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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Cawa Younosi aus managerSeminare 322, Januar 2025
Im Leadership Development unterliegen wir häufig dem Reflex, dass wir – aus Angst, den Falschen oder die Falsche zu befördern – die Besten im Team zur Führungskraft machen. Eine YouGov-Befragung für das britische Chartered Management Institute (CMI) unter 4.500 Führungskräften und Mitarbeitenden in Großbritannien ergab 2023, dass vier von fünf Führungskräften (82 Prozent) zufällig in ihre Rolle geraten oder gestolpert sind: „Accidental Managers“ nennt die englischsprachige Welt diese Führungskräfte inzwischen.
Du kennst es sicher aus deinem Unternehmen: Im Zweifel befördert man die Top-Fachkraft im Team zum Teamlead. Ist ja irgendwie auch nachvollziehbar: Meist ist die Führungsrolle die einzige Karriereperspektive im Unternehmen, um weiter nach oben zu kommen; und auch im Sinne der längerfristigen Mitarbeiterbindung erhofft man sich entsprechende Effekte, um die wichtigen Leute zu halten.
Allerdings zieht dieses Vorgehen auch umfängliche Maßnahmen im Bereich der Personal- und Führungskräfteentwicklung nach sich. Denn als Unternehmen haben wir bestimmte Erwartungen an unsere Teamleiterinnen und -leiter, und es braucht Zeit, diese Mitarbeitenden – die im Grunde mangels Alternative in die Führungsrolle gekommen sind oder dorthin gedrängt wurden – in Richtung der Führungskräfte zu schulen, die wir uns erwarten und erhoffen. Anders gesagt: Wir wenden viel Zeit und Geld auf, um diese Menschen zu verbiegen, die doch eigentlich Top Performer sind. Und das alles mit ungewissem Ausgang.
Auf diese Weise verschleißt man viele gute Fachkräfte – denn nicht jede gute Fachkraft ist auch eine gute Führungskraft. Dasselbe gilt umgekehrt! Denn die Kernthemen eines erfolgreichen People Managers sind, unterschiedliche Interessen zu koordinieren, viel zu kommunizieren, auftretende Konflikte zu lösen – das sind ganz andere Herausforderungen und Aufgaben als diejenigen, die man als Experte oder Expertin im Tagesgeschäft hat.
Noch schlimmer wird es aber, wenn wir so die anderen Teammitglieder demotivieren und letztlich vergraulen, weil sie merken, dass in der Führung jemand überfordert ist. Dann geht der ganze Plan nach hinten los: schlechte Stimmung, schwächere Performance, potenzielle Abgänge im Team … Die Liste der Negativ-Effekte ließe sich fortsetzen. Wie also geht es besser?
Aus meiner Sicht müsste eine gleichwertige Experten- und Führungskräftelaufbahn in jedem Unternehmen Standard sein. „Gleichwertig“ heißt: gleiche Gehälter bzw. Gehaltsbänder; gleiche Benefits; gleiche Statussymbole. Und es geht auch um eine gleichwertige Einbindung im Unternehmen. Was meine ich mit Einbindung? Es geht darum, gefragt, gehört, gesehen zu werden. Denn oft ist es ja so: Bei vielen unternehmensrelevanten Change- oder Strategiethemen werden die Führungskräfte frühzeitig eingebunden, mit ihnen wird über die anstehenden Veränderungen gesprochen – die Fachkräfte und Top-Experten im Unternehmen bleiben in solchen Prozessen meist außen vor.
Gleichwertige Kommunikation heißt, Expertinnen und Experten hier ganz aktiv einzubinden. Mit Augenmaß – denn natürlich haben nicht alle Inhalte im Rahmen von Change- oder Strategieprozessen für Nicht-Führungskräfte Relevanz, vor allem, wenn es vornehmlich um People-Themen geht. Aber trotzdem ist hier viel mehr Kommunikation und tatsächliche Einbindung in wichtige Unternehmensfragen möglich als landläufig üblich – etwa, wenn es um Strategien geht, um Produkte et cetera.
Die wirklich gleichwertige Expertenkarriere hat für Unternehmen und Mitarbeitende mehrere Vorteile:
1. Wir eröffnen denjenigen, die tatsächlich führen wollen und auch können, den Weg in Richtung Leadership.
2. Wir ermöglichen unseren Top-Expertinnen, dass sie weiter ihrer Leidenschaft und Mission nachgehen können – gleichberechtigt und ohne Angst vor Statusverlust.
3. Wir geben Führungskräften die Chance, nach einigen Jahren selbstbestimmt aus der Führungsrolle herauszutreten und sich, wenn sie es möchten, wieder einer Expertentätigkeit zu widmen – gesichts- und statuswahrend.
4. Nicht zuletzt haben auch Experten mit Leadership-Ambition die Chance, sich in der Führung zu probieren; sie können diese Rolle aber auch wieder ablegen, ohne als „gescheitert“ zu gelten oder gar aufs Abstellgleis zu geraten.
All diese Modi gehen ohne Einbußen im Gehalt, in den Benefits, im Status vor sich. Kein Wechsel wirkt karriereschädigend. Selbstredend kann die Idee nicht sein, ständig die Rollen zu wechseln und zwischen den Laufbahnen zu springen. Ich kann mich allerdings auch an keinen Fall erinnern, wo das in der Praxis – bei SAP haben wir vergleichbare Modelle umgesetzt – exzessiv passiert wäre. Wir eröffnen den Mitarbeitenden also die Möglichkeit, sich auszuprobieren und letztlich ihren Job – bei gleichbleibender unternehmensweiter Wertschätzung – entlang der eigenen Stärken und Leidenschaften auszuüben. Und das ist für das Individuum, das Team und das Unternehmen eine Menge wert. So heben wir Potenziale!
Denn so bringen wir die wirklich People-affinen Mitarbeitenden in Führungsrollen: diejenigen, die Empathie, emotionale Intelligenz und Kommunikationsfähigkeit mitbringen und damit in der Lage sind, Menschen zu fördern und zu fordern. Und so geben wir zugleich unseren wichtigsten Fachleuten das gute Gefühl und die Gewissheit, dass ihre Expertise wichtig und geschätzt ist, dass wir sie brauchen und langfristig auf sie setzen wollen.
Lösen wir so alle Probleme in der Führung? Nein. Werden wir das Bashing der Führungskräfte in der Breite abstellen? Nein. Drehen wir die Jahr für Jahr so negativen Leadership-Werte aus dem Gallup-Report ins Positive? Kurzfristig wahrscheinlich ebenfalls nein. Was wir aber sicher schaffen: In unserer Organisation minimieren wir das Risiko, die falschen Mitarbeitenden in Führung zu bringen und damit weit größeren Schaden anzurichten als mit einer einzelnen Fehlbesetzung. Denn das sei noch einmal betont: Schlechte Führung hat extrem negative Folgen für das gesamte Team. Disengagement, innere Kündigung, steigende Krankenquoten, mehr unerwünschte Fluktuation. Kurz: Wir vergraulen unsere Besten. Das ist Potenzialverschwendung par excellence. Mit ernsthaft konzipierten und ausdifferenzierten Fach- und Führungslaufbahnen können wir uns das sparen.
Aus: Cawa Younosi: „Die große Potenzialverschwendung – Der Fachkräftemangel und die verborgenen Chancen für Menschen, Unternehmen und die Gesellschaft“, Haufe, 2024.
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