Für alle Fragen rund um unsere Webseite, unsere Medien und Abonnements finden Sie hier den passenden Ansprechpartner:
Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Dag Roth im Interview mit Joachim Pawlik aus managerSeminare 312, März 2024
Herr Pawlik, Sie haben sich mit Ihrem Team in einer Umfrage dem Thema Krafthaushalt in der Arbeitswelt gewidmet. Welche Umstände haben Sie zu dieser Umfrage bewegt?
Joachim Pawlik: Wir haben vor anderthalb Jahren in Gesprächen mit Mitarbeitenden zum Jahresende bemerkt, wie die Stimmung gekippt ist. Vielfach war der Tenor: „Ich verstehe, warum das Unternehmen mehr will, aber ich habe keine Kraft mehr, das zu leisten.“ Ansätze wie Resilienz-Trainings und jobbezogene Maßnahmen haben nicht mehr die Resultate der vergangenen Jahre erbracht. Also vermuteten wir Ursachen, die über den Job hinausgehen, und haben beschlossen, das zu untersuchen.
Rund 50 Prozent, die weniger Kraft haben als noch vor drei Jahren, nur 55 Prozent, die noch kraftvoll und optimistisch in die Zukunft blicken: Würden Sie diese Werte als alarmierend für die Zukunft der Arbeitswelt einstufen?
Ja, das ist alarmierend, das ist sogar sehr alarmierend. Und nach den Erfahrungen, die wir jetzt bislang gesammelt haben, glaube ich Folgendes: Wenn sich die Führung von Unternehmen darauf nicht einstellt, wird es noch schlimmer. Denn die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass besonders die junge Bevölkerung in der Arbeit eher einen Krafträuber sieht als die Älteren.
Aber wie kommt es, dass die Arbeit für die Jüngeren tendenziell eher Krafträuber ist als für die Älteren?
Dafür haben wir zwei Erklärungsmuster gefunden. Das erste: Bei Jüngeren haben wir auf die Frage nach Anreizen wie Gehaltserhöhungen, mehr