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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Klaus Eidenschink aus managerSeminare 319, Oktober 2024
Freund zu Feind: Wie enttäuschte Erwartung Beziehungen ins Negative umschlagen lassen
Einatmen, ausatmen: Warum das Gegenteil von „feindlich“ nicht „freundlich“, sondern „dialogisch“ lautet
Katalysator für Konflikte: Warum Konflikte einen Feind brauchen, um sich zu entfalten – und zu enden
Konfliktäre Bezogenheit: Wie es „dialogisch“ gelingt, im Streit Offenheit und Einflussnahme zuzulassen
Regulationskompetenz: Wann braucht es eine Feindorientierung, und wie löst man sie auf?
Inhaltliche Auseinandersetzungen sind oft unvermeidlich, etwa wenn es gilt, verschiedene Sachverhalte, Interessen und Bewertungen abzuwägen. Konflikte finden aber nicht allein auf der Sachebene statt, sondern haben immer auch eine soziale Dimension. Um diese geht es in den kommenden Teilen der Serie „Liebe Konflikte“. Im vorliegenden Teil geht es um die Polarität von „feindlich“ und „dialogisch“ im sogenannten „Kontaktmodus“ (s. Kasten "Wie funktionieren Konflikte?").
Von besonderer Bedeutung für die soziale Dimension von Konflikten ist, ob das, was wir von anderen (bzw. andere von uns) annehmen und erwarten, auch eintrifft oder nicht. Konflikte ziehen ihre Kraft nämlich erheblich aus den (enttäuschten) Erwartungen, die im sozialen Umgang gelten bzw. von den Beteiligten für legitim gehalten werden. Es gibt im Grunde keine Begegnung, die frei von Erwartungen an die andere Person ist: sei es, dass man gegrüßt wird, dass sich der andere nicht wortlos umdreht, dass er nicht übergriffig wird, oder auch, dass er nicht einfach im Bahnabteil laut zu singen beginnt – um mal besonders offensichtliche Beispiele zu nennen. Es ist für das Verständnis von Konflikten elementar, dass es sie ohne Erwartungen, die enttäuscht werden können, überhaupt nicht geben würde.
Jeder Konflikt, auch wenn er sich zunächst um Sachthemen dreht, verändert die Erwartungen der Beteiligten aneinander. Zu Beginn glaubt man etwa – auch das ist eine Erwartung –, dass man die Gegenseite umstimmen kann, dass sie für Argumente zugänglich ist, und dass man auf der Basis von Vernunft zu gemeinsamen Ansichten kommen kann. Wird diese Erwartung enttäuscht, kommen schnell persönliche Vorwürfe wie „Du hörst nie zu!“ oder „Immer wollen Sie das letzte Wort haben!“. Man beginnt, am guten Willen des anderen zu zweifeln. Die Kommunikation dreht sich: vom Wunsch, andere zu überzeugen, zum Versuch, sich selbst zu schützen.
Was als Meinungsverschiedenheit begonnen hat, verschiebt sich damit zunehmend auf die soziale Dimension. Die Haltung wird „feindlich“, man erwartet vom anderen nichts Gutes mehr, und auch die Beziehungsdefinitionen schlagen sehr schnell um: „Du bist nicht mehr meine Freundin!“ So hart solche Aussagen zunächst klingen, wir lernen und gebrauchen sie alle schon früh als Kinder. Menschen entwickeln von klein auf ein Gespür dafür, wie wichtig (stabile) Erwartungen für das soziale Miteinander sind. Sie bieten Orientierung, wer Freund und wer Feind ist.
