Eine Anfrage zu einer Teamentwicklung: Ich wurde zu einer Besprechung eingeladen, um gemeinsam mit dem Team zu klären, welche Themen es zu bearbeiten galt. Zur Einstimmung gab ich jedem Teammitglied ein eingerolltes und mit einer Sisalschleife zusammengehaltenes leeres Blatt Papier. Die Botschaft: Welche Themen sollten Raum finden, die noch nicht bearbeitet sind? Zuerst ein Austausch zu zweit, dann eine Diskussion in der Gruppe. Das funktionierte eindeutig nicht. Themen kamen nicht auf den Tisch, sondern nur Befürchtungen, was Kritisches passieren könnte. Eigentlich eine gute Situation. Warum? Weil dadurch deutlich wird, dass es keine wirklich wichtigen Themen für das Team gibt. Die Diskussion in dieser ersten Auftragsklärung verlief dann aber in einer Art und Weise, auf die ich absolut unvorbereitet war – selbst in meinen kühnsten Träumen nicht. Alle Teammitglieder begannen mir die Botschaft zu vermitteln, in der Teamentwicklung nicht zu intervenieren. Kurz gesagt: Ich sollte dabei sein, aber nichts tun. Diese Haltung stabilisierte sich sehr schnell und entwickelte sich zum Kernauftrag an mich.
Nichtstun als Auftrag
Ich sollte also einfach nur dabei sein. Das hörte ich mir – voller Überraschung, aber gefasst – erst einmal so an. Selbst die anwesenden Führungskräfte empfanden diesen Auftrag als sinnvoll und machbar. Was tun in solch einer Situation? Ich schickte alle Anwesenden zu zweit oder dritt oder, wer mochte, auch allein, in eine Nachdenkpause über den so formulierten Auftrag an mich: 'Worum geht es hier eigentlich?'
Aber: Auch diese Intervention bewirkte keinen Unterschied. Der Auftrag verfestigte sich weiterhin in diese Richtung, allerdings mit der weiteren Differenzierung, dass sich das Team einen Vormittag lang bei einem Frühstück bis in den Nachmittag hinein unstrukturiert austauscht. Als ich dann vorschlug, dass ich dabei in meiner Rolle nicht erforderlich sei, kamen sofort erhebliche Einwände: Doch, doch, es sei sehr wichtig, dass ich dabei sei, jedoch sollte ich nichts tun.
Ich überlegte kurz und überprüfte dieses Ansinnen intuitiv. Schließlich nahm ich den Auftrag unter einer Bedingung an: 'Ich werde während des gesamten Austauschs wirklich nichts tun, nehme mir allerdings das Recht heraus, am Ende des Tages ein Feedback zu geben.' Darauf konnte sich das Team einlassen.
So kam es zu dieser ungewöhnlichen 'Teamentwicklung'. Wir frühstückten gemeinsam, ich hörte lediglich zu und nahm wahr, was ausgesprochen wurde, was sich hinter den Beiträgen als Hypothesen verbergen könnte, und verbrachte so Stunde um Stunde. Am Ende des Tages lieferte ich dann mein vereinbartes Feedback. Es waren nur wenige Sätze, die ich von mir gab. Im Kern ging es darum, dass sich die Menschen im Team untereinander kaum wirklich wahrnahmen. Sie behandelten sich gegenseitig eher wie Maschinenteile, nicht aber wie lebendige Wesen. Parallel zu dieser Umgangsweise im Miteinander erreichte dieses Team aber Höchstleistungen, auf die alle sehr stolz waren. Das war in etwa meine Rückmeldung. Ab da unternahm ich – wie abgesprochen – nichts weiter.
Eine beklemmende AtmosphäreDer Abend und das Frühstück am nächsten Morgen fanden in einer beklemmenden Atmosphäre statt. Kaum einer sagte etwas. Die Mitteilsamkeit des ersten Tages war verflogen und durch ein betretenes Schweigen ersetzt. Mit dieser Stimmung endete die Teamentwicklung. Auch in mir hinterließ sie eine sehr ambivalente Stimmung. War das richtig, was ich getan hatte, hatte ich mehr zerstört als aufgebaut?
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