem Link finden sich alle bisher erschienenen Teile der Konfliktserie. Im ersten Teil geht es um sieben Prinzipien, die Konflikte prägen. Im zweiten Teil um die Polarität von generalisierter und spezifischer Konfliktkommunikation und ihren Einfluss auf den weiteren Konfliktverlauf.
Halten wir also fest: Bewertungen sind per se weder gut noch schlecht, sowohl absolute als auch unklare Urteile können je nach Situation nützlich oder schädlich sein. Die Verabsolutierung schürt zwar tendenziell den Konflikt, aber das ist mitunter auch notwendig. Denn Konfliktsysteme brauchen Einseitigkeiten – bezogen auf die Pole, zwischen denen sie sich bewegen –, um sich zu entwickeln. Und das müssen sie tun, um ihre Funktion zu erfüllen, Stabilität aufzubrechen und sie nachher wieder herzustellen.
Die Lösung kann also nicht sein, auf Bewertungen zu verzichten. Was es aber braucht, ist ein kompetenterer Umgang mit eigenen und fremden Bewertungen, um aus der fatalen Symmetrie von Aufwerten und Abwerten herauszukommen. Das Problem dabei ist, dass Urteile oft nicht auf der Sachebene bleiben. Von Bewertung kommt man schnell zu Werten. Dann geht es nicht mehr um richtige oder falsche Projektfortschritte, sondern um etwas Grundsätzlicheres: um Identität, die Orientierung stiftet und daher verteidigt werden darf oder sogar muss. Damit hat der Konflikt sein Ziel erreicht: Er findet seine Beute, weil es dann Menschen, Gruppen, Abteilungen oder Organisationen gibt, die „für etwas stehen“ und stur an ihren Meinungen festhalten, schließlich geht es darum, was man als richtig, gut, schön, machbar, professionell, wirtschaftlich oder als sozial erwünscht ansieht. Damit ist Widerspruch fast garantiert, es bilden sich stabile „Neins“ zu anderen Werten und geben damit jedem Konflikt so richtig Schwung. Gerade in Organisationen passiert dies ständig, etwa wenn Abteilungen unterschiedliche Wertvorstellungen haben, was gute Arbeit ausmacht.
Bewertungen dieser Art haben also eine Doppelfunktion: Einerseits stabilisieren sie die eigene Identität, und andererseits sorgen sie für Hyperstabilität des Konfliktsystems. Man denke an Ost gegen West oder Linke gegen Rechte. Versucht man, solche Konflikte zu moderieren, kommt es darauf an, diese doppelte Funktion im Blick zu haben. Eine Bewegung im Bewertungsmodus in Richtung des Pols „unklar“ wird nur möglich sein, wenn die durch Werte gebildete Identität auf andere Weise stabilisiert werden kann. Aus meiner Sicht ist die Vernachlässigung dieses Zusammenhangs ein Hauptgrund für das Scheitern von Konfliktberatungen.
Was heißt das nun für den Umgang mit Konflikten? Klar ist: Konflikte brauchen beide Pole „verabsolutiert“ und „unklar“. Der eine Pol ist nötig, um Standpunkte mit Kraft, Eindeutigkeit und Entschlossenheit aufzuladen. Der andere dient dazu, Bewertungen zu labilisieren und zu verändern. Ohne Wertungen aufzugeben, kann sich keine neue (gemeinsame) Stabilität ausbilden und formen. Die Fähigkeit zu unterscheiden, wann das eine oder das andere angesagt ist, ist aber alles andere als banal. Ebenso die Frage, wie man erkennen kann, ob und wie gut man diese beiden Pole bedienen und repräsentieren kann. Was braucht es also, um sich in Konflikten funktional zu bewegen?