Den Texten dieser Serie liegt ein systemtheoretisches Verständnis zugrunde, das Klaus Eidenschink u.a. in seinem Buch „Die Kunst des Konflikts“ ausführt. Demnach sind Konflikte …
Ob sich Konflikte ausweiten oder abschwächen und welche Form sie dabei konkret annehmen, lässt sich nach Eidenschink anhand von insgesamt neun Polaritäten zeigen, die im Laufe dieser Serie thematisiert werden (s. Grafik). Im aktuellen Teil geht es um den sogenannten Kontaktmodus auf der Sozialdimension, genauer: um den Gegensatz von feindlicher und dialogischer Erwartungshaltung. Im Fokus steht die Frage, ob wir uns in der Konfliktkommunikation auf ein Freund-Feind-Schema festlegen oder ob wir offen dafür bleiben, wie sich der Kontakt weiterentwickelt.
Auch diese Unterscheidung klingt für heutige Ohren harsch. Im sozialen Miteinander werden – auch bei Meinungsverschiedenheiten – eher ein konstruktiver Umgang, gewaltfreie Kommunikation und verständnisvolles Zuhören erwartet und eingefordert. Dennoch gehört die Unterscheidung von Freund und Feind seit jeher zum menschlichen Repertoire, allen Bemühungen um eine reine Freundorientierung zum Trotz. Daraus könnte man die Vermutung ableiten, dass das Schema Freund/Feind nicht nur stabil ist, sondern auch eine Funktion für das soziale Miteinander hat. Meine These: Diese Unterscheidung ist nötig, damit sich Konfliktsysteme regulieren können. So wie man das Einatmen nicht aufgeben kann, um die Sauerstoffregulation des Körpers zu erhalten, kann man auch den Feind nicht einfach abschaffen. Stattdessen gilt es, dieses Schema zu nutzen und kunstvoll zu handhaben.
Wenn Einatmen im Konflikt bedeutet, den anderen als Feind zu sehen, worin besteht dann das Ausatmen? „Feind“ ist ja eine Festlegung, die eskalierende Wirkungen hat – was nach dem hier vertretenen Konfliktverständnis je nach Situation günstig oder ungünstig sein kann. Das deeskalierende Gegenmittel ist daher nicht „freundlich“, wie man vielleicht denken könnte, da dies neuerlich eine Festlegung ist, die einseitig auf Harmonie getrimmt ist. Der Gegenpol zu einer feindlichen Haltung im Konfliktgeschehen besteht vielmehr darin, diese Festlegung wieder aufzugeben und die Überlegung zuzulassen, dass die andere Seite vielleicht doch anders sein könnte, als man sie gerade sieht. Ich nenne diese Haltung „dialogisch“. Statt einer Festlegung ist sie der Ausdruck einer Suchbewegung in konfliktärer Bezogenheit.
Es geht also nicht darum, das Gegenüber pauschal als Gutmensch einzuordnen. Vielmehr ist es aus konfliktdynamischer Sicht sinnvoll, grundsätzlich damit zu rechnen, dass alle Beteiligten in der Widerspruchskommunikation freundliche und feindliche Impulse in sich tragen. „Dialogisch“ ist so gesehen die Erwartung, dass man in der Begegnung für alle diese Impulse beim anderen (und bei sich selbst) Verständnis entwickeln kann. Man vertraut dann darauf, dass es sich lohnt, es offen zu halten, wie sich der Kontakt weiterentwickelt. Ein solches Vertrauen ist immer riskant, weil sich Gefühle – also Erwartungen – mitunter radikal verändern können.
