Führung

Liebe Konflikte
Liebe Konflikte

Jetzt rede ich und damit basta!

Das Zuhörenkönnen ist eine wichtige (Führungs-)Kompetenz, die in der Praxis oft zu kurz kommt. Vor allem in Konflikten neigen Menschen eher dazu, sich aufs Senden zu verlegen und den Streit damit eskalieren zu lassen. Genau das ist aber manchmal nötig, sagt Klaus Eidenschink. Im siebten Teil der Serie „Liebe Konflikte“ zeigt der Coach, warum es für die Auseinandersetzung hilfreich sein kann, einmal nicht auf die Gegenseite einzugehen.

Preview

Senden statt zuhören: Warum es manchmal nötig ist, über die Mitteilungen der Gegenseite hinwegzugehen

Konfliktentscheidung: Welche Möglichkeiten Streitparteien haben, um zu eskalieren bzw. zu deeskalieren

Notwendige Symmetrie: Warum es ein Kräftegleichgewicht braucht, damit ein schwelender Konflikt an die Oberfläche kommt

Führung und der Sende-Pol: Wie Organisationen die erkundende Konfliktkommunikation fördern

Regulationskompetenz: Welche psychischen Fähigkeiten fürs Senden und fürs Erkunden gefragt sind


Cover managerSeminare 323 vom 24.01.2025Hier geht es zur gesamten Ausgabe managerSeminare 323

Fast alle HR-Profis und Führungskräfte in Organisationen kennen Weiterbildungen, in denen der Wert des Zuhörens und der empathischen Erkundung gefördert und eingeübt werden soll. Nicht ohne Grund, schließlich gibt es unzählig viele Meetings, in denen ausschließlich „Laut-Sprecher“ und keine „Aufnahme-Geräte“ vertreten zu sein scheinen, und da liegt es nahe, mit Trainings gegenzusteuern. Jedoch ist diese einseitige Wertschätzung des Zuhörens, also des Interesses an den Mitteilungen anderer, genau das: einseitig.

Fast alle HR-Profis und Führungskräfte kennen Weiterbildungen, in denen der Wert des Zuhörens gefördert und eingeübt werden soll. Dafür gibt es gute Gründe. Jedoch ist diese einseitige Wertschätzung des Interesses an den Mitteilungen anderer genau das: einseitig.

Dieser Befund ist für das Thema Konfliktdynamik wichtig, um das sich die Artikelserie „Liebe Konflikte“ dreht. Denn wie schon in den sechs vorangegangenen Beiträgen immer wieder betont wird: In Konflikten braucht es, damit sie sich beruhigen oder schüren lassen, mehr als nur einen Pol, in diesem Fall „Zuhören“. Auch der entgegengesetzte Pol – „Senden“ – ist unabdingbar: Beides muss als Möglichkeit im Spiel sein, sonst bleiben Konflikte schwelend und unfruchtbar.

„Das musste mal gesagt werden!“

Aber was passiert überhaupt am Senden-Pol? Zur Illustration nehme ich ein Beispiel aus meinem Buch (s. „Mehr zum Thema“): Zwei Abteilungsleiterinnen sollen wegen ihrer anhaltend schlechten Zusammenarbeit zu mir ins Coaching. Die beiden könnten kaum unterschiedlicher sein: Frau K. wirkt akkurat, gewissenhaft und sachkompetent. Sie ist höflich und besonnen, spricht mit leiser Stimme, nahezu druckreif. Ihre Expertise gilt im Unternehmen als unverzichtbar. Frau W. hingegen ist eine temperamentvolle, extrovertierte Frau. Kräftiges Lachen, kräftiger Händedruck, kräftige Sprache. Sie kleckert nicht, sie klotzt. Sympathisch und andere in ihrer Dominanz für sich einnehmend, gilt sie als führungsstark. Ich bitte beide, mir zu erklären, warum ihre gemeinsame Chefin die Zusammenarbeit der beiden „katastrophal“ nennt. Sofort fängt Frau W. an, weitschweifend und anekdotenreich die Lage zu bagatellisieren und die Kritik als Ausdruck überzogener Erwartungen zu deuten. „Wir wollen es doch alle bei der Arbeit auch gut miteinander haben! Da fällt halt mal was hinten runter.“