Auf dem Pol „verabsolutiert“ positioniert man sich, wenn man überzeugt ist, dass es falsch wäre, am eigenen Wert zu zweifeln. Damit setzt man sich jedoch selbst an die Stelle dessen, der Richtigkeit beurteilen kann, und ist dann nicht mehr nur Debattenteilnehmer, sondern „Richter über die Sache“. Viele Menschen tun dies fast gewohnheitsmäßig – statt bewusst zwischen den Polen zu wählen – und werden so zu Förderern unfruchtbarer Konflikte. Funktional ist ein solcher Kommunikationsstil nur dann, wenn dem Gegenüber nicht anders zu vermitteln ist, wie wichtig einem die Sache ist. Dieser Eskalationsschritt will daher gut überlegt sein. Denn man macht es sich damit auch selbst schwerer, wieder von der Meinung abzurücken, sollte sich das als nötig erweisen.
Wird die Meinung in dieser Weise aufgeladen, und in der angesprochenen Symmetrie die abweichende Meinung negativ überhöht, muss man für die Regulation seines Konfliktverhaltens in der Lage sein, sich zu fragen: Ist die jeweilige Überzeugung etwas Sachbezogenes oder dient sie eher dazu, eine Identität zu schaffen oder zu stützen? Denn es ist im Konflikt wichtig, sich (und andere) nicht mit den jeweils vertretenen Meinungen zu verwechseln. Wer sich zu sehr mit der eigenen Bewertung identifiziert, für den steht in Konflikten zu viel auf dem Spiel. Dann ist nicht nur die Meinung in Gefahr, sondern das ganze Selbstverständnis. Sachliche Ergebnisse werden dann unwahrscheinlich, weil die Diskussion nur noch dem Erhalt der Identität dient.
Daher gibt es an diesem Pol einige Reflexionsfragen zu benennen, über die nachzudenken sich lohnen könnte:
Eigene und fremde Bewertungen infrage zu stellen und damit zu labilisieren, ist eine wichtige Fähigkeit am Pol „unklar“. Hat man etwas erst einmal als „gut“ oder „schlecht“ etikettiert, rückt man nicht mehr so leicht davon ab. Bewertungen drohen hyperstabil zu werden. Wenn sich Konflikte im Muster „richtig gegen richtig“ etabliert haben, müssen diese Festlegungen jedoch, wenn nicht aufgegeben, so doch reflektiert werden können. Soll der Konflikt in eine neue Stabilität münden, führt an der Überprüfung vertrauter Wahrheiten kein Weg vorbei – es sei denn, man setzt auf Unterwerfung, bezugloses Nebeneinander oder Beziehungsabbruch. Denn das sind die Möglichkeiten, die bleiben, wenn man unreflektiert an der eigenen Bewertung festhält – und die nach meiner Erfahrung sehr viel häufiger gewählt werden als ein (Teil-)Aufgeben eigener Standpunkte.
Von einem als richtig oder gut empfundenen Standpunkt abzurücken, erfordert allerdings ein ganzes Bündel von Kompetenzen. Zunächst muss man sich von der Behauptungskommunikation lösen können. Es nützt nichts, die beste Lösung zu haben, die keiner will. Wer nur als „Fachmann“ auf Probleme schaut, wird schnell zum „Wissenschaftsdiktator“. Die Geduld aufzubringen, anderen zu erklären (oder sich selbst erklären zu lassen), warum etwas richtig oder falsch ist, setzt voraus, dass man sich der leicht entstehenden Arroganz des Wissenden entziehen kann. Außerdem muss man in der Lage sein, mehrere Bewertungen gleichzeitig als möglich und wertvoll zu erachten. Dazu braucht es Mentalisierungsfähigkeit, also die Fähigkeit, die Welt mit den Augen anderer zu sehen und die eigene Perspektive von außen zu betrachten. Zudem muss man die Spannung aushalten können, die mit dem Aushandeln von Kompromissen einhergeht, wobei immer das Risiko besteht, zu viel aufzugeben oder zu starr zu sein.
Folgende Fragen können nützlich sein, um die „Verunklarungskompetenz“ einzuschätzen:
In managerSeminare 319 geht es um die Frage, wie wichtig es ist, im Kontakt mit anderen zwischen feindlich und dialogisch wechseln zu können.
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