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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Gebhard Borck aus managerSeminare 285, Dezember 2021
Im Frühherbst 2021 war es das Hype-Thema schlechthin: In Island hat eine Studie gezeigt, dass die Vier-Tage-Woche funktioniert. Alle waren aus dem Häuschen. Und die Medien überboten sich mit positiven Headlines. „Feldexperiment zur Viertagewoche – Island kürzt Arbeitszeit, Produktivität steigt“, titelte der Spiegel. „Bald die Vier-Tage-Woche? Island reduziert Arbeitszeit drastisch – Experiment zeigt durchschlagenden Erfolg“, meldete der Focus. „4-Tage-Woche macht Angestellte produktiver und glücklicher“, konstatierte die Wirtschaftswoche. Ich könnte die Liste noch weiter fortsetzen, doch das würde den Rahmen dieses Textes sprengen.
Jedenfalls lautete das nahezu einhellige Urteil weiter Teile von Medien und Öffentlichkeit: Eine kürzere Arbeitswoche (um vier Tage im engeren Sinn ging es in der Studie eigentlich gar nicht) ist besser. Besser für die Menschen und sogar die Wirtschaft. Da passt es nur ins Bild, dass kürzlich auch eine Hotelkette mit großem Optimismus verkündete, sie wolle – zunächst in einem Experiment – die Vier-Tage-Woche für ihre Mitarbeitenden einführen. Als Grund für den Vorstoß gab sie an, dass es in der Branche immer schwerer werde, Personal zu finden. Während der coronabedingten Lockdowns haben viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wohl ihr Glück in anderen Jobs gesucht. Die Vier-Tage-Woche soll der Hotelkette nun helfen, ihre Attraktivität als Arbeitgeber zu erhöhen. Ernsthaft? Aus meiner Sicht ist der Hype um die Vier-Tage-Arbeitswoche – und überhaupt um verkürzte Arbeitszeiten – nichts anderes als ein großer Betrug gegenüber Arbeitnehmern und Arbeitsnehmerinnen. Oder, besser gesagt: ein falsches Heilsversprechen.
Viele der Digitalisierer in der Wirtschaft machen ihren Kunden diese, durchaus derbe Ansage zu Beginn des Vorhabens: „Eines muss Ihnen klar sein: Wenn Sie heute einen Scheißprozess haben und den digitalisieren, dann haben Sie einfach einen scheiß digitalen Prozess.“ Genauso geht es mir mit der Glorifizierung einer reduzierten Arbeitswoche: Aus weniger wird nicht besser. Reduzierte Arbeitszeiten – das klingt immer so wunderbar menschenfreundlich. Es wird uns verkauft, als breche damit eine neue, bessere Zukunft der Arbeit an. Tatsächlich aber ist die Sehnsucht nach kürzeren Arbeitszeiten – und viel von dem Umstand, dass sie tatsächlich eine positive Wirkung haben – doch bloß ein Indiz dafür, dass die Arbeitsbedingungen in vielen Fällen grottenschlecht sind.
Dies lässt sich auch leicht an der vor einigen Monaten publizierten isländischen Studie erkennen. Demnach nämlich wurde durch die Reduktion der Arbeitszeit vor allem erreicht, dass die Menschen ihre Arbeit offenbar besser aushalten können. Der Autor der Studie, Jack Kellam, sagt jedenfalls im Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit, was die Menschen zufrieden mache, sei Selbstbestimmung: „Wichtig ist vor allem, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein hohes Maß an Selbstständigkeit bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeit hatten.“ Und er erklärt: „Die Probanden konnten über die Zeit, in der sie nun weniger arbeiten mussten, selbst bestimmen. Es ist egal, ob jemand in dieser Zeit vor dem Computer sitzt und zockt oder im Wald spazieren geht.“ Für mich ist das ein klarer Hinweis darauf, dass es den Menschen offensichtlich an Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit im Arbeiten fehlt.
Wir wollen Einfluss nehmen. Wir wollen mitgestalten. Wir wollen fünfe gerade sein lassen. Die Art, wie heute die allermeisten Firmen organisiert sind, verhindert bei der Mehrheit der Angestellten aber genau das – und zwar systematisch. Und wenn so getan wird, als seien primär reduzierte Arbeitszeiten das, was Arbeit gut, was sie menschlich und lebenswert macht, dann verstellt das zuverlässig den Blick auf diese Missstände.
