Arie de Geus, Henry Mintzberg, Peter Senge... - zu ihrem 60. Geburtstag wartete die ASTD mit einigen HR-Koryphäen auf. Doch trotz des Jubiläums und der prominenten Referenten waren die Denkanstöße eher stillerer Art. Gefordert wurde die Fokussierung auf Werte statt die Ausrichtung auf den Shareholder-Value.
Prägten in der Vergangenheit immer neue Superlative das größte Branchentreffen der Trainer und Berater, bot die diesjährige US-Jahrestagung der American Society for Training and Development (ASTD) ein eher ruhiges Bild: Auf dem internationalen Kongress vom 23. bis zum 27. Mai 2004 in Washington wurde keine e-Learning-Revolution ausgerufen, und es gab auch keine Aufforderung zu einer radikalen Abkehr von einem vermeintlich überholten Weiterbildungsdenken auf dem Weg in eine bessere, performance-gesteuerte Zukunft. Dafür boten die Beiträge international renommierter Referenten Denkanstöße der eher stillen Art - stellten aber gleichzeitig manches Patentrezept in Frage.
Lernen der Zukunft: Use work, not make work
So forderte z.B. Henry Mintzberg, anknüpfend an sein gerade erschienenes Buch 'Managers not MBAs' (ISBN 1-57675-275-5), einen alternativen Weg für eine wirksame Management-Ausbildung. Für Führungskräfte sei die Beschäftigung mit den für MBA-Programme typischen Fallstudien reine Zeitverschwendung, da sie ausreichend eigene Problemstellungen hätten, die es zu lösen gelte. Doch auch dem Action Learning, dem Lernen in realen Projekten, erteilte der Managementprofessor von der Mc Gill University, Montreal, eine Absage. Hier ginge es im Allgemeinen 'mehr um Action als um Learning'. Die natürliche Quelle eines erfahrungsbasierten Lernprozesses sieht Mintzberg in der Verknüpfung von Reflexion und Aktion - bestimmt durch das Leitmotiv 'use work, not make work': Idealerweise steuern die Dozenten konzeptionelles Wissen bei, die Führungskräfte bringen ihre Erfahrungen ein, und das Lernumfeld schafft den Raum zur Reflexion.
Ebenso wie Mintzberg forderte auch Peter Senge neue, ganzheitlich ausgerichtete Lernprozesse, geprägt durch die Einheit von Denken und Handeln. Der Autor des Buches 'Die fünfte Disziplin' (ISBN 3-608-91379-3) und Wegbereiter eines systemischen Ansatzes des Organisationslernens schlug nachdenkliche Töne an. Sein Beitrag stand unter dem Thema des globalen Lernens für eine nachhaltige Zukunft. Die Herausforderung besteht laut Senge darin, ein Unternehmensumfeld zu schaffen, das es den Mitarbeitern ermöglicht, sich in umfassender Weise einzubringen, ohne die persönliche Identität aufgeben zu müssen.
Auch in etlichen anderen Vorträgen und Workshops - insgesamt waren es mehr als 300 - stand der Mitarbeiter im Fokus. Im Schwerpunkt abgedeckt wurden die Themenbereiche Karriereentwicklung, e-Learning, Leadership und Managemententwicklung, Lernen und Unternehmensstrategie, Erfolgsmessung und Evaluation, Performance Management, Organisationskultur und Veränderungsmanagement sowie Persönlichkeitsentwicklung. Zahlreiche von der ASTD ausgezeichnete Praxisbeispiele zeigten auf diesen Feldern Lösungswege sowie Möglichkeiten und Grenzen auf.
Zahlenfixierung nimmt ab
So breit das Portfolio auch war - überall zeigte sich: Nach Jahren der absoluten Zahlengläubigkeit, bestimmt durch Return-on-Investment-Diskussionen, wird mehr und mehr nach einem Bildungsnutzen jenseits ökonomischer Messgrößen gesucht. Ebenso gewinnen Werte jenseits des Shareholder-Value-Denkens und die Integrität von Führungskräften an Bedeutung.
