'Wann fangen Sie endlich mit dem eigentlichen Seminar an?' Diesen Zwischenruf eines Teilnehmers hat ein Trainerkollege erlebt, als er die Einstiegssequenz seines viertägigen Führungskräfteseminars mit einer Vorstellungsrunde und zwei Kennenlern-Übungen besonders lang gestaltete. Eine heikle Situation, denn eine falsche Reaktion hätte den Teilnehmer verprellen und die Stimmung des Seminars bedrohen können. Der Trainer entschärfte die Lage, indem er den Teilnehmer freundlich ansah und sagte: 'Ja, da sprechen Sie aus, was sich einige hier wahrscheinlich denken'.
Die paradoxe Intervention hatte Erfolg: Der Teilnehmer freute sich, dass seine Botschaft angenommen und nicht mit einem Gegenangriff quittiert wurde. Für den Trainer wiederum erwies sich die 'Störung' als Anlass für eine Vertrauensübung: Indem er sich bedankte und die restliche Gruppe ermutigte, Widerstände offen auszusprechen, fand er nicht nur Zugang zu einem kritischen Teilnehmer. Als Rollenmodell lebte er außerdem vor, dass vertrauensvolle Beziehungen – im Seminar wie zwischen Führenden und Geführten – weniger mit Anpassung und Harmonie zu tun haben als mit Mut und Akzeptanz.
Widerständen wertschätzend zu begegnen, ist also eine gute Möglichkeit, Vertrauen aufzubauen. Dabei geht es nicht um ein seichtes 'alle haben sich lieb'. Vielmehr kann eine gute Beziehung mit den Teilnehmern helfen, emotionale und kognitive Störfaktoren auszuräumen und die Lernbereitschaft zu erhöhen. Warum das so ist, lässt sich mit Rückgriff auf die Neurobiologie erklären. Eine entscheidende Rolle spielt dabei das Vertrauens- und Bindungspeptid Oxytocin, das durch gute Beziehungserfahrungen ausgeschüttet wird und kooperationsfördernd, angstlösend und motivierend wirkt.
Extra:- Vertrauen aus Widerstand: Sieben Tipps für den richtigen Umgang mit Widerständen