Wie schnell sich die Erwartungsbildung reorganisieren kann und von freundlich auf feindlich umstellt – und warum das manchmal sehr funktional sein kann –, möchte ich an einem krassen Beispiel verdeutlichen, das ich in meiner Coachingpraxis erlebt habe:
Ein Paar betreibt zusammen mit der Schwester des Mannes einen florierenden Online-Handel für Wohnaccessoires. Alle drei sitzen bei mir in einem Geschäftsleitungscoaching, bei dem ein lange schwelender Konflikt bearbeitet werden soll, der daraus resultiert, dass sich die beiden Geschwister immer wieder gegen die „nur“ angeheiratete Frau verbünden. Dabei war sie es, die die Idee zur Firma hatte und die auch die eigentliche Fachkompetenz besitzt. Die Schwester des Mannes wurde nur dazugeholt, um sich um die Finanzen zu kümmern, obwohl ihr Verhältnis nie gut war. Die Ehefrau erwartet von ihrem Mann, dass er ihr gegenüber loyaler ist, statt der Schwester mit ihren „maßlosen“ finanziellen und machtbezogenen Ansprüchen beizustehen. Der Fokus scheint – auch für mich – auf der Bearbeitung dieses Konflikts zu liegen. In der weiteren Diskussion über mögliche Ausschüttungen gerät die Schwester jedoch immer mehr in die Defensive und platzt schließlich heraus: „Heidi, bist Du naiv, Du denkst, ICH wäre Dein Problem. Merkst Du denn nicht, dass Holger Dich seit Jahren betrügt und Vermögen beiseiteschafft, um die Trennung vorzubereiten?“ Die Frau ist wie vom Donner gerührt, erstarrt, bestürzt. Der Mann versucht zu beschwichtigen, laviert mehr schlecht als recht und gesteht schließlich alles.
Im geschilderten Fall erwartet die Frau von einem Moment auf den anderen nichts Gutes mehr von ihrem Mann. Es ist für die günstige Entwicklung des Konflikts auch notwendig, dass die Frau nun alles mit Misstrauen und Vorsicht behandelt, was von ihm kommt. Die neue Ordnung, die sich aus dem Konflikt entwickeln muss, darf nicht auf der Basis von falschem Verständnis seitens der Frau erfolgen, das würde nur Manipulationen und Vorteilsnahmen seitens der anderen Parteien ermöglichen. Hier braucht es Symmetrie in der Klarheit und Aggression. Waffengleichheit könnte man es nennen.
Das Beispiel zeigt auch: Konflikte brauchen mitunter einen Feind, damit sie sich überhaupt explizit bilden und einen latenten, dysfunktionalen sozialen Zustand aufbrechen können. Der Feind legitimiert die Aggression. Eindeutig aggressives Kommunizieren ist aus systemtheoretischer Sicht also in bestimmten sozialen Situationen notwendig und funktional – und nicht automatisch als Mangel der psychischen Selbststeuerung zu interpretieren. Die Selbstbehauptung der Frau kann überhaupt ja nur ins Spiel kommen, wenn mit ihr „nicht mehr zu spaßen“ ist.
Eine Feindorientierung braucht es also vor allem, damit beteiligte Parteien den Mut finden, Klartext zu sprechen und ungeschminkte Wahrheiten auszudrücken. Ein Kontaktverständnis, welches einseitig auf Freundlichkeit und verständigungsorientierte Kommunikation setzt, wäre in solchen Situationen nicht funktional. Der Konflikt schwelt dann weiter und nimmt auf diese Weise die Luft zum Atmen. Viele Menschen brauchen einen Feind, um wütend werden zu dürfen. Und der Konflikt braucht bisweilen Feinde, um enden zu können.
Die Herausforderung dabei: Es gilt, den Feind als Feind zu lieben! Viele Menschen verwechseln „feindlich“ mit Beziehungsabbruch. Damit aber endet das Konfliktsystem. Den anderen als Feind sehen zu können und mit ihm zu tun haben zu wollen – darum geht es hier. Das braucht Kraft, Entschlossenheit, Stabilität, Robustheit, denn man muss einstecken und austeilen können. Haben die Beteiligten diese Fähigkeit nicht oder wenig, droht der Konflikt destruktiv zu werden.
