Innovate, Share, Succeed – unter diesem Motto stand die 15. Ausgabe der Online Educa Berlin. Die weltgrößte E-Learning-Konferenz präsentierte zahlreiche Ideen für die Herausforderungen der Zukunft. Die wichtigsten Forderungen: Lernen muss sozialer und zugänglicher werden, die Technik ökologischer und mobiler. Doch noch sieht die Realität anders aus.
'Knowledge isn‘t power, but access to knowledge' – 'we‘re moving from hierarchy to wirearchy' – 'we have to embrace technology' – 'the amount of time spent using technology is an educational risk' – 'traditional e-learning has failed'. Thesen wie diese wurden vom 3. bis 4. Dezember 2009 auf der Online Educa Berlin (OEB) zum Teil kontrovers diskutiert. Das Themenspektrum reichte von Social über Mobile bis zu Gamebased Learning. Auf dem 15. Familientreffen der E-Learning-Welt ging es aber nicht nur um Technik. Vor allem die Keynotes drehten sich um die großen Fragen: um Klimaschutz, Bevölkerungsentwicklung und sozialen Wandel – und darum, welche Rolle dabei die veränderte Wissensrezeption und -distribution im digitalen Zeitalter spielt. Ein weiteres Schwerpunktthema waren die Krise und die Chancen und Zwänge, die sich aus sinkenden Bildungsetats für E-Learning ergeben. Die OEB selbst blieb im Krisenjahr verschont: Mit 2.078 Teilnehmern aus 92 Ländern erreichte die weltgrößte E-Learning-Konferenz ähnliche Ausmaße wie 2008. Auf den Gängen des Interconti-Hotels herrschte reges Gedränge, das Programm war mit 85 Vortrags- und Diskussionsrunden in 15 parallelen Tracks mehr als üppig.
Neues LernenDas Motto 'Innovate, share, succeed' war gut gewählt, insofern es sich als Ausdruck des vorherrschenden Optimismus verstehen lässt – aber auch als Selbstbeschwörung, die Zukunft mit neuen Ideen erfolgreich zu gestalten. Wie nötig ein umfassend neuer Denkansatz in Sachen Lernen ist, machte Keynote-Speaker David Puttnam, Filmproduzent und Kanzler der britischen Open University, bei seiner Eröffnungsrede deutlich: Die immensen globalen Herausforderungen seien mit dem jetzigen Bildungssystem, das noch an den Bedürfnissen des 19. Jahrhunderts ausgerichtet ist, nicht zu bewältigen. Puttnam forderte daher ein neues Verständnis von Lernen, das vor allem Junge für die sich schnell verändernden Anforderungen unserer Zeit rüstet: durch bedarfsgerechte Anpassung, durch Teilen, durch Mitgestalten.
Social Media als HoffnungsträgerKristallisationspunkt der Diskussion waren die omnipräsenten Social Media und die Digital Natives. Welche Hoffnungen sich daran knüpfen, machte unter anderem die große Debatte am Donnerstagabend deutlich, die sich um Nutzen und Gefahren von wachsendem Gebrauch von Technik und Social Software drehte. Befürworter Donald Clark etwa beschrieb den Lernstil der 'Generation Y' als selbstgesteuerten und sozialen Prozess, der von Lehrern oder Eltern kaum noch gesteuert werden kann oder muss. Mitstreiter Jerry Michalski entwarf die abstrakte Vision eines 'global brain', das die durch die neuen Technologien vernetzten Menschen gemeinsam herausbilden. Zwar zeigte die Debatte, dass auch das Web 2.0 nicht unkritisch gesehen wird. So wiesen der Psychologe Aric Sigman und der Kolumnist des britischen 'Independent' Bruce Anderson unter Beifall auf Gefahren hin, die übermäßiger Technikeinsatz für die soziale und kulturelle Entwicklung junger Menschen haben könnte. Der grundsätzliche Nutzen von YouTube, Facebook und vor allem Twitter wurde aber kaum bezweifelt.
Wie sehr sie selbst den 'share'-Gedanken bereits verinnerlicht haben, zeigten die Teilnehmer praktisch: Die Debatte wurde – wie die übrigen Veranstaltungen – intensiv auf Twitter begleitet. Tausende Tweets mit dem Hashtag 'oeb2009' kommentierten beinahe jede Aussage der Podiumsredner. Der Ansturm auf den Microblogging-Dienst war so hoch, dass das Netzwerk zwischenzeitlich zusammenzubrechen drohte.
'Wir brauchen mobile Inhalte'Mobilität spielte nicht nur in Form der unzähligen iPhones, Netbooks und anderen dauergenutzten Mobilgeräten eine Rolle, sondern auch inhaltlich. So warb Zenna Atkins in ihrer mitreißenden Keynote dafür, die neuen technischen Möglichkeiten anzunehmen und zu nutzen. Vor allem, so die Vorsitzende der britischen Bildungsorganisation Ofsted, würden mehr mobile Inhalte gebraucht. Sie könnten dazu beitragen, Lernen weniger an überkommenen Strukturen auszurichten, sondern am Bedarf der Lerner – und zwar flexibel und mit fairen Zugangschancen.