Was wir wirklich brauchen, ist die Verbesserung der bestehenden Arbeitskonditionen. Wir brauchen einen Systemwechsel, ein adaptives Organisationsdesign, das selbstständiges Gestalten durch die Mitarbeitenden professionalisiert. Herkömmliche Organisationsstrukturen sind dafür kaum geeignet. Formal festgezurrte Befehls- und Kontrollstrukturen vereiteln die Fähigkeit von Menschen, sich selbstverwaltet an sich verändernde wirtschaftliche und technologische Bedingungen, an sich schnell wandelnde Märkte anzupassen. Und das frustriert ungemein.
Doch bitte verstehen Sie mich richtig: Ich fordere hier keineswegs zu einem Jeder-macht-was-er-will auf. Gestaltung geht mit Verantwortung einher. Genau dieser Zusammenhang scheint insbesondere unsere Führungskräfte herauszufordern. Sie erkennen mögliches Unheil oft lange bevor es ihre Mitarbeitenden spüren. Anstatt allerdings den Kolleginnen und Kollegen Zugang zur Datenlage zu verschaffen, retten sie sie, ohne dass diese auch nur etwas davon mitbekämen. So kann Eigenverantwortung nur schiefgehen. Das führt zu verwöhnt aufsässigen Belegschaften anstatt zu adaptiven Hochleistungsorganisationen.
Soll eine Organisation adaptiv werden, fordert das also vor allem die traditionellen Führungsgewohnheiten heraus. Es gilt, die Silos zu verlassen – und noch mehr. Niemand kann sich weiter auf vorgebende Planungen einlassen, denn bis diese aufgehen, ist längst eine andere Lösung nötig. In dieser Gemengelage heißt es, Autonomie zuzulassen. Doch, wie oben deutlich wird, nur die Form von Autonomie, die letztlich auch im Sinne der Organisation handelt. Und da haben wir den Salat: Eine formale Weisungshierarchie greift stets ein. Besser wäre es, den Menschen einen Raum zu lebendigem Lernen zu öffnen.
So ist es dann auch mit der Arbeitswoche: Niemand hört denen zu, die in der Island-Studie erklären, warum es ihnen besser geht. Das wäre wohl zu radikal. Also bleiben wir bei der verkürzten Heilsbotschaft: weniger Arbeitszeit gleich besseres Arbeiten. Damit kann Führung umgehen. Ihr reicht eine höhere Produktivität – und schon ist alles gut. Die höhere Produktivität findet sich dann in digitalen Lösungen, die heutige Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ersetzen. In einigen Jahren, wenn dadurch viele Arbeitsplätze weggefallen sind, wird es dann heißen: „Wir haben nur eure Wünsche erfüllt. Ihr wolltet weniger arbeiten.“
Doch schon heute geht es um etwas anderes. Schon heute wollen wir Menschen uns (auch) durch unsere Arbeit erfüllen. Wir wollen unserem Leben seinen ureigenen Sinn geben. Wir wollen zurückschauen und sagen, dass wir uns darüber freuen, was wir getan haben. Aber unsere Glaubenssätze stehen dem im Weg. Wir erklären uns – sowie unseren Kindern: „Das ist das System, daran kann man nichts ändern.“, „Du wirst auch noch erwachsen.“, „Arbeiten ist kein Ponyhof.“ Doch damit werden weder wir noch unsere Nachkommen die anstehenden Herausforderungen meistern.
Wir sind auf ein deutlich adaptiveres Verständnis von Zusammenarbeit angewiesen. Das entsteht aufgrund von drei zentralen Wirkmechanismen: erstens durch Verteilung von Führungsaufgaben und Führungsverantwortung in der gesamten Firma, statt sie auf einige formale Rollen zu begrenzen. Zweitens durch den Übergang vom Management zur Selbstverwaltung. Und drittens durch den Transfer der Organisationsstrukturen hin zu funktionsübergreifenden autonomen Teams. Hier geht es um ehrliche Ergebnisverantwortung anstelle von Arbeitszeiterfüllung. Menschliche Leistung ist nur unzureichend in Zeit meßbar. Das wissen alle, die schon mal einen Geistesblitz unter der Dusche hatten.
Ich bin sicher: Bei Firmen, die diesen Weg konsequent gehen, sind Ideen wie die Vier-Tage-Woche – oder gar noch geringere Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich – gar kein Thema mehr. Denn was bei der Arbeit schlaucht, ist viel seltener, dass zu lange oder zu kurz gearbeitet wird, als vielmehr, dass Menschen das Gefühl haben, mit ihrer Arbeit keine Wirkung zu erzielen. Das gilt im Übrigen für Unternehmer und Unternehmerinnen genauso wie für Angestellte. Und so frage ich: Sollten wir uns wirklich weiterhin mit Vier-Tage-Wochen als Heilsversprechen betrügen, wenn es in unserer Gestaltungsmacht liegt, sinnvoll zusammenzuarbeiten? Ich weiß: Wir können das besser!
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