Natürlich hat eine feindliche Erwartungshaltung nicht nur funktionale Aspekte. Je mehr alle Beteiligten mit einem „Nein“ auf die eigenen Anliegen rechnen, desto mehr verändert sich ihre Erwartung von „Die ist anderer Meinung“ zu „Die ist gegen mich und will mir schaden“. Dadurch fokussieren alle Streitparteien zunehmend auf ihre eigenen Interessen und reduzieren ihre Bereitschaft, sich empathisch mit den Interessen oder Argumenten des anderen auseinanderzusetzen. Die Erwartung, dass der andere dialogisch auf Mitteilungen reagiert, sinkt, weil er „ja eh gegen mich ist“. Unterstellungen beginnen die Kommunikation zu prägen: „Du machst mir absichtlich das Leben schwer.“ Das führt dazu, dass Menschen sich in eindrucksvoller Symmetrie gegenseitig absprechen, dass sie gute Motive haben könnten. Die Konfliktdynamik kommt dadurch richtig in Schwung.
Dysfunktional wird es spätestens dann – und das passiert häufig –, wenn Feindbilder ins Monströse übersteigert werden. Je bedrohlicher diese Erwartungen dann werden, desto mehr übernimmt der Überlebensinstinkt, in dem nur Kampf, Flucht oder Erstarrung zählen. Da wieder herauszukommen, ist zwar möglich, aber es geht nicht von selbst. Das ist der Grund, warum das Freund-Feind-Schema so oft als falsch eingeordnet wird. Das Problem ist aber nicht das Schema an sich, sondern die mangelnde Fähigkeit, den Überlebensmodus zu regulieren. Dann wird die Feindseligkeit des anderen zur Berechtigung für „Selbstverteidigung“, der Konflikt eskaliert, die Eskalation wird zum Selbstzweck. Der Konflikt kann seine Funktion, eine neue Ordnung zu etablieren, dann oft nur noch über den extremen Weg der Trennung (Vernichtung der Beziehung) oder der Unterwerfung (Vernichtung des Feindes) gehen.
Das führt uns zur Bedeutung des Pols „dialogisch“. Der Begriff steht für all jene Kommunikationsformen, die auf Bezogenheit, auf Gemeinsamkeiten und auf Empathie setzen. Die Funktion dieser Form des Kontakts besteht darin, die Lasten und Kosten der Feindorientierung zu vermeiden und auch in Interessens- und Auffassungsgegensätzen das soziale Feld aufrechtzuerhalten. Soziale Systeme haben ein Interesse, das Miteinander nicht bei jedem Widerspruch, jeder Uneinigkeit zu zerstören. Eben deshalb braucht der Konflikt Dialogfähigkeit als äquivalentes und wirksames Gegengewicht zur Feindorientierung.
Carl-Auer 2023, 29,95 Euro.
Mit systemtheoretischem Blick entwickelt Klaus Eidenschink ein Modell zum Verständnis von Konflikten und ihren systemimmanenten Dynamiken. Beschrieben wird, wie sich Konflikte selber erhalten, zwischen welchen Polen und in welchen Dimensionen sie sich bewegen – und welche Kompetenzen wir brauchen, um von Fall zu Fall entscheiden zu können: Sollte ich den Konflikt sogar schüren, anzetteln und auskämpfen? Oder sollte ich ihn doch lieber beruhigen? Und wie gehe ich bei beiden Optionen variantenreich und emotional intelligent vor?
Unter diesem Link finden sich alle bisher erschienenen Teile der Konfliktserie. Im ersten Teil geht es um sieben Prinzipien, die Konflikte prägen. Im zweiten Teil um die Polarität von generalisierter und spezifischer Konfliktkommunikation und ihren Einfluss auf den weiteren Konfliktverlauf.
Im Dialog-Modus ist das Wesentliche, dass die Konfliktparteien eine kommunikative Haltung pflegen, in der eine gegenseitige Einflussnahme möglich ist. Vom Feind will man nichts wissen, sondern will sich nur schützen – durch Abwehr oder Angriff. Unter Dialogpartnern erhofft man sich hingegen, dass ein Geben und Nehmen von Argumenten, Zielen und Lösungen stattfindet. Die Konfliktkommunikation erschafft dadurch ein Klima, in dem es offen bleibt (oder wieder wird), wie der andere „ist“. Das bedeutet nicht, dass es auf der inhaltlichen Ebene nicht trotzdem Spannungen geben kann – aber eben ohne Beschuldigung oder Bedrohung. Widersprechen kann man schließlich auch Freunden.