Dann geschieht etwas für mich – und wohl auch für die beiden – gänzlich Unerwartetes. Frau K. hält es nicht auf dem Stuhl. Sie steht auf, stemmt die Hände in die Hüften und beginnt einen Monolog, in dem sie alles auf den Tisch wirft, was falsch läuft. Mehrfache Versuche der Kollegin oder auch von mir, sie zu unterbrechen, unterbindet sie durch ein schrilles „Jetzt rede ich und niemand sonst hier!“. Als sie fertig ist, setzt sie sich hin. „Das musste mal gesagt werden!“ In einer Mischung aus Stolz, Verwunderung und Ängstlichkeit schaut sie uns beide an.

Leitunterscheidung „Aktionsmodus“

Die sechste Leitunterscheidung des in der vorliegenden Serie vorgestellten Konfliktdynamik-Modells greift einen Entscheidungszwang auf, den jede Konfliktkommunikation in ihrem Verlauf immer wieder bedienen muss. Es ist die Entscheidung, welche Aktion die Konfliktparteien wählen, genauer: ob der Fokus auf Senden oder Erkunden steht. Wollen sie also vor allem selbst sprechen und die Gegenseite überzeugen? Oder wollen sie vielmehr zuhören und erkunden, was die andere Partei im Sinn haben könnte?

Auch wenn man vielleicht etwas anderes vermuten würde: Die Pole sind beide weder richtig noch falsch, sondern können je nach Situation sowohl hilfreich als auch schädlich sein. Um das zu verstehen, sei kurz an das Konfliktverständnis erinnert, das dieser Serie zugrunde liegt. Demnach sind Konflikte nicht etwas, über das wir Menschen Kontrolle haben, sondern umgekehrt: Sie schnappen sich uns und schleifen uns durch die Gegend, wie Tiger es mit ihrer Beute machen. Konflikte führen also ein Eigenleben und entwickeln sich dabei entlang von Polaritäten wie der von erkundend und sendend. Ob sich Konflikte abschwächen oder verstärken, entscheidet sich von Moment zu Moment immer wieder neu (s. Kasten).

Wie funktionieren Konflikte?

Den Beiträgen dieser Serie liegt ein systemtheoretisches Verständnis zugrunde, das Klaus Eidenschink u.a. in seinem Buch „Die Kunst des Konflikts“ ausführt. Demnach sind Konflikte …

  • kein Missgeschick im menschlichen Miteinander, sondern etwas, was überall stattfindet, wo Interessen und Sichtweisen aufeinandertreffen. Konflikte sind demnach auch nicht zu lösen, sondern nur (vorübergehend) zu beruhigen – und müssen bisweilen sogar verschärft werden.
  • notwendig, um eine bestehende Ordnung aufzubrechen bzw. eine neue zu etablieren. Konflikte sind demnach nicht immer schlecht, und Konsens ist nicht immer gut, vielmehr geht es um die Frage, wann ein Konflikt bzw. ein Konsens schädlich ist oder hilfreich.
  • unkalkulierbar und unkontrollierbar. Sie folgen dabei eigenen Regeln, wobei sie den Konfliktbeteiligten aber immer wieder die Wahl lassen, eskalierend oder deeskalierend weiterzumachen.

Ob sich Konflikte ausweiten oder abschwächen und welche Form sie dabei konkret annehmen, lässt sich nach Eidenschink anhand von insgesamt neun Polaritäten zeigen, die im Laufe dieser Serie thematisiert werden (s. Grafik). Im aktuellen Teil geht es um den sogenannten Aktionsmodus auf der Sozialdimension, genauer: um den Gegensatz von sendender und erkundender Haltung. Dabei geht es um die Frage, ob wir eher sprechen und überzeugen wollen, oder ob wir den Fokus mehr darauf legen, die Gegenseite zu verstehen.

