Schlauer lernen

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Morgen ist heute schon gestern

Henning Beck erklärt, warum wir die Probleme in die Zukunft fortschreiben können, nicht aber die Lösungsmöglichkeiten.

Stellen Sie sich vor, vor 25 Jahren hätte jemand zu Ihnen gesagt, dass in 20 Jahren eine tödliche Krankheit über die Menschheit hereinbricht und man nicht mehr nach draußen oder zur Arbeit darf. Wir hätten keine Antwort gewusst, wir hätten uns aufgeschmissen gefühlt! Bedenken Sie: Ende der 90er gab es kein flächendeckendes Internet, man konnte sich auch sein Essen nicht nach Hause liefern lassen (bis auf Pizza), es gab kein Streaming, wenig E-Mails, keine Videocalls, dafür TV-Sendungen, auf die man warten musste. Und vor allem: keine Smartphones, um sich die Zeit zu vertreiben.

Tatsächlich konnten wir die letzte Pandemie viel besser überstehen, als wir das im Jahre 1999 geglaubt hätten. Denn wir unterschätzen systematisch, zu welchen Leistungen wir in der Zukunft fähig sein werden. Werden wir heute gefragt, wie man die großen Probleme in 20 Jahren lösen soll, dann müssen wir immer passen. Denn wir können zwar die Probleme in die Zukunft fortschreiben. Niemals jedoch die Lösungsmöglichkeiten.

Dieses Phänomen nennt sich „End-of-History-Illusion“. Wir denken stets, dass wir das Ende der Geschichte markieren, quasi das Optimum aller Möglichkeiten. Wenn Sie ein Geschichtsbuch aufschlagen, dann kommt die Gegenwart immer auf der letzten Seite. Und das Buch ist zu Ende. Wir können uns kaum vorstellen, dass das Heute morgen irgendwo in der Mitte eines Geschichtsbuchs verschwindet.

Das trifft auch auf persönliche Haltungen zu: Menschen unterschätzen systematisch, wie sehr sich ihre Ansichten (politisch, gesellschaftlich, persönlich) in den nächsten Jahren ändern werden. Die größte Diskrepanz findet man dabei bei den Anfang 20-Jährigen: Niemals in seinem gesamten Leben unterschätzt man krasser, wie sehr man seine Haltung ändert. Erst ab Ende 50 stabilisiert sich die eigene Zukunftserwartung mit der tatsächlichen Veränderung.

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Dieses Denken ist tückisch, denn es führt zu Pessimismus. Wir denken, die Probleme werden in Zukunft immer größer, sind jedoch unfähig, unsere Lösungsfähigkeit gleichsam fortzuschreiben. Freilich: Die Menschheit steht aktuell unlösbaren Problemen gegenüber. Aber an diesem Punkt steht die Menschheit seit 5.000 Jahren. Ständig gibt es irgendwas zu tun – und keiner kann sich vorstellen, wie die Lösung aussieht. Dabei erschaffen wir gerade dadurch Lösungen, indem wir die Probleme anpacken und dadurch verändern. Eine problemlösende Wundertechnologie fällt nicht vom Himmel, sondern wird dadurch entwickelt, dass man sich an die Lösung von Problemen macht. Warum sollte das in Zukunft anders sein?

Heute lachen wir über unsere Unreife der Vergangenheit. Vor knapp 50 Jahren mussten Frauen in Deutschland ihre Ehemänner um Erlaubnis fragen, arbeiten zu dürfen. Vor gut 30 Jahren war Homosexualität in Deutschland illegal. Welche moralischen Vorstellungen werden wir in Zukunft über Bord werfen? Was von dem, was wir heute für selbstverständlich halten, wird in 100 Jahren als barbarisch gelten?

Wir können uns nicht vorstellen, dass man in 30 Jahren über uns lachen wird, weil wir heute, in den 2020ern angeblich am besten wissen, wie es laufen soll. Dabei sind wir nicht die schlaueste Generation aller Zeiten. Sondern markieren den aktuellsten Stand menschlichen Irrtums. In dieser Bescheidenheit sollten wir die Probleme anpacken. Dadurch wurden wir immer schlauer. Ich bin zuversichtlich, dass das so bleibt.

Der Autor: Henning Beck ist Neurowissenschaftler, und zwar einer der verständlichen. In Vorträgen und Seminaren vermittelt er die spannenden Themen des Gehirns. Sein aktuelles Buch heißt „12 Gesetze der Dummheit“. Kontakt: ­henning-beck.com

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