Ich habe das Vergnügen (und das ist meist wirklich eines), für einen großen Kunden regelmäßig Trainings in Sachen Moderation durchführen zu dürfen. Meine Zielgruppe ist dabei zwar fachlich heterogen, aber immer guten Willens und neugierig. Es handelt sich normalerweise um Mitarbeiter, die sich freiwillig darum bemühen, neben ihrem eigentlichen Job auch noch firmenintern Moderationen zu übernehmen. Das heißt für mich, sie sind engagiert und motiviert. Seeeeeehr angenehm.
In ein Aufbautraining, das ich recht neu konzipiert hatte, 'verlief' sich neben der eben beschriebenen Art von Teilnehmern auch ein hauptberuflicher interner Moderator. Ich muss gestehen, dass ich bis dahin gar nicht auf dem Radar hatte, dass mir das in diesem Training passieren könnte. Achtung: defizitäre Zielgruppenanalyse – böser Fehler! Jedenfalls ging ich wie immer hochmotiviert und neugierig auf meine Teilnehmer zu und begann nach meiner Vorstellung mit einer soziometrischen Aufstellung. Bei der Frage 'Wie lange sind Sie schon interner Moderator?' stellt sich mein Kandidat doch glatt bei 20 Jahren auf und fügte hinzu, dass er das jetzt seit bestimmt 15 Jahren hauptberuflich macht. 'Ups', schoss es mir durch den Kopf, 'ich bin erst seit zwölf Jahren als Trainer tätig und Moderation ist nicht mein Kernthema. Außerdem mache ich nicht dauernd von einem Auftraggeber georderte Moderationen. Was will der hier? Was kann der noch von mir lernen?'
In diesem Moment wandelte sich meine normalerweise sehr stabile, selbstbewusste und bestimmt auch souverän wirkende Persönlichkeit. Clever, wie wir Trainer sind, versuchte ich, meine spontan aufkommende Verunsicherung mit einem koketten Scherz zu kaschieren: 'Na, da müssten Sie ja eigentlich hier vorn stehen.' Das gelang freilich nur bedingt. Die Unsicherheit gegenüber dem Teilnehmer war da – wenn auch nur als Konstruktion in meinem verwirrten Trainergehirn, das einerseits genau weiß, dass ich den Teilnehmern nicht 'überlegen' sein muss, das aber andererseits genau das will.
Exkurs: Ob diese ambivalente Haltung ein Wesensmerkmal aller konstruktivistisch denkenden Trainer ist oder sein muss, weiß ich nicht. Bei mir ist es definitiv so: Ich fühle mich dann sicher, wenn ich mich inhaltlich überlegen fühle und gleichzeitig die Karte der gleichberechtigten Meinungen und Ansichten spielen darf. Dieser Teilnehmer forderte mich deswegen auf eine sehr spezifische Art und Weise, wie es sehr selten vorkommt.
Erwartungsgemäß fiel dann auch das (sehr konstruktiv und wertschätzend gegebene) Feedback dieses Teilnehmers am ersten Abend des dreitägigen Seminars aus. Er habe zwar nichts Neues gelernt, weil er eben schon sehr erfahren sei, aber es habe durchaus Spaß gemacht. Für den zweiten Tag wünsche er sich noch mehr Theorie, Erklärungsmodelle aus der Wissenschaft oder Ähnliches – er arbeite eben gerne mit Modellen, die Dinge steuerbar machen.
Ach herrje, hätte er doch bloß gemeckert! Aber nein, er gab auch noch ein sehr professionelles Feedback. Und – zack! – demaskierte mich gefühlt als entertainenden Trainer, der keinen theoretischen Tiefgang hat, nur mit vorgefertigten Rollenspielen agiert, keine Erklärungsmodelle liefert, keine Rezepte und Methoden anbietet … So raste es mir jedenfalls durch mein aufgewühltes Gehirn – obwohl er das vermutlich gar nicht so gemeint hatte. Aber gut, ich wollte mich nicht lumpen lassen. Er wollte Stoff? Den würde ich liefern! Also holte ich abends von einem Kollegen via E-Mail noch einige Hinweise für rhetorische Finessen in komplexen Moderationssituationen ein, baute den folgenden Seminartag noch etwas um. Und versuchte damit das, was ich selbst als die Quadratur des Kreises wahrnahm: sowohl Praxisübungen für alle Teilnehmer als auch theoriegeleitete Diskussionen über schwierige Situationen in der Moderation (ich selbst war in diesen drei Tagen das beste Beispiel dafür). Trotz meiner Bemühungen war das Feedback am zweiten Tag im Prinzip identisch, nur mit noch etwas mehr Nachdruck vorgebracht: Es fehlen Erklärungsmodelle! Blöderweise kam dieses Mal zusätzlich noch Zuspruch von anderen Teilnehmern hinzu, die gerne Theorie speziell aus meiner Disziplin, der pädagogischen Erwachsenenbildung, hören wollten. Das sei doch bestimmt spannend, was die Erziehungswissenschaft zu sagen habe. Der Druck im Kessel stieg an, ich wurde immer unsicherer.
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Der
Beitrag stammt aus dem Buch 'Abenteuer aus der Trainerhölle. Strategien
und Lösungen für 49 kritische Seminarsituationen', hrsg. von Jürgen
Schulze-Seeger u.a., erschienen bei Beltz, Weinheim 2013, 39,95 Euro -
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pdf des Beitrags finden Sie außerdem einige Lösungsvorschläge von
Trainern und Coachs zum Thema aus der Trainerhölle, das wir in Ausgabe 7/2014 vorstellten.