Quelle: managerseminare.de; Klaus Eidenschink 

Das eingangs beschriebene Beispiel zeigt, warum es dabei wichtig ist, sich auch mal ganz auf den Senden-Pol zu verlegen. Der Konflikt, der zwischen den Frauen herrscht, ist nämlich unterschwellig, das heißt, er kommt nicht zum Ausbruch und damit auch zu keiner Lösung, weil die „Schwächen“ beider (!) Frauen sich ungünstig ergänzen. Auf der einen Seite will Frau W. den Konflikt nicht deutlich werden lassen, weil sie von der verwaschenen Lage profitiert, in der ihre Leistungsmängel bestehen bleiben können. Auf der anderen Seite tut sich Frau K., die unter den Fehlern von Frau W. leidet, schwer mit Aggression, und versucht daher nur auf der Sachebene, ihre Punkte zu machen. So kann der Konflikt keine neuen Verhältnisse schaffen.

Es ist eine zentrale Aufgabe der Konfliktmoderation in solchen Situationen, es für die Streitparteien entweder schwieriger zu machen, die etablierten Muster zu bedienen, oder leichter, andere Muster auszuprobieren. Wichtig ist, dass der Konflikttiger Nahrung bekommt. Im Beispiel geschieht das ohne äußeres Zutun, allein dadurch, dass Frau K. das Setting nutzt, den Sende-Pol besetzt und einfach mal vom Leder zieht. Das war ohnehin lange schon fällig, und das ausweichende Kommunikationsverhalten von Frau W., das sozialen Frieden auf Kosten sachlicher Missstände aufrechterhält, ist damit am Ende. Frau K. macht klar, dass es eine Illusion ist, dass man es „gut miteinander hat“, der verschleppte Konflikt kann endlich ausgetragen werden.

Der Pol „Senden“

Es kann für Konflikte also funktional, ja unabdingbar sein, in bestimmten Situationen auf jegliches Eingehen auf andere zu verzichten. Protestbewegungen senden daher ihre Botschaft laut, deutlich, oft zugespitzt und anhaltend in die Welt: „How dare you?!“ wurde zum Wahlspruch von Friday for Future. Durch solche Sendungen wird der Konflikt bewusst gesucht – und die Bereitschaft verweigert, die bekannten Argumente der Gegenseite zu hören, warum „das alles nicht so schnell gehen kann“ und „nicht so einfach ist“. Zu Recht, denn in solchen Fällen – wenn ein eingespieltes Machtsystem nicht offen ist für neue Ideen – braucht es häufig ein unerbittliches Gegenüber, damit eine Auseinandersetzung überhaupt eintreten kann.

Es kann für Konflikte funktional sein, in bestimmten Situationen auf jegliches Eingehen auf andere zu verzichten. Protestbewegungen senden ihre Botschaft laut, deutlich, oft zugespitzt und anhaltend in die Welt, um die andere Seite zu zwingen, sich für ihre Mitteilungen zu interessieren.

Diese asymmetrische Machtstruktur – eine Seite will von den Anliegen einer anderen Seite nichts wissen – gibt es im Kleinen (Familie, Team, Verein, Gemeinderat etc.) wie im Großen (Politik, Organisationen, Verbände etc.). Die ungehörten, unterrepräsentierten oder vernachlässigten Kräfte müssen am „Senden“-Pol aktiv werden, um die andere Seite zu zwingen, sich für ihre Mitteilungen zu interessieren, statt umgekehrt. Dabei sind rigide Haltungen – man kann sie stur, verbohrt, ausufernd, uneinsichtig, unbeeindruckbar, konfrontierend, selbstbezogen u.v.m. nennen – von hohem Wert. Das Konfliktsystem sucht und „befördert“ geradezu Menschen, die solche Features bereitstellen. Jeder hat selbst vermutlich Personen vor Augen, die in Konfliktlagen eine Führungsrolle übernehmen und zur Identifikationsfigur werden, hinter der sich andere versammeln können. Durch ihr Senden entsteht die nötige Wucht und gegebenenfalls auch die mediale Aufmerksamkeit, die es braucht, um auf Augenhöhe zu diskutieren.

