Erfolgreiche Unternehmen orientieren sich an Werten. Das ist durch Studien belegt. Doch ein Wertesystem im Unternehmen zu etablieren ist nicht einfach. Das zeigte der Kongress 'Wertebalance - Führungsmodelle der Zukunft' Mitte Oktober 2005 in Berlin. Der Titel der Veranstaltung deutet bereits an: Insbesondere die Balance zwischen materiellen und immateriellen Werten ist ein schwieriges Unterfangen.
Vor dem Hintergrund staatsanwaltschaftlicher Besuche bei Volkswagen, DaimlerChrysler und BMW könnte man meinen, unserer Wirtschaft fehlt das sittlich-moralische Band. Sind unsere Werte tatsächlich so gefährdet, wie es den Anschein hat? Lösen sich ethische Grundsätze auf? Und vor allem: Schließen sich Unternehmenserfolg und ethisches Verhalten gegenseitig aus?
Um diese Fragen zu klären und um sich über die Möglichkeiten einer wertebalancierten Unternehmensführung zu informieren, sind rund 150 Personalmanager, Unternehmensberater und Wissenschaftler Mitte Oktober 2005 in Berlin zusammengekommen. Zum inspirierenden Nach- und Querdenken zum Thema (Unternehmens-)Werte hatte das Anselm-Bilgri-Zentrum für Unternehmenskultur eingeladen.
Dass der Druck für eine auf Werten basierende Führung insbesondere in ganz kleinen Unternehmen sowie in Konzernen groß zu sein scheint, zeigte eine im Vorfeld des Kongresses von den Veranstaltern durchgeführte Befragung unter den Teilnehmern. In vielen der Firmen existieren laut der Umfrage zwar Leitlinien zu Führung und Unternehmenskultur, bei wirtschaftlicher Flaute werden die Grundsätze aber meist vergessen. Dabei könnte eine ethische Haltung der Führungskräfte den Erfolg eines Unternehmens fördern.
Dies zumindest machte Bernhard von Mutius, Philosoph und Berater sowie einer der Väter der Unternehmens-Werte-Diskussion in Deutschland, auf dem Kongress klar: Sowohl die Bereitschaft der Mitarbeiter, zu lernen und Wissen zu teilen als auch die Interaktionen und Beziehungen zwischen den Beschäftigten würden in Unternehmen immer mehr an Bedeutung gewinnen. Um ein entsprechendes Agieren der Mitarbeiter zu erreichen, sei Vertrauen in die Führung unabdingbar. 'Glaubwürdigkeit und Transparenz sind die zentralen Führungseigenschaften', meint Mutius. Aktuelle Studien wie etwa die der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton mit dem Titel 'Deriving Value from Corporate Values' geben ihm Recht: Der Untersuchung zufolge orientieren sich ertragreiche Firmen an Werten.
Der Weg der werteorientierten Führung ist lang und steinig
Was ein Wertesystem eines Unternehmens konkret beinhalten kann, zeigte Markus Blaeser. Der Berater des Telekom-Vorstandes präsentierte das Wertesystem für die Telekom Gruppe namens 'T-Spirit'. T-Spirit umfasst die Steigerung des Konzernwertes ebenso wie die Partnerschaft mit den Kunden. Zudem sind Respekt und Integrität in den Leitlinien des Unternehmens festgeschrieben. Die Umsetzung des Wertesystems erfolgt top-down: 'Den Führungskräften kommt eine Vorbildrolle zu. Auf Basis des von ihnen vorgelebten Werteverständnisses können so konzerneinheitlich Schlüsselfaktoren wie Kompetenzmanagement, Potenzialbewertung und Nachfolgeplanung vermittelt werden. Die gesamte Unternehmenskultur wird auf diese Weise ganzheitlich gestaltet', erklärte Blaeser.
Dass der Weg der werteorientierten Führung von ihrer Entstehung in den unternehmerischen Alltag sehr lange und steinig sein kann, führte Thomas Perlitz, Vice President Human Resources bei der Ingram Micro Holding GmbH, vor Augen. Der Computerdistributor mit Sitz in München richtet seine Unternehmensführung und die gesamte Personalarbeit auf Werte aus. Er hat dabei die Erfahrung gemacht, dass die Wertediskussion offen, ehrlich und vor allem permanent geführt werden muss. Neben Gesprächen nutzt Ingram Micro hierzu alle Medien - das Intranet, die Mitarbeiterzeitung ebenso wie Poster neben dem Fahrstuhl. Doch trotz der ständigen Präsenz dauert es, bis die Werte in den Köpfen der Mitarbeiter verankert sind, so Perlitz. 'Drei bis fünf Jahre nimmt der Prozess sicherlich in Anspruch. Und er hört nicht auf,' sagt er.
