Im April 2008 war es endlich soweit: Das Bundeskabinett hat die Bildungsprämie beschlossen. Geringverdiener bekommen demnach einen Zuschuss zum Seminar, besser Betuchte können billige Darlehen zu Bildungszwecken bekommen. Die Frage ist: Welche Auswirkungen hat das Programm auf die Weiterbildungsbeteiligung? Training aktuell mit einer Prognose.
Was seit Jahren angekündigt war, hat das Bundeskabinett im April 2008 endlich beschlossen: Um der stagnierenden Weiterbildungsbeteiligung auf die Sprünge zu helfen, werden Lernwillige in Zukunft Zugriff auf verschiedene staatliche Hilfen haben. Das Ziel: Jeder zweite Erwachsene soll wenigstens einmal im Jahr ein Seminar oder einen Kurs besuchen – das ist die Marke, die 2015 erreicht sein soll.
Das Maßnahmenbündel für das „Lernen im Lebenslauf“ – so der Begriff in der Kabinettsvorlage – umfasst drei Komponenten. Niedrigverdiener mit einem Jahreseinkommen von unter 17.900 Euro kommen ab Oktober 2008 in den Genuss einer Weiterbildungsprämie in Höhe von maximal 154 Euro und können damit bis zu 50 Prozent ihrer Seminarkosten finanzieren. Alle Bundesbürger dürfen seit Jahresbeginn auch Sparguthaben aus der Vermögensbildung für Bildungszwecke einsetzen, ohne die staatlichen Zuschüsse zu verlieren. Schließlich vergibt der Bund Darlehen für die Weiterbildung unabhängig von der Höhe des Einkommens zu besonders niedrigen Zinssätzen.
Eine vorausgehende Bildungsberatung ist PflichtNach langen Diskussionen ist auch klar, wie die Bürger zu den Vergünstigungen kommen. Die Bildungsprämie wird nicht direkt an die Lerner ausgezahlt. Interessenten erhalten bei Institutionen wie Volkshochschulen und Kammern, die als Beratungsstellen vorgesehen sind, einen Prämiengutschein und Informationen über drei Anbieter, bei denen sie die gewünschte Maßnahme absolvieren können. Der ausgesuchte Anbieter erhält dann den Förderbetrag. „Bis zum Herbst soll eine Kampagne zum lebensbegleitenden Lernen starten und eine zentrale Anlaufstelle mit Internetauftritt und Telefonhotline entstehen, die Infos zur Bildungsberatung publiziert und Anträge sammelt und weiterleitet“, so BMBF-Pressereferentin Katrin Hagedorn. Die beschlossene Lösung sieht bis 2013 Ausgaben in Höhe von 54 Millionen Euro vor und bleibt für das Bundesbudget nahezu folgenlos, denn für die Weiterbildungsprämie kommt der Europäische Sozialfonds auf.
Bildungsexperten bewerten die Prämie unterschiedlich
Die Weiterbildungsbranche sieht den Regierungsbeschluss als Schritt in die richtige Richtung. „Die Prämie wird den Menschen helfen, eigenverantwortlich für ihre Weiterbildung zu sorgen“, meint Siegfried Schmauder, Vorsitzender des Bundesverbands der Träger beruflicher Bildung (BBB), in dem einige der größten deutschen Anbieter vertreten sind.
Eher verhalten reagiert hingegen Weiterbildungsforscher Dick Moraal vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB): „Der Erfolg der Maßnahme hängt entscheidend davon ab, ob die Beratung der Lerner funktioniert und ob die geplante Informationskampagne die bildungsfernen Zielgruppen erreicht, die von der Bildungsprämie profitieren sollen. Schließlich liegt es mehr an der fehlenden Information über passende Angebote als an finanziellen Problemen, warum Menschen sich nicht weiterbilden.“
Prof. Ekkehard Nuissl von Rein, wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE), warnt vor zu großen Erwartungen: „Ich begrüße die Anerkennung und Unterstützung individueller Lernleistungen durch die Bildungsprämie. Kraftvolle Impulse benötigen aber entsprechende Mittel, und durch die Vorgabe der ,haushaltsneutralen‘ Finanzierung zeigt die Bundesregierung keinen wirklich großen Gestaltungswillen.“
Die Zeit war reif für eine BundesinitiativeAuch wenn das jetzt beschlossene Konzept nicht alle Erwartungen erfüllt: Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung bzw. das federführende Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) überhaupt aktiv geworden ist. Denn im Zuge der Föderalismusreform ist nur noch die Weiterbildung im Zuständigkeitsbereich des Bundes verblieben. Und der Bund, der sich die Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung auf die Fahnen geschrieben hatte, blieb bislang konkrete Konzepte schuldig.