Notwendige Symmetrie

Was das Besetzen des Senden-Pols bewirkt, zeigt der weitere Verlauf des Beispielfalls: „Was ist denn in Dich gefahren?“, fragt Frau W., die ich erstmals kleinlaut erlebe. „Hast Du immer noch nicht zugehört?“, erwidert Frau K. und erläutert – diesmal wieder ruhig, detailliert und mit konkreten Beispielen – noch einmal, was aus ihrer Sicht in der Abteilung von Frau W. zu lax gehandhabt wird und damit in ihrem eigenen Bereich zu Mehrarbeit, Stillstand und Entscheidungsnotstand führt. Auch diesmal lässt sie sich nicht unterbrechen, sondern hält die Stellung und „sendet“. Irgendwann frage ich Frau W., ob sie das Gesagte nachvollziehen kann. „Ja“, sagt diese, „aber so habe ich das noch nie gehört.“ Worauf Frau K. erwidert: „Weil Du sonst immer selbst sprichst.“

Die Situation ist ein wenig skurril, weil der durch den Ausbruch erfolgte Rollentausch die beiden erstmalig in den offenen Konflikt zwingt. Beide sind jetzt im Ring. Frau K. ist es nicht gewohnt, überhaupt im Ring zu stehen, für Frau W. hingegen ist es ungewohnt, eine Gegnerin zu haben. Aber nur dadurch, dass sich nun beide ebenbürtig gegenüberstehen, können sie ihre (Sach-)Konflikte angemessen besprechen, ohne dass eine Seite dominiert oder die andere vor lauter Verständnis das eigene Anliegen hintanstellt. Erst durch ein „erbarmungsloses“ Senden von Frau K. kommt die Symmetrie der Kräfte zustande, die der Konflikt braucht.

Das hat allerdings auch eine Kehrseite: Denn wenn beide Seiten senden, beginnt ein Kampf ums Rederecht, und dass am Ende alle brüllen, ergibt sich dann fast zwangsläufig. Die Eigendynamik des Konflikts zwingt die Streitenden dazu, die verbale Geschwindigkeit immer weiter zu erhöhen, bis es Schlag auf Schlag geht. Der Konflikt bleibt dann jedoch fruchtlos und kann keinen neuen stabilen Zustand finden. Soll das nicht zum Abbruch der Beziehung oder zum Ende der Kommunikation führen, braucht es andere Optionen.

Der Pol „Erkunden“

Hier kommt der Erkunden-Pol der Konfliktdynamik ins Spiel. Damit ist etwas gänzlich anderes gemeint als das in Konflikten übliche Warten, dass der andere endlich fertig ist und man selbst wieder das Wort ergreifen kann. Erkunden bedeutet, danach zu suchen, ob die andere Seite etwas sagt, dem man zustimmen könnte. Ob sich eine neue Perspektive auf die andere Person oder Gruppe ergibt. Ob sich dort ebenfalls eine Bereitschaft zu verhandeln oder zu erkunden findet. Um wieder in eine dialogische Haltung (s. Teil 5 dieser Serie) zu kommen, ist es nötig, zu sondieren. Und dazu braucht es Räume, in denen die Gegenpartei sich entfalten kann, und die nicht „zugesendet“ werden.

Mehr zum Thema

Klaus Eidenschink: Die Kunst des Konflikts – Konflikte schüren und beruhigen lernen.

Carl-Auer 2023, 29,95 Euro.

