(Weiter-)Bildung ist eines der besten Anti-Krisenmittel – so der Tenor auf dem ersten Deutschen Weiterbildungsforum Ende Juni 2009 in Bonn. Doch, auch das zeigte sich auf dem Kongress: Deutschland hat in Sachen Weiterbildung kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem.
Draußen gleißte die Juni-Sonne, drinnen sorgte die auf Hochtouren laufende Klimaanlage für kühle Köpfe. Diese brauchte es auch bei der Veranstaltung, zu der der Bundesverband der Träger beruflicher Bildung (BBB), Hamburg, Personalverantwortliche und Weiterbildner am 30. Juni 2009 nach Bonn eingeladen hatte. Das Motto des ersten Deutschen Weiterbildungsforums des BBB lautete nämlich: 'Intelligente Weiterbildung in der Krise'. Und die Krise bereitet Weiterbildungsträgern – sie stellten den Großteil der 320 Teilnehmer – in der Tat Kopfzerbrechen.
Immerhin: Ein Legitimationsproblem, wie bei vergangenen Krisen, haben Deutschlands Weiterbildner heutzutage nicht mehr. Es gab beim Forum kaum einen Redner, der es nicht wiederholte: Bildung gilt heute als Mittel zur Krisenbewältigung und -prävention. 'Sie sichert Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt und den sozialen Zusammenhalt in dieser Gesellschaft', brachte es Dr. Günther Horzetzky, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, auf den Punkt. Denn: Um auf dem Weltmarkt agil zu sein, braucht die Wirtschaft einen großen Pool hoch qualifizierter Wissens- und Kreativarbeiter. Bislang jedoch fehlt dieser Fischteich noch: 'Trotz Krise ist der Fachkräftemangel ungebrochen', konstatierte Siegfried Schmauder, Vorsitzender des BBB, in seiner Eröffnungsrede. Zwar brechen immer mehr Jobs für Niedrigqualifizierte weg, doch im oberen Bereich nehmen die Vakanzen zu. 'Investieren wir zu wenig in Bildung und Weiterbildung, dann werden die Unternehmen weiterhin händeringend nach Fachkräften suchen, während sich gleichzeitig vor den Arbeitsagenturen lange Menschenschlangen bilden. Wir müssen den Zug jetzt aufs richtige Gleis setzen, damit sich Menschen und Unternehmen finden', umriss Horzetzky die Lage.
Neue 'Arbeitskräfteallianz'
Der Staatsbeamte hatte Daten im Gepäck, die belegen, dass die öffentliche Hand immerhin die Weichen für den besagten Zug in die richtige Richtung gestellt hat. Prägnanteste Beispiele: Die gestiegenen Weiterbildungsausgaben der Bundesagentur für Arbeit, die im Konjunkturpaket II zur Verfügung gestellten Gelder für Qualifizierung während der Kurzarbeit, der Plan seitens des Bundes und der Länder, die Bildungsausgaben bis zum Jahr 2015 auf zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu heben. Und nicht zuletzt eine neue 'Arbeitskräfteallianz', die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Frühjahr 2009 zur Beratung der Bundesregierung in Fragen des Arbeitskräftebedarfs ins Leben gerufen hat. Die Allianz entwickelt ein Instrument, mit dem der zukünftige Fachkräftebedarf in Deutschland ermittelt werden kann. 'Auf dieser Basis sollen dann Entscheidungen über Bildungsinvestitionen getroffen werden', kündigte Horzetzky an.
Umsetzungs- statt Erkenntnisprobleme
Also alles eitel Sonnenschein? Mitnichten, denn – auch das wurde auf dem Kongress mehrfach wiederholt: Es gibt in Deutschland in puncto (Weiter-) Bildung zwar kein Erkenntnis-, wohl aber ein Umsetzungsproblem. Weniger positiv als Horzetzky schätze denn auch Thomas Sattelberger, Personalvorstand und Arbeitsdirektor der Deutschen Telekom, die Lage der Nation ein. Zwar würdigte er die Bemühungen der öffentlichen Hand, doch gingen sie ihm nicht weit genug. In Deutschland werde trotz allem im Vergleich zu anderen OECD-Ländern immer noch zu wenig in Bildung investiert. Der schlimmste Rückschritt auf dem Weg in eine Gesellschaft mit einem größeren Reservoir an Hochqualifizierten ist aus Sicht des Personalchefs der Streit um die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge bzw. die mangelhafte Umsetzung der Hochschulreform. In der Schuld sieht Sattelberger auch die Unternehmen, die es an Konzepten für eine Verzahnung von Bildungs- und Laufbahnentwicklung fehlen ließen. Es stehen, so der Personalchef, weder ausreichend Praktikumsplätze für die Bachelor-Studenten bereit, noch wurden saubere Jobprofile für die Absolventen ausgearbeitet. Auf Seiten der Unis wiederum fehlt es an berufsbegleitenden Studienangeboten, kritisierte Sattelberger.
