Vielfalt um ihrer selbst willen oder weil sie gesellschaftlich erwünscht ist – das sind für Unternehmen keine ausreichenden Gründe mehr, um sich mit dem Thema Diversity Management zu beschäftigen. Organisationen wollen den Benefit der bunten Belegschaft sehen, und Trainer und Berater müssen ihn benennen.
'Unser Kanzler ist eine Frau, unser Außenminister ist schwul, der Finanzminister sitzt im Rollstuhl, und der Gesundheitsminister hat einen Migrationshintergrund. Das beweist: Das Thema Diversity ist in unserer Gesellschaft angekommen', veranschaulichte Hans Jablonski einen Zustand, der seit 16 Jahren in seinem beruflichen Fokus steht: Diversity Management. Von seinen Erfahrungen mit der bunten Belegschaft berichtete Jablonski Mitte Februar 2010 auf dem Forum von Sietar. Der deutsche Ableger der 'Society for Intercultural Education Training and Research' hatte zum Thema Interkulturalität nach Bonn geladen – 190 Teilnehmer waren gekommen. Wie eine Organisation soziale Vielfalt konstruktiv nutzen kann, das war der Gegenstand der dreitägigen Konferenz. Jablonski, der das Thema Diversity unter anderem bei Ford und BP vorangetrieben hat, hat die 'Charta der Vielfalt' mitinitiiert. Dass mittlerweile 800 deutsche Organisationen die Selbstverpflichtung zur Vielfalt in den eigenen Reihen unterschrieben haben, hätte sich der Personal- und Organisationsentwickler zu Beginn seiner Berufslaufbahn nicht träumen lassen: 'Als sich die ersten US-Unternehmen in den 60er Jahren mit dem Thema Diversity beschäftigten, taten sie das vor allem aus zwei Gründen: Sie fürchteten Klagen wegen Diskriminierung und sahen sich einem gesellschaftlichen und politischen Druck ausgesetzt.' Heute dominiert ein anderer Motivationsfaktor das Engagement: die Aussicht auf ökonomische Vorteile. 'Große Unternehmen können es sich schlicht nicht mehr leisten, das Potenzial von Menschen mit Migrationshintergrund, Frauen, Älteren und den unterschiedlichen Altersgruppen nicht zu nutzen', findet Jablonksi. Mit einem weiteren Fokus bei der Rekrutierung ist es aber nicht getan: 'Vielfalt alleine bringt keinen Erfolg. Erst die Wertschätzung der Unterschiede macht ihn möglich', umriss Jablonski das Ziel des Diversity Managements.
'Diversitätspragmatisch' ist das neue SchlagwortDass Vielfalt allein kein goldenes Schwert für jeden Knoten ist, führte auch Alexander Scheitza aus. Der Diplom-Psychologe erläuterte, dass sich Organisationen bewusst machen sollten, ob und wie ihnen Vielfalt nutzt, und wo die Diversität problematisch sein könnte. In der Skala der 'Diversitätsorientierung von Unternehmen' reiche das Spektrum von 'diversitätsblind' und 'diversitätsabwehrend' über 'diversitätsambivalent' und 'diversitätspragmatisch' hin zu 'diversitätsengagiert'. In der Phase der Diversitätsambivalenz befinden sich laut Scheitza viele Verwaltungen. „Dort heißt es oft: Hört sich spannend an, ist politisch opportun, aber was genau sollen wir eigentlich tun?', berichtete Scheitzka aus seiner Erfahrung. Seiner Meinung nach ist der leidenschaftslose 'Diversitätspragmatismus' ein inzwischen weit verbreiteter und durchaus sinnvoller Zustand. Er definiert: 'Diversität wird von Fall zu Fall aufgrund von Nützlichkeitserwägungen gewollt.'
Die Nützlichkeit heterogener Teams ist etwa gegeben, wenn die Arbeit zu wesentlichen Teilen aus Kommunikation, Interaktion und Kreativität besteht – hier kann die Vielfalt zu vielfältigen Ergebnissen führen und eine größere Bandbreite abdecken als in homogenen Gruppen. Ein weiterer Grund für heterogene Teams kann im Umfeld der Organisation liegen: 'Ein System ist nur dann überlebensfähig, wenn seine Vielfalt der Vielfalt seiner Umwelt entspricht', zitierte Scheitza den Kybernetiker William Ross Ashby. Es gibt allerdings auch Gründe, sich für reine Schmidt-und-Schmidtchen-Teams zu entscheiden, so Scheitzka: 'Diversity kann in manchen Fällen kontraproduktiv sein', führte er aus. Sein Beispiel: Routinetätigkeiten. 'Die müssen schnell und standardisiert erledigt werden – und das gelingt mit einem homogenen Team viel besser.' Dass der pragmatische Blick auf das Thema Diversity dazu führen wird, dass das Thema an Bedeutung verliert, fürchteten die Forumsbesucher indes nicht. Denn die meisten Unternehmen kommen gar nicht daran vorbei, sich mit den unterschiedlichen Erfahrungshintergründen ihrer Erwerbstätigen auseinanderzusetzen. Hans Jablonski gibt ein Beispiel: 'Niemals zuvor haben vier Generationen gemeinsam in einem Unternehmen gearbeitet.' Diversity Management sei dafür verantwortlich, dass die Gruppen konstruktiv miteinander umgehen und dadurch zum Unternehmenserfolg beitragen.
Trainer und Berater müssen ihre Wertschöpfung belegenErfolg und Nützlichkeit – diese Worte fielen häufig auf der dreitägigen Konferenz. Eine Erklärung: In Zeiten knapper Weiterbildungsbudgets sind interkulturelle Trainings keine Wohlfühl-Workshops mehr, die im Dutzend und aufs Geratewohl verordnet werden. 'Trainer und Berater müssen sich gegenüber ihren Auftraggebern rechtfertigen und nachweisen, welche ökonomischen Vorteile das Unternehmen durch die Beschäftigung mit dem Thema hat', erklärt Steffen Henkel, erster Vorsitzender des Gastgeberverbandes Sietar. Dass sich die Diskussion über Diversity verändert, sieht Henkel als 'Zeichen des Erwachsenwerdens': Die Branche hat sich professionalisiert – nun muss sie sich auch am Profit messen lassen.
Diese Entwicklung findet Henkel gut – auch wenn sie seinen Verband vor neue Herausforderungen stellt: Denn Trainer und Berater sind nur eine Zielgruppe von Sietar. Der Verband bietet auch gesellschaftlichen Akteuren wie Sozialarbeitern und Wissenschaftlern eine Heimat, so sie auf dem Gebiet der interkulturellen Zusammenarbeit und der kulturellen Diversität tätig sind. Den beiden letztgenannten Gruppen eine 'zweckfreie Beschäftigung mit dem Thema zu ermöglichen' und die erstgenannte mit guten Argumenten für Auftraggeber zu füttern – das ist der Spagat, den Sietar wagt.
2010 hat sich die wirtschaftsorientierte Sektion des Verbandes durchgesetzt und sich unter den Forumsthemen – die zuvor im Internet gewählt werden konnten – vor allem für Titel entschieden wie 'Aus Vielfalt wird Gewinn' oder 'Wie steigere ich die Leistung virtueller Teams?'. Beim nächsten Forumstreffen in zwei Jahren könnten andere Themen vorne liegen – wenn die verbandsinterne Vielfalt zum Tragen kommt. Oder wenn Wirtschaftskrise und Wertsteigerung nicht mehr die alles dominierenden Themen sind.