Daraus zu schließen, dass „dialogisch“ immer günstig wirkt, würde jedoch zu kurz greifen. Ich habe das oben schon angedeutet: Wer verlässlich dialogisch ist, ist für den anderen ausrechenbar. Der andere weiß, dass man nicht „zum letzten Mittel“ greift. Das kann aber nach hinten losgehen. Denn wer den anderen erwarten lässt, dass er die Option zur kontaktvollen Aggression nicht nutzt – also das Mittel, das kompromisslos Grenzen setzt und Destruktivität beim anderen auch als solche erkennt –, der kann in (manchen) Konflikten keine Symmetrie herstellen. Damit hat man dann entschieden, dem Feind, den man nicht haben will, das Feld zu überlassen. Werden die Verhältnisse dadurch besser? Nein. Selbst Konzepte wie Gandhis gewaltloser Widerstand hatten klar verstanden, dass die Briten Feinde bleiben würden, wenn man ihnen nicht entgegentrat. Streng genommen ist gewaltloser Widerstand auch gar nicht gewaltlos. Er gebraucht nur eine andere Form des „Neins“.
Besonders wenn man „dialogisch“ als die moralisch einwandfreie Variante der Kommunikation platziert, wird sie dysfunktional. Erstens, weil man dann nicht mehr wählen kann, denn das Gute steht ja fest. Zweitens – schlimmer –, weil man Reaktanz auf der Seite des Konfliktgegners erzeugt. „Jetzt sei doch mal konstruktiv!“ ist ein aggressiver und feindlicher Satz im Gewande der moralischen Setzung. Er provoziert Widerstand und ist damit konfliktanheizend. Er zwingt den anderen geradezu, auf dem Feindpol zu bleiben.
So bleibt festzuhalten: Man braucht sowohl die feindliche als auch die dialogische Variante der Kontaktgestaltung. Aber welche Kompetenzen benötigt man auf der psychischen und kommunikativen Seite, um sich zwischen diesen beiden Polen im Kontaktmodus zurechtzufinden?
Eine Kompetenz ist, andere überhaupt als Feinde anerkennen zu können. Wer das nicht kann, hat sich für Teilblindheit entschieden. Es ist ein wesentliches Merkmal seelischen Intaktseins, andere als feindlich einordnen zu können. Damit ist nicht entschieden, was daraus folgt – wohl aber eine bestimmte Form der Bezogenheit. Diese besteht darin, dass man erwartet, dass andere einem schaden wollen; und es bisweilen nötig ist, anderen zu schaden, um einen Konflikt gut gestalten zu können. Ohne die Fähigkeit, eine solche (Selbst-)Zuschreibung vorzunehmen, droht man in sozialen Systemen unterzugehen.
Feindlichkeit heizt Konflikte an, während Dialogbereitschaft sie abschwächt – das ist die landläufige Meinung, wenn es um die Haltung von Konfliktparteien zueinander geht. Klaus Eidenschink sieht das differenzierter: Demnach kann beides günstig oder ungünstig wirken. Und ein Feind kann mitunter nützlich sein.
Wer eine solche Entscheidung trifft, braucht aber zugleich die Kompetenz, Schuldgefühle zuzulassen. Denn niemand ist nur Feind, eine solche Klassifikation tut anderen immer mehr oder weniger unrecht. Wenn sie allerdings situativ angemessen ist, dann wäre es ebenfalls unrecht, jemanden nicht als feindlich zu betrachten. Gleiches gilt umgekehrt: Wer der Feind eines anderen wird, entscheidet sich (für eine gewisse Zeit), selbst nach einem Kalkül zu handeln, das einem selbst Vor- und dem anderen Nachteile bringt. Auch das löst Schuldgefühle aus.
