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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Martin Wehrle aus managerSeminare 318, September 2024
Vor einigen Jahren beriet ich einen Bereichsleiter. Sein Problem war, dass er häufiger aus der Haut fuhr und Teammitglieder anschnauzte. In seiner Wut sagte er Dinge, die er später bereute. Ich fragte ihn: „Was genau macht Sie wütend?“ – „Schlamperei. Etwa wenn Mitarbeiter Termine platzen lassen.“ – „Was ist so schlimm an Schlamperei?“ – „Das kann Kunden vertreiben.“ – „Und was ist so schlimm daran, wenn Kunden vertrieben werden?“ – „Dann muss ich meinen Kopf dafür hinhalten.“ – „Und was ist daran so schlimm?“ Er sah mich an, als wäre ich schwer von Begriff. „Ich kann gefeuert werden. Rausfliegen. Auf der Straße landen.“
Hinter der Wut des Bereichsleiters stand Existenzangst. Wut geht oft auf Angst zurück. Wenn wir diese Angst erkennen, können wir mit der Wut besser umgehen. Im Coaching nutzen wir zur Bewusstmachung „dahinter-sitzender“ Emotionen im Allgemeinen und Angst im Besonderen gerne Frageketten. In letzterem Fall vor allem bestehend aus „Was wäre so schlimm daran"-Fragen. Wie das Beispiel aus dem Coaching mit dem Bereichsleiter zeigt, ist deren Anwendung nicht kompliziert. Daher lassen sich solche Frageketten auch im Führungskontext nutzen, um Mitarbeitende dabei zu unterstützen, ihren wutauslösenden Ängsten auf die Spur zu kommen. Oder auch dazu, um sich in einer Art Selbst(coaching)gespräch Ängsten bewusst zu werden, die dahinter stehen, wenn wir wütend werden.
Der zweite Schritt auf diesem Coachingweg des Umgangs mit Wut besteht darin, die aufgespürte, dahinterstehende Angst zu erforschen. Dafür bietet sich ein Wahrscheinlichkeitsdiskurs an. Ich fragte den Bereichsleiter: „Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie aufgrund von Fehlern Ihrer Mitarbeiter entlassen werden?“ – „Das kann immer passieren.“ – „Wie viele Ihrer Bereichsleiter-Kollegen wurden deshalb schon entlassen?“ – „Bis jetzt noch keiner.“ – „Standen Sie schon mal kurz davor, wegen eines solchen Fehlers entlassen zu werden?“ – „Nein.“ – „Das heißt, die Wahrscheinlichkeit besteht, aber ist eher gering.“ Er überlegte lange, ehe er zustimmte.
Im dritten Schritt geht es darum, die Wirkung der „Folge-Emotion“ Wut genauer unter die Lupe zu nehmen: Ich sagte: „Inwiefern hilft Ihre Wut dabei, Ihren Arbeitsplatz zu sichern?“ – „Ich fürchte, ich verunsichere mein Team eher. Aber ich baue Spannungen ab.“ – „Das heißt, Sie sind ein paar Sekunden wütend – und dann ist alles wieder gut?“ – „Nein, meine Wut steigert sich erst mal.“ – „Das klingt für mich nicht nach Spannungsabbau, sondern nach Spannungsaufbau.“ – „Im Grunde stimmt das. Und wenn die Wut abklingt, bin ich beschämt.“ – „Das heißt, die Wut schadet Ihnen in jeder Hinsicht. Warum entscheiden Sie sich dann für sie?“ – „Ich entscheide mich nicht dafür, ich werde einfach wütend.“
Der (relativierende) Austausch über die wutauslösende Angst auf der einen Seite und die Bewusstmachung der (kontraproduktiven) Wirkung der Wut auf der anderen bilden zusammen eine gute Basis, an der Wut zu arbeiten. Ich bat den Bereichsleiter, in den nächsten Tagen gezielt die Auslöser seiner Wut zu beobachten: „In welchen Momenten verspüren Sie eine erste, vielleicht nur winzige Wut aufsteigen? Wie gehen Sie mit diesem Anflug um? Und was muss passieren, damit dieser Funke der Wut in Flammen ausbricht?“ In der folgenden Sitzung berichtete er stolz, er habe mehrere Anflüge von Wut verspürt. Aber weil er bewusst beobachtet habe, wie die Wut sich entwickelt, sei es eben nicht zum Ausbruch gekommen.
Darin besteht das beste Rezept im Umgang mit Wut: ihr achtsam begegnen. Also ihren ersten Anflügen gegenüber aufmerksam sein, sie wahrzunehmen und dann rational zu reagieren. So wächst der Funke erst gar nicht zum Feuer.
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