Doch gerade in puncto Weiterbildungsbeteiligung hat Deutschland Nachholbedarf. 2007 haben sich nur 43 Prozent der Erwachsenen im Alter von 19 bis 64 Jahren weitergebildet, wie der BMBF-Bericht „Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland“ aufzeigt. Dieser Anteil liegt geringfügig über dem 2003 erreichten Tiefpunkt. Und für die deutsche „Wissensgesellschaft“ sind 43 Prozent allemal zu wenig.
Die Betriebe fahren ihre Bildungsbudgets zurück
Die schlechte Weiterbildungsbeteiligung liegt in hohem Maß am Rückzug der Bundesagentur für Arbeit aus dem Schulungsbereich, aber auch an der geringeren Weiterbildungsbereitschaft der Unternehmen. Die Ergebnisse der europaweiten Langzeitstudie CVTS (Continuing Vocational Training Survey) zeigen, dass 1993 noch 85 Prozent der deutschen Betriebe ihren Mitarbeitern die Gelegenheit boten, dazu zu lernen. Für 2005 stellt die CVTS 3 jedoch einen Rückgang auf 69 Prozent fest. Der Anteil der Beschäftigten, die betriebliche Bildungsangebote wahrnahmen, sank auf 30 Prozent.
Bei den Weiterbildungsausgaben wurde in den Unternehmen der Rotstift angesetzt: Zehn Prozent weniger als 1999 ließen sich die Unternehmen die Weiterbildung kosten, sie investieren gerade 500 Euro pro Mitarbeiter inklusive der Personalausfallkosten. Damit rangiert Deutschland unter den 27 untersuchten europäischen Staaten im unteren Mittelfeld. Trotz der im internationalen Vergleich hervorragenden beruflichen Erstausbildung ist dies ein beunruhigender Befund. Die zaghafte Umkehr des Negativtrends im vergangenen Jahr liegt nicht an verstärkten Lernaktivitäten in den Unternehmen. Mehr gelernt haben vor allem Nicht-Erwerbstätige – und Menschen im Alter von über 35 Jahren – bei externen Weiterbildungsträgern. Davon haben etwa die Volkshochschulen erheblich profitiert.
Werden die Maßnahmen der Bundesregierung die gesteckten Ziele erreichen und wird die Weiterbildungsquote auf 50 Prozent steigen? Ein Aufwärtstrend scheint möglich: In Großbritannien und Österreich haben Bildungsgutscheine zu einer höheren Lernbereitschaft geführt; dies gibt Anlass zu Optimismus. Außerdem steht die Bundesregierung in Deutschland nicht allein: Förderprogramme verschiedener Länder, wie etwa der Bildungsscheck in Nordrhein-Westfalen oder der Qualitätsscheck in Hessen wirken in dieselbe Richtung. Auch die Bundesagentur für Arbeit hat nach den massiven Streichungen, die bis in das Jahr 2005 andauerten, ihre Mittel wieder erhöht. 'Die Förderung der beruflichen Weiterbildung bleibt Kernelement der Arbeitsmarktpolitik', heißt es in einem im Januar 2008 verabschiedeten Kabinettspapier.
Die Bildungsbereitschaft bleibt niedrigVon diesen Initiativen wird die Weiterbildung profitieren, ein breiter Aufschwung wäre allerdings überraschend. Seit 1998 sind die Ausgaben für Weiterbildung im Vergleich zur Wirtschaftsleistung kontinuierlich gesunken – auch 2006, wie eine Berechnung des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung ergeben hat.
Wenig getan hat sich auch bei der Bildungsbereitschaft der Geringqualifizierten: Sie ist weiterhin deutlich niedriger als etwa die von Hochschulabsolventen. Sorge bereitet auch die Weiterbildungsmüdigkeit der Firmen: Drei Viertel aller Unternehmen – und hier vor allem KMU – behaupten, dass ihre Mitarbeiter bereits alles wüssten, was sie wissen müssten. Das belegt die CVTS 3.
Wenn man zudem bedenkt, dass die Wiederbelebung der Weiterbildung in den vergangenen beiden Jahren zu einem guten Teil der positiven Gesamtentwicklung von Wirtschaft und Staatseinnahmen zu verdanken ist, mit deren Fortsetzung nicht gerechnet werden kann, dann sind die Aussichten nur gedämpft rosig.