Das kennen Sie bestimmt auch: Es ist 'irgendwie spürbar', ob in einem Unternehmen mit Leichtigkeit und Freude gearbeitet wird, Innovationen entstehen, Veränderungsprozesse erfolgreich durchlaufen werden oder ob eine Organisation eher statisch und träge ist.
Was bislang der Intuition vorbehalten blieb, ist an der renommierten Universität St. Gallen unter Leitung von Prof. Heike Bruch über mehrere Jahre empirisch untersucht worden: das Phänomen der 'Organisationalen Energie'. Das breit angelegte Forschungsprojekt, veröffentlicht unter dem Titel 'Organisationale Energie - Wie Sie das Potenzial ihres Unternehmens ausschöpfen', beinhaltet u.a. eine umfangreiche Interview-Serie, mehrere Case Studies, Panel-Studien und Langzeitbeobachtungen bei internationalen Unternehmen verschiedener Größe und Ausrichtung.
Die Energie einer Organisation wird in zwei Dimensionen beschrieben: Die Intensität zeigt an, wie stark ein Unternehmen seine Potenziale aktiviert hat und beschreibt z.B. die Kraft der Emotionen, den Grad der Wachheit und das Aktivitätsniveau. Die Qualität gibt an, inwieweit diese Potenziale konstruktiv oder destruktiv genutzt werden.
Beide Dimensionen zusammen ergeben eine Matrix mit vier typischen Energiezuständen:
Die 'Angenehme Trägheit' beschreibt einen Zustand der Zufriedenheit mit dem Status Quo, die Handlungsintensität ist dabei gering. Die 'Resignative Trägheit' zeigt sich im inneren Rückzug gegenüber Unternehmenszielen, einem niedrigen Aktivitätsniveau und Enttäuschung.
Beim Status der 'Korrosiven Energie' herrscht im Unternehmen zwar hohe Aktivität, diese wird jedoch in internen Kämpfen verbraucht. Erstrebenswert ist der Zustand der 'Produktiven Energie': Mit Wachheit und Schwung widmen sich die Mitarbeiter zentralen Zielen.
Grundsätzlich vermieden werden sollten drei klassische 'Energiefallen': In der 'Korrosionsfalle' zehren sich Unternehmen in internen Verteilungskämpfen und Detail-Optimierung auf. Anhaltender Erfolg führt in die 'Trägheitsfalle', wo Selbstzufriedenheit blind macht für Chancen und Bedrohungen. In der 'Beschleunigungsfalle' geschieht immer mehr, immer schneller gleichzeitig. Das Ergebnis sind Change-Müdigkeit, Zynismus und kollektive Erschöpfung.
Der Hauptverdienst des Buches dürfte in der systematischen Untersuchung und Beschreibung einer Reihe von schwer fassbaren 'weichen' Phänomenen liegen, deren hoher Stellenwert damit unterstrichen wird. Auch die zahlreichen ausführlichen Beispiele aus den untersuchten Unternehmen lesen sich sehr Gewinn bringend.
Die Handlungsempfehlungen, die die Autoren aus ihren Erkenntnissen ableiten, sind in der Organisationsentwicklung durchaus bekannt, aber auch aus der 'großen' Politik: Das Management muss Visionen entwickeln und kommunizieren, Symbole setzen, Bedrohungen oder Chancen konkret greifbar vermitteln, eindeutige Schwerpunkte setzen, glaubhaft das eigene Beispiel vorleben, zwischen Alt und Neu ausbalancieren, die Unternehmenskultur bewusst gestalten usw.
Fazit: Wenn systematische Unternehmensentwicklung und Veränderungsbegleitung dem Rotstift zum Opfer fallen soll, kann die Lektüre helfen, die langfristigen Folgekosten von operativer Hektik, Dauer-Change oder anhaltender Routine vor Augen zu führen.
Von Heike Bruch und Bernd Vogel, 292 S., geb., Gabler, Wiesbaden 2005, ISBN: 3-409-12658-9, 39,90 Euro.