Wie wichtig die Besinnung auf diese eher weichen Faktoren tatsächlich ist, machte Arie de Geus deutlich. Der ehemalige Koordinator bei der Royal Dutch/Shell-Gruppe, dessen Buch 'The Living Company' (ISBN 1-57851-820-2) zu den Managementklassikern zählt, kritisierte jegliches kurzfristige Profitdenken und die einseitige Ausrichtung vieler Unternehmen auf den Kapitalmarkt. Mittlerweile sei nicht das Geldkapital der kritische Produktionsfaktor, sondern das Humankapital. Dies gelte umso mehr angesichts der demographischen Entwicklung, die Unternehmen künftig zu umfassenden Bindungsanstrengungen zwingen wird.
De Geus stellte zudem die Frage, warum einerseits neu gegründete Unternehmen eine durchschnittliche Lebenserwartung von nur 20 Jahren haben und auch die Fortune 500-Unternehmen selten älter als 40 Jahre werden, wenn es andererseits auch Unternehmen gibt - wie Stora in Schweden oder Sumitomo in Japan -, die 400 Jahre und älter sind. Als Überlebensfaktoren nannte er neben der Besinnung auf das Humankapital ein konservatives Finanzgebaren, umfeldbezogenes Unternehmenshandeln, eine starke Identität sowie Zusammenhalt und eine Unternehmensführung, die Freiräume bietet.
ASTD legt Kompetenzmodell für PE’ler vor
Die Warnung vor der einseitigen Orientierung am Shareholder-Value bedeutet natürlich nicht, dass Personalentwickler die Geschäftsprozesse aus dem Auge verlieren dürfen. Im Gegenteil, machte die ASTD deutlich: Im Rahmen einer Studie (Competency Study: Mapping the Future) definierte die ASTD vor dem Hintergrund aktueller und künftiger Trends erstmals ein umfassendes Kompetenzmodell für den Personalentwickler der Zukunft, den 'Workplace Learning and Performance Professional' - ein entsprechender Zertifizierungsprozess ist in Vorbereitung. Dabei zeigt sich: Das Idealprofil eines Personalentwicklers bestimmt sich wesentlich durch eine strategische Ausrichtung sowie die Fähigkeit zum Ausgleich zwischen finanziellen und unternehmerischen Zielen einerseits und konsequenter Mitarbeiterorientierung andererseits.
Anlass zur Hoffnung gibt eine weitere Untersuchung, die die ASTD im Rahmen des Kongresses vorstellte: Der 'State of the Industry-Report 2003' verzeichnet eine Zunahme des Weiterbildungsumfanges in den Unternehmen (gemessen in Weiterbildungsstunden pro Mitarbeiter). Ebenso zeigt sich ein verstärkter - und noch weiter wachsender - Einsatz von e-Learning. Der e-Learning-Anteil liegt je nach Unternehmen zwischen 15 und 29 Prozent, der des klassischen Präsenzlernens zwischen 62 und 72 Prozent. Ebenfalls positiv: Es konnte eine Korrelation zwischen Bildungsausgaben und Unternehmenserfolg nachgewiesen werden.
Weniger internationale Teilnehmer als in den Jahren zuvor
Einen Wermutstropfen gab es jedoch in anderer Hinsicht: Nach einer langen Phase wachsender Internationalisierung ist der ASTD-Kongress wieder nationaler geworden - was sicher mit der aktuellen Politik in den USA zu tun hat. So suchte man unter den knapp 9.000 Teilnehmern vergeblich Delegationen aus Kuwait und anderen arabischen Staaten. Auch China war im Gegensatz zu Südkorea mit 328 und Japan mit 133 Teilnehmern kaum vertreten. Aus Deutschland hatten 50 Teilnehmer den Weg nach Washington gefunden - in erster Linie waren es Trainer, kaum aber Unternehmensvertreter, die den Blick über den nationalen Tellerrand wagten.