Sowohl die anderen Seminarteilnehmer als auch sich selbst kennenlernen – dieses Ziel soll mit dem Trainingstool 'Erkenne dich selbst' erreicht werden. Der Praxistest von Training aktuell zeigt: Nur eine der Versprechungen kann das Kartenspiel erfüllen.
Das Angebot: Das Kartenspiel 'Erkenne dich selbst' kann laut Anbieter als Einstiegsübung in Seminaren eingesetzt werden. Leisten soll es zweierlei: Zum einen lernen sich die Gruppenmitglieder kennen, zum anderen erfahren sie Neues über sich, so das Versprechen des Spieleentwicklers.
Der TA-Check: Aus einer Spielanleitung und 78 Karten besteht das Set. Ebenso übersichtlich wie die Ausstattung ist die Einweisung: In weniger als fünf Minuten habe ich verstanden, wie ich die Teilnehmer anleiten soll. Vor meiner Testgruppe mit sechs Personen lege ich alle vorhandenen Karten verdeckt aus. Jeder Teilnehmer darf fünf Papierquadrate ziehen. Auf jeder 'Potenzialkarte' ist je ein Verhaltensmuster genannt. Die Mitspieler sind nun angehalten, die fünf Karten, die sie gezogen haben, zu überprüfen und drei Aussagen auszuwählen, die am besten zu ihnen passen. Die zwei übrigen Karten werden im Anschluss mit den Mitspielern getauscht. Ziel ist es, dass jeder Teilnehmer am Ende der Runde fünf Karten besitzt, die ihn gut beschreiben.
Das Vorgehen versteht meine Testgruppe schnell und stürzt sich neugierig auf die Karten. Schnell tauchen erste Irritationen auf: 'Ich nehme leicht zu, auch wenn ich nicht viel esse', steht auf einer Karte. Die Runde beschließt, dass das kein Verhaltensmuster ist, und sortiert die Karte aus. Gleiches geschieht mit den Dopplungen: Weil alle Aussagen im Kartenset zweimal vorkommen, sitzen einige Mitspieler vor identischen Feststellungen. Hier entscheiden wir, dass sie erneut auswählen dürfen. Welches Verhaltensmuster beschreibt mich gut? Welches gar nicht? Mit wem kann ich tauschen, damit ich zu einer passenderen Karte komme? Schnell entsteht eine angeregte Diskussion am Tisch, die Karten werden herumgereicht, Mitspieler beraten. Nach nur zehn Minuten ist der Prozess abgeschlossen. Von den fünf Karten, die jeder Mitspieler nun wieder hat, darf er wiederum die drei treffendsten Aussagen benennen. Mithilfe dieser Angaben stellt er sich nun der Gruppe vor.
Der TA-Eindruck: 'Eine gute Art, sich kennenzulernen', lobt eine Teilnehmerin. Anstatt vorformulierte Wendungen herunterzuspulen, orientieren sich alle Beteiligten an den Karten und offenbaren dadurch Neues. 'Ich bin empfindlich gegen Lärm und verhalte mich selbst meist leise', hat ein Mitspieler ausgewählt. Er belegt diese Einschätzung mit einem Erlebnis aus seinem Berufsalltag – und hinterlässt damit ein prägendes Bild. Als Einstiegsübung in ein Seminar ist das Trainigs-Tool damit hervorragend geeignet. Nur zwanzig Minuten hat die Partie gedauert – und im Anschluss harrt die Testgruppe erwartungsvoll der Dinge, die da kommen. 'Erkenne dich selbst!' heißt nicht nur das Spiel, sondern auch eine Handlungsmaxime des Orakels von Delphi. Den Weg zur Einsicht liefert zuverlässig jedoch weder die heilige Stätte noch das Spiel. Zielgerichtet greifen die Mitspieler zu den Karten, die ihnen zusagen. Dass sie sich in Verhaltensmustern wiederfinden, die sie zufällig gezogen hatten, ist ihrer Aussage nach nicht der Fall. In puncto Selbsterkenntnis kann auch der Trainer nicht helfen – zumindest nicht mit dem mitgelieferten 'Kompendium zum Thema Verhalten und zur Persönlichkeit'. Zwar sind alle Karten in den Farben grün (Herz), rot (Hand) und blau (Kopf) gekennzeichnet – doch nur bei wenigen Mitspielern dominiert eine Farbe. Die Deutungsmuster, die das Heftchen anbietet, sind deshalb untauglich.
Das TA-Fazit: Keine Offenbarung, aber ein sehr gutes Trainings-Warm-up.
Erkenne dich selbst. Trainings-Tool. Max M. Gläseke, Emmerich 2008. 46,40 Euro.