Dass Zugang zu Wissen das entscheidende Kriterium ist, betonte Charles Jennings, der die Plenarsitzung 'Responding to the Changing World of Work' am Freitagmorgen eröffnete. Keynoter Tarkan Maner, Chef von Thin-Computing-Produzent WYSE, ergänzte in seiner Keynote diese Forderung um ein ökologisch-soziales Argument: Die tragbaren Geräte seien nicht nur billiger, sondern auch energiesparender. So könnten sie die Zugangsbarriere zu digitalem Wissen global herabsenken und zugleich der wichtigsten Herausforderung der Zukunft gerecht werden, dem Klimawandel. Maners Vision: Statt aufwändiger Infrastruktur und dezentraler Speicherung der Inhalte könnte künftig Content jeder Art in einer virtuellen Cloud-Infrastruktur gespeichert werden und durch vergleichsweise simple Endgeräte überall und jederzeit online abgerufen werden.
Wie neuere Ansätze zum mobilen Lernen konkret aussehen, zeigte die Session 'The Mobile Learning Experience', die unter anderem eine Methode vorstellte, wie Studenten der Veterinärmedizin das Fotoportal Flickr nutzen können, um mit selbstgemachten Handyfotos Wissen auszutauschen. Eine andere Anwendung basiert auf den sogenannten Mobile Flashcards, multimedialen Lernkarten, die per Handy abgefragt werden können. Ebenfalls präsentiert: eine Plattform, die Sprachschülern bei Anruf Beispielfragen stellt oder verschiedene Muttersprachler verbindet, die sich gegenseitig unterrichten können.
Innovationen der 'New Era'Innovationen beschränkten sich nicht auf technische Lösungen. In der Reihe „Creating the New Era of Corporate Learning“ unter Leitung der E-Learning-Gurus Jay Cross und Charles Jennings wurden auch neue Formen des Austauschs erprobt. Dazu gehörten teilnehmergeführte Unkonferenzen mit spontaner Themenwahl oder das in Japan entwickelte Kurzformat Pecha Kucha (sprich: pe-tschak-tscha). Vor allem diese Highspeed-Powerpoint-Präsentation mit 20 Slides zu je 20 Sekunden könnte Schwung in manch langatmige Wissensvermittlung bringen. In der Session 'The Future of Leadership Training' entwarf HR-Trendforscher Kevin Wheeler ein neues Konzept von Führung: Sie müsse weniger hierarchisch gedacht werden, sondern netzartiger. Ein Rotationsprinzip solle sicherstellen, dass immer derjenige führt, der für bestimmte Anforderungen die richtigen Kompetenzen habe. Folglich, so Wheeler, brauche jeder Leadership-Training, das bisher nur wenigen vorbehalten ist. Die erhoffte Diskussion blieb leider stecken. Die Teilnehmer kamen zwar zu Wort, von einem echten Austausch konnte aber kaum die Rede sein. Auch die unerwarteten Schwierigkeiten, eine Videokonferenz einzurichten, zeugten nicht wirklich von einer neuen Ära. Und inhaltlich bewegte sich die Reihe wie die ganze Konferenz zu großen Teilen im Grundsätzlichen.
Bemühte ZuversichtEin bisschen ist damit auch der Gesamteindruck beschrieben, den die OEB vom Stand des E-Learnings vermittelte: An guten Ideen – innovativen oder bewährten – mangelt es nicht. Wohl aber am Erfolg, von dem im OEB-Motto die Rede ist.
'Gemessen an den Versprechen von vor zehn Jahren ist E-Learning gescheitert', sagte Laura Overton von Towards Maturity. Die Non-Profit-Organisa-tion zur Unterstützung von Lerntechnologien hat in einer breit angelegten Studie festgestellt, dass bei gerade zehn Prozent der Unternehmen E-Learning fest eingebettet ist. An der fehlenden Akzeptanz konnten bisher auch die Social Media nichts ändern. Im Gegenteil: In weiten Teilen der Wirtschaft und bei den Mitarbeitern selbst herrschen Skepsis und Desinteresse vor, wenn es um Blogs oder Netzwerke geht. Das zumindest ging aus zahlreichen Publikumsbeiträgen hervor. Und so war die Vehemenz, mit der auf der OEB die Umsetzung all der Ideen für eine neue Lernwelt gefordert wurde, einerseits Ausdruck der großen Hoffnung, die sich mit neuen Technologien wie den Social Media verbinden. Andererseits machte sie auch deutlich, wie weit der Weg noch ist – gemessen an den großen Herausforderungen, vor der das technikgestützte Lernen weltweit steht.