Es gibt kein Patentrezept zur Etablierung eines Wertesystems
Ein Patentrezept zur Etablierung eines Wertesystems im Unternehmen gibt es freilich nicht. Jedes Unternehmen muss sich selbst die Arbeit machen, seine Werte zu formulieren. Dabei stehen jedoch Berater und Trainer zur Seite, die ihre Ratschläge zunehmend der abendländischen Kultur entnehmen.
Ein Beispiel dafür ist nicht zuletzt der ehemalige Benediktinerpriester und Kongressveranstalter Anselm Bilgri. In den Augen von Bilgri kann die 1.500 Jahre alte Klosterregel Benedikts von Nursia als Richtschnur einer werteorientierten Unternehmensführung dienen. Die Leitwerte des Benediktiners Demut (Mut zum Dienen) und Gehorsam (Verpflichtung zum Dialog), so meint der ehemalige Prior des Klosters Andechs auf dem Kongress, würde vielen Führungskräften gut zu Gesicht stehen.
Seiner Meinung nach ist darüber hinaus insbesondere die 'discretio' (Unterscheidung) in Unternehmen relevant. 'Führungskräfte sollten zwischen ihren Mitarbeitern unterscheiden, um dem Einzelnen besser gerecht zu werden', erläuterte Bilgri. Der Blick sei dabei auf die Stärken und Talente der Menschen zu richten. Welches sind die besonderen Fähigkeiten eines Mitarbeiters? Nur wer als Vorgesetzter diese Frage beantworten kann, kann laut Bilgri auch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass jeder einzelne Mitarbeiter seine Talente entfaltet und so dem Unternehmen zu mehr Erfolg verhilft.
Bilgri stellte auf dem Kongress zudem ein Modell vor, das die für eine Organisation notwendige Balance zwischen materiellen und immateriellen Werten verdeutlicht. Das Modell ist nichts anderes als ein Dreieck, an dessen Spitzen die Begriffe 'Ich', 'der Nächste' und 'Gott' stehen. Auf eine Organisation übertragen: 'Ich' steht für jede beliebige Person im Unternehmen, die gerade handelt, 'Gott' ist das Synonym für Sinn und Intention, und 'der Nächste', also der Mitmensch, versinnbildlicht die Kooperation - und somit u.a. letztlich auch die Geschäftsergebnisse.
Aus diesen Komponenten entsteht laut Bilgri ein so genannter Sinnraum, in dem Mitarbeiter den Sinn ihrer Arbeit finden und begreifen können. Deutlich wird an dem Modell, dass das Überbetonen einer einzelnen Seite das Dreieck in Schieflage bringen kann. Die Aufgabe der Führungskräfte ist es entsprechend, die Balance zwischen Person, Kooperation und Intention immer wieder neu anzustreben.
Die Wertediskussion bewegt sich auf unterschiedlichen Ebenen
Auch Bernhard von Mutius plädierte für eine bewusste Zusammenführung von materiellen und immateriellen Werten. Dabei verwies er u.a. auf das Instrument der Wissensbilanz, mittels dem das Know-how der Mitarbeiter, die Kundenbeziehungen wie auch die Lernprozesse eines Unternehmens bewertet werden. Zudem machte von Mutius darauf aufmerksam, dass die Wertediskussion auf eine einheitliche Ebene gestellt werden muss. Die Diskussion sei nicht eindeutig. Die einen würden über Corporate Citizenship und Social Responsibility sprechen, andere über Ethik, wiederum andere über Werte wie Leistung und Innovation.
Ob seine Anregung aufgegriffen wird, werden wohl die weiteren Veranstaltungen des Anselm-Bilgri-Zentrums für Unternehmenskultur zeigen. Künftig soll jedes halbe Jahr ein Kongress zum Thema Werte stattfinden - abwechselnd in München und Berlin.