Mit systemtheoretischem Blick entwickelt Klaus Eidenschink ein Modell zum Verständnis von Konflikten und ihren systemimmanenten Dynamiken. Beschrieben wird, wie sich Konflikte selber erhalten, zwischen welchen Polen und in welchen Dimensionen sie sich bewegen – und welche Kompetenzen wir brauchen, um von Fall zu Fall entscheiden zu können: Sollte ich den Konflikt sogar schüren, anzetteln und auskämpfen? Oder sollte ich ihn doch lieber beruhigen? Und wie gehe ich bei beiden Optionen variantenreich und emotional intelligent vor?

mS-Serie – Liebe Konflikte

msmagazin.info/LiebeKonflikte

Unter diesem Link finden sich alle bisher erschienenen Teile der Konfliktserie. Im ersten Teil geht es um sieben Prinzipien, die Konflikte prägen. In den folgenden Teilen geht es um die insgesamt neun Polaritäten, entlang derer sich Konflikte entweder aufheizen oder entspannen.

Salopp gesagt: Will man ins Gespräch kommen, muss man also auch mal die Klappe halten und zuhören können. Die eigenen Inhalte zurückzustellen und sich mit der Gegenseite zu beschäftigen, ist jedoch anspruchsvoll, weil von einer Seite eine Vorleistung erbracht werden muss. Wer im Konflikt auf Erkundung umschaltet, weiß in der Regel nicht, ob die andere Partei das auch tun wird. Im Gegenteil läuft man Gefahr, dass dies eher ausgenutzt wird, nach dem Muster: „Und dann will ich Dir auch noch sagen …!“ Spätestens dann erstirbt der Wille zum Erkunden wieder, und der Konflikt landet neuerlich beim Sende-Pol, die Selbststabilisierung des Konflikts tritt wieder in Kraft. Womit wiederum verständlich wird, wieso sich spezielle Schulungen für das Zuhören-Lernen in Organisationen entwickelt haben.

Führung muss senden – und erkunden

Organisationen verdienen ohnehin eine gesonderte Betrachtung. Wie alle sozialen Systeme sind sie darauf angewiesen, dass Erkundungskommunikation auch in Konflikten wahrscheinlich bleibt. Sie tun dies dadurch, dass „Zuhören-Können“ als sozial erwünscht gelabelt wird. Es wird moralisch positiv besetzt, was die Motivation stärkt, sich entsprechend „richtig“ zu verhalten. Das Vertrackte daran ist, dass mit „Durchsetzungsstärke“ auch der andere Pol moralisiert und belohnt wird – ein Hinweis darauf, wie sehr die organisationale Konfliktbearbeitung beide Pole am Aktionsmodus braucht.

Organisationen können den Erkunden-Pol auch dadurch stärken, dass sie für Pausen sorgen. Durchatmen, Spazierengehen und andere Unterbrechungen sind ein probates, in Verhandlungen und Diplomatie erprobtes Mittel, um vom Sende-Pol abzurücken. Klar: Wenn die Gegenpartei nicht anwesend ist, kann man sie nicht zutexten. Diese Art von Pausen im Konflikt verlangt den Beteiligten innerpsychologisch allerdings einiges ab. Denn dem Sog, weiter verbal zuzuschlagen, ist nicht leicht zu widerstehen.

In Organisationen kommt hinzu, dass asymmetrische Rollen eine erkundende Kommunikation erschweren. Die Funktion von Führung ist es nämlich, (auch) zu senden. Egal ob als Eltern, Vereinsvorstand, Managerin, Unternehmer oder Lehrerin – man muss Informationen in die Welt setzen. Zumindest im Krisenfall muss man in solchen Rollen aber auch zuhören können. Eine Managerin muss erkunden können, woran es liegt, wenn ihre Entscheidung nicht befolgt wird. Und sie muss reflektieren können, wann Zuhören nötig ist, damit die Kommunikation mit Menschen, die sich von „denen da oben“ nicht verstanden fühlen, nicht in ein Konfliktsystem wechselt. Alle Führungskräfte sollten daher lernen und üben, zu erkunden. Denn sonst können sie nicht frei zwischen den beiden Polen des Aktionsmodus wählen – und kommen dann aus Konflikten überhaupt nicht mehr heraus.