Mehr Durchlässigkeit gefordert
In eine ähnliche Kerbe hieb auch Professor Dr. Reinhold Weiß, ständiger Vertreter des Präsidenten und Forschungsdirektor im Bundesinstitut für Berufsbildung. Weiß betonte, dass endlich durchlässige Strukturen zwischen Hochschul- und Berufsbildung her müssten, um das Bildungsreservoir in Deutschland zu vergrößern. Sprich: Es soll Berufstätigen leichter gemacht werden, eine akademische Weiterbildung aufzusatteln. Das European Credit System for Vocational Education and Training (ECVET), mit dessen Hilfe Lernergebnisse, die eine Person in der beruflichen Bildung erreicht hat, mit Leistungspunkten belegt und somit über 'Systemgrenzen' hinweg vergleichbar gemacht werden sollen, muss kompatibel gemacht werden mit dem Leistungspunktesystem der Hochschulen, forderte Weiß. Voraussetzung: 'Es muss ein der Hochschulakkreditierung vergleichbares Akkreditierungsverfahren für die Anbieter anerkannter Fortbildungsabschlüsse geben', so der Wissenschaftler. Weiß' zweites großes Anliegen war die in Deutschland noch unterentwickelte Bildungsberatung, für Einzelne wie auch Unternehmen: 'Weil die Vergangenheit gezeigt hat, dass ein angemessenes Beratungsangebot über Marktprozesse allein nicht zustande kommt, bedarf es hier einer öffentlichen Infrastruktur', so der Wissenschaftler.
Kurzarbeiterqualifizierung zieht kaum
Dass kleine und mittelständische Unternehmen die Gelder, die derzeit zur Finanzierung von Qualifizierungen im Rahmen der Kurzarbeit zur Verfügung stehen, nur verhalten in Anspruch nehmen, scheint indes noch andere Gründe zu haben als mangelnde Beratung – zumindest aus Sicht von Siegfried Schmauder: 'Das Problem besteht darin, Unternehmen und Weiterbildungsträger logistisch zusammenzubringen', so der BBB-Vorstand. Beispiel: Will ein Unternehmen vier von seinen zehn Kurzarbeitern in einer Thematik weiterbilden lassen, dann müssen sich andere Unternehmen mit demselben Anliegen finden, damit es für Anbieter interessant wird, ein entsprechendes Angebot aufzusetzen. Auf ein weiteres Problem verwies Rudolf Helfrich, ebenfalls Vorstandsmitglied des BBB: 'KMU wollen sich in der Krise ihre Flexibilität, auf plötzlich eingehende Aufträge reagieren zu können, nicht verbauen lassen.'
Dass Appelle, sich antizyklisch zu verhalten, auch bei Großunternehmen verhallen, wenn ihnen das Wasser bis zum Hals steht, bewies das Beispiel des neuerdings zur Schaeffler Gruppe gehörenden Automobilzulieferers Continental AG. Workshop-Referent Volker Maschmeyer stellte sich vor als geschäftsführender Gesellschafter des Trainings- und Beratungsanbieters Contur GmbH, die 1997 aus dem zentralen Bildungswesen der Continental AG hervorgegangen ist und den Konzern heute noch als Hauptkunden hat.
Intelligente Weiterbildung in der Krise heißt konsequente Orientierung am Business-Prozess
Maschmeyer umriss die Panikreaktion des Unternehmens auf die Krise: Der Automobilzulieferer hat sein Trainings- und Beratungsbudget zusammengestrichen, Business-School-Programme eingefroren, Executive-Coaching-Programme reduziert, PE- und OE-Programme auf 2010 vertagt. Das alles nicht ohne Kritik seitens der Personaler, aber, wie eine Umfrage von Contur unter den Führungsgranden ergab, aus der Überzeugung heraus, dass der Fokus eher auf Kostenreduktion und Re-Organisation liegen sollte als auf Innovation und Wachstum.
Immerhin jedoch konnten Maschmeyer und seine Kollegen einige Themen ermitteln, die dem Unternehmen in Sachen PE derzeit trotz allem am Herzen liegen. 'Dazu gehört das Bedürfnis, Talente zu halten', so Maschmeyer. Neben Angeboten wie 'Führen in turbulenten Zeiten' hat sein Unternehmen deshalb ein Mentoring-Programm aufgelegt, bei dem Führungsneulinge in konkreten Business-Projekten arbeiten und dabei von älteren Führungskräften unterstützt werden. Maschmeyers Fazit: 'Intelligente Weiterbildung in der Krise heißt nicht etwa, innovative Lernformen aufzusetzen, sondern konsequent das Lernen am Business-Prozess auszurichten.'
Vorsorge für maue Zeiten
Ein Modell, wie Firmen finanziell Vorsorge für Weiterbildung in mauen Zeiten treffen könnten, stellten Leander L. Hollweg, Geschäftsführer der Tenman Prognosys GmbH, und Artur Broda Geschäftsführer der nextpension GmbH aus Hamburg, vor: Auf 'Zukunftskonten' sollen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Entgeldbestandteile für Weiterbildung ansparen. Derart flüssige Firmen wären wohl der Traum der für die freie Wirtschaft tätigen Weiterbildner. Denn, wie Bildungsforscher Weiß anmerkte: 'Sie, die bislang auf der Sonnenseite der Branche standen, müssen nun am ärgsten ums Überleben kämpfen, während sich die öffentlich geförderte Fortbildung im Jahr 2009 wohl als stabilisierendes Segment erweisen wird.'