Regulationsfähig am Pol „feindlich“ bedeutet also, mit innerer Ambivalenz äußerlich unambivalent handeln zu können. Ohne Schuldgefühle wird es schwer, wieder auf den Pol „dialogisch“ zu wechseln, weil es ja keinen Grund gibt, mit dem Feind zu reden. Das macht man allenfalls aus Angst oder Kalkül, aber nicht aus sozialer Bezogenheit, die eben in Schuldgefühlen ihren Ausdruck findet. Diese Kompetenz, sich schuldig zu fühlen, ohne sich deshalb in Summe schlecht zu fühlen, hilft sehr, um in feindlicher Kommunikation funktional handeln zu können.
Wer die eigene „Verfeindungskompetenz“ testen will, kann sich diese Reflexionsfragen stellen:
Wer nun meint, dass es leichter ist, dialogisch im Kontakt zu bleiben, irrt. Vor allem, wenn man denkt, dies sei nur eine Frage des guten Willens oder vernünftiger Einsicht. Beides sind viel zu schwache Mittel, um auf Überlebensinstinkte Einfluss zu nehmen. Für eine Selbstregulation am Pol „dialogisch“ braucht es andere Fähigkeiten. Dazu gehört zum Beispiel, sich selbst in Konflikten beobachten zu können. Die Betonung liegt hier auf „in Konflikten“, weil viele Menschen diese Fähigkeit im Normalmodus haben, jedoch in Auseinandersetzungen verlieren. Konflikte gehen in der sozialen Dimension schnell mit Empörung, Aufregung und Ärger einher. Diese drohen, die Herrschaft zu übernehmen: „Wie kann er nur?“ So wird man Opfer seiner Affekte. Der Erhalt der inneren Distanz ist daher unabdingbar: „Ich könnte losschreien – wie kommt das?“ Diese Form der Selbstbeobachtung kann dann zur Unterbrechung führen und feindliche Impulse aufhalten. Pausen können ebenfalls helfen. Gespräche mit anderen auch. Hinzuziehen Dritter ebenso.
Das zweite Mittel, um in den Dialogmodus zu kommen, ist, aufzuhören, den anderen verändern zu wollen. Niemand hat im eskalierten Konflikt Einfluss auf den anderen. Es ist schwer genug, Einfluss auf sich selbst zu bekommen. Drittens ist wichtig, den eigenen Gefühlen zu misstrauen. Gefühle informieren mich über mich selbst. Es ist nicht der andere, der mich beschämt, verletzt, ängstigt, mich schuldig fühlen lässt, sondern meine Art, wie ich die Vorwürfe und Anschuldigungen verarbeite. Man braucht ein tiefes Verständnis der eigenen Not, sonst kann man als Opfer der eigenen seelischen Dynamik schon deshalb den anderen nur als Feind sehen.
Viertens kann man versuchen zu entschlüsseln, worum es dem anderen wirklich geht. Niemandem geht es nur darum, einem anderen feindlich zu begegnen, sondern um seelischen Schutz, um Abwehr von Scham, Ohnmacht, Schuld. Es gibt immer eine Not – meist unbenannt, oft auch unbekannt –, die dem anderen seinen Spielraum raubt. Daher gilt es, das Verstehen-Wollen des anderen nicht aufzugeben, gerade dann, wenn einem überhaupt nicht danach zumute ist. Dann kommen einem ganz von selbst „dialogische“ Fragen und Gesprächsbeiträge in den Sinn, die ohne eine solche Haltung unglaubwürdig wären und den Konflikt noch anheizen würden.
Wie es um die eigene „Dialogkompetenz“ bestellt ist, lässt sich mit folgenden Reflexionsfragen prüfen:
In managerSeminare 321 geht es um die Frage, welchen Unterschied es bei der Reaktion auf andere macht, ob man konsequent Nein sagt oder es offenhält, ob man Ja oder Nein antwortet.
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