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Regulationskompetenz am Pol „Erkunden“

Damit stellt sich die Frage, welche psychischen Fähigkeiten erforderlich sind, damit Konflikte und Menschen gut zusammenpassen. Konflikte entwickeln, wie schon erwähnt, einen psychologischen Sog in Richtung Eskalation. Fast jeder kennt, wie es ist, wenn man „in Fahrt“ kommt und man seinen Punkt machen, seinen Satz aussprechen, seine Meinung platzieren will. Evolutionstheoretisch ist das nützlich, weil so Konflikte schneller eskalieren und dadurch besser ihre Funktion erfüllen, Neues entstehen zu lassen. Evolution nimmt allerdings keine Rücksicht aufs Individuum oder auf Gruppen. Wenn wir also wollen, dass Konflikte nicht schädlich für die Beteiligten enden, müssen wir sie gestalten können. Sonst gestalten sie uns. Für die Freiheit, den Erkunden-Pol souverän zu besetzen, braucht es insbesondere vier seelische Fähigkeiten:

  1. So banal es klingt: Je mehr Selbstliebe man praktizieren kann, desto leichter wird es, jemandem zuzuhören, auch wenn er oder sie Ablehnung mitteilt. Wer psychologisch auf das Wohlwollen anderer angewiesen ist, hat es hingegen schwerer, sorgfältig Gegenpositionen zu erkunden, wenn das Gegenüber nur sendet und selbst nicht zuhört. Für Letzteres braucht es nämlich die innere Sicherheit, dass die eigene Position auch dann wertvoll ist, wenn man vorübergehend darauf verzichtet, sie ins Spiel zu bringen. Hat man diese Sicherheit nicht, muss man – um die Selbstachtung zu wahren – ums Rederecht kämpfen.
  2. Wer im Konflikt die Positionen des anderen erkundet, braucht die Entschlossenheit, klarzumachen, dass dies auf Dauer nicht einseitig bleiben kann. Erkunden, welches einseitig bleibt, droht mit Selbstaufgabe zu enden.
  3. Menschen, die kontinuierlich senden, tragen meist viel Unsicherheit in sich. Wer flexibel werden und auch im Erkunden gut sein möchte, sollte sich mit den eigenen Unsicherheiten anfreunden. Eine solche Freundschaft mit der eigenen Unsicherheit geht meist einher mit dem Vertrauen, dass andere einen schätzen und mögen, wenn man sich näher kennenlernt. Dann ist man auch nicht mehr darauf angewiesen, nur mit den Schokoladenseiten der eigenen Person sichtbar zu sein, und sendend alles zu korrigieren, was auf eigene Schattenseiten hinweisen könnte.
  4. Die vierte wichtige Kompetenz liegt darin, die gegenwärtige Situation mit den Augen des Gegenübers sehen zu können. Erkunden ist mitnichten nur auf der kognitiven Ebene angesiedelt, sondern ist ein zutiefst mit Emotionen durchtränkter Vorgang. Die seelische Entwicklung von Empathie und Mentalisierung kann jedoch beeinträchtigt worden sein, weshalb es sich für jeden Menschen zu erforschen lohnt, ob man sich eher leicht- oder schwertut, zwei Wahrheiten zur gleichen Sachlage gelten zu lassen. Ein Hinweis, dass man hier Entwicklungsbedarf hat, ist, wenn man immer wieder feststellt, dass sich andere Menschen für einen selbst auf eine gewisse Weise rätselhaft verhalten. Wer oft „Wie kann man nur?“ denkt, hat hier in der Regel Schwachstellen.

Zusammenfassend kann man sagen: Je weniger Selbstwert, je weniger Urvertrauen, je weniger Bindungssicherheit, desto verbissener müssen Menschen am Kampf ums Reden und Rechthaben festhalten und „senden“. Wie es um die eigene Erkundungskompetenz bestellt ist, lässt sich mit folgenden Reflexionsfragen prüfen:

  • Wie leicht fällt es mir, strittige Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen?
  • Kann ich mir Motive und Gefühle meiner Konfliktpartner ausmalen oder ist mir ihr Verhalten ein Rätsel?
  • Bleibt mein Selbstwert stabil, wenn ich den anderen nicht von meiner Wahrheit überzeugen kann?
  • Wie abhängig bin ich davon, dass der andere begreift, wie falsch er liegt?
  • Wie gut bin ich darin, auszuhalten, dass ich bei jemandem erst mal nicht landen kann?
  • Wie viel Angst habe ich, dass die Beziehung bricht, wenn der andere mich nicht versteht (und ich deshalb ständig sende)?

Regulationskompetenz am Pol „Senden“

Auf dem anderen Pol fällt die Sende-Kompetenz gewissermaßen vom Himmel, Kinder können sich schon von klein auf lautstark äußern, im Nein, aber auch im Ja „Ich will das!“. Weil das jedoch so anstrengend sein kann – also ständig zu Konflikten führt: „Nein, vor dem Essen keine Schokolade!“ –, wird diese Fähigkeit von Eltern oft bekämpft, beschämt und beschuldigt. Das hat Folgen, denn um senden zu können, braucht es ganz basal die innere Erlaubnis, sich in der Welt „zeigen“ zu dürfen und seine Meinung zu vertreten. Wer früh schlechte Erfahrungen damit macht, sich spontan zu äußern („Sei nicht so vorlaut!“), sich hervorzutun („Stell Dich nicht immer in den Mittelpunkt!“) oder sich zu verteidigen („Deine Ausreden helfen Dir nicht!“), der wird sich nicht so leichttun, wenn es darauf ankommt, unbefangen das Rederecht zu beanspruchen. Es ist also keineswegs selbstverständlich, dass alle Menschen diese Fähigkeit haben und praktizieren.

Drei Zündstoff-Gedanken

Zuhören statt nur die eigene Meinung zu wiederholen – landläufig gilt das als Königsweg, um Konflikte zu befrieden. In manchen Situationen kann aber auch das Gegenteil der Fall sein, sagt Klaus Eidenschink. Dann muss man „Basta!“ sagen, damit man wieder zueinanderfindet.

  • Es kann im Konflikt erforderlich sein, die eigene Position klar und ohne jede Rücksicht auf die Meinung des Gegenübers darzulegen und zu verfechten. Dieses „Senden“ ist etwa dann wichtig, wenn ein schwelender Konflikt sonst nicht zum Ausbruch – und damit auch zu keiner Lösung – kommt. Vor allem in asymmetrischen Konfliktsituationen – wenn eine mächtigere Person oder Instanz von der anderen Seite nichts wissen will – braucht es unerbittliches Senden, damit eine Auseinandersetzung überhaupt eintreten kann.
  • Das Gegenstück zum Senden – das Erkunden – ist im Konflikt wichtig, um sich der Gegenseite anzunähern. Erkunden bedeutet, bei der anderen Seite nach etwas zu suchen, dem man zustimmen kann. Dieses Interesse an Positionen der anderen Partei ist mitunter aber ungünstig für die Konfliktdynamik, denn es kann dazu führen, dass eigene Standpunkte nicht deutlich genug vertreten oder vor lauter Verständnis zurückgestellt werden, und damit die Ursache des Konflikts bestehen bleibt.
  • Die Eigendynamik des Konflikts tendiert zum Senden und damit in Richtung Eskalation: Die Streitenden kämpfen um das „Senderecht“, was sie zwingt, die verbale Geschwindigkeit immer weiter zu erhöhen, bis es Schlag auf Schlag geht. Der Konflikt bleibt dann jedoch fruchtlos und kann keinen neuen stabilen Zustand herbeiführen. Organisationen muss es daher daran gelegen sein, Bedingungen zu schaffen, in denen beide Pole zur Geltung kommen.
Quelle: managerseminare.de; Klaus Eidenschink

Diese innere Erlaubnis braucht es, um das Selbstvertrauen zu haben, sich verständlich zu machen – auch mit Kraft, wenn nötig. Ebenfalls hilfreich ist es, wenn man das Eigene richtig und wichtig findet, und daher auch ein Motiv hat, sich zu positionieren und auch bei Widerspruch nicht gleich den Mund zu halten, sondern „Jetzt spreche ich!“ zu sagen. Man muss zudem etwas erreichen wollen, braucht einen Gestaltungs- oder auch einen Selbstbehauptungswillen. Wer hingegen gleich zuckt, wenn die Gegenpartei signalisiert, dass sie nun mit Reden dran sei, oder sich sofort zurücknimmt, sobald man ablehnende Mimik und Gestik wahrnimmt, ist Konflikten nicht gewachsen. Gerade Menschen, denen Werte wie Höflichkeit und Empathie wichtig sind, stehen sich hier bisweilen selbst im Weg. Regulationskompetenz in Konflikten bedeutet daher auch, Werte, die zu einem der Pole nicht passen, vorübergehend parken zu können.

Wer gleich zuckt, wenn die Gegenpartei signalisiert, dass sie nun mit Reden dran sei, oder sich sofort zurücknimmt, sobald man ablehnende Mimik und Gestik wahrnimmt, ist Konflikten nicht gewachsen. Gerade Menschen, denen Werte wie Höflichkeit und Empathie wichtig sind, stehen sich hier bisweilen selbst im Weg.

Um die Sendekompetenz zu fördern, nützt es, wenn man ein erotisches Verhältnis zu sich selbst entwickelt. Der in diesem Zusammenhang sicher unerwartete Begriff bezeichnet die Fähigkeit, eigenes Wissen, Können und Wollen mit Leidenschaft aufzuladen. Oft drückt sich das so aus, dass jemand in „seinem Element“ ist und mit Feuereifer das vertritt, was für ihn bzw. sie bedeutsam ist. Der Selbstausdruck wird dann prägnant, sodass das Gegenüber deutlich erkennen kann, dass beim anderen Herzblut im Spiel ist. Natürlich kann man auch an diesem Pol in den Spiegel schauen. Folgende Fragen sind dafür nützlich:

  • Wie entspannt kann ich mich in den Vordergrund stellen?
  • Was passiert in mir, wenn ich anderen das Wort verbiete oder es an mich nehme?
  • Wie leicht bin ich aus dem Feld zu schlagen, wenn jemand mir das Rederecht streitig macht?
  • Kann ich auch mal unhöflich und stur sein?
  • Wie begeistert kann ich von mir sein?
  • Dürfen andere erkennen, wie wichtig mir etwas ist – ohne Wenn und Aber?
  • Will ich mich und meine Positionen im Konflikt verteidigen oder lasse ich den Dingen eher ihren Lauf?

In managerSeminare-Ausgabe 325 geht es bei der Leitunterscheidung „Erklärungsmodus“ um den Beginn von Konflikten und wie die Schuldfrage behandelt wird ...

Der Autor: Klaus Eidenschink berät und coacht Führungskräfte – insbesondere das Topmanagement großer Konzerne – in Fragen der Konfliktklärung, des Changemanagements und bei komplexen Entscheidungen, zudem führt er Coach- und Trainerausbildungen durch. Hintergrund seines Beratungsstils sind u.a. Ausbildungen und Erfahrungen in humanistischen Psychotherapieverfahren, Systemtheorie sowie Organisations- und Führungspsychologie. Kontakt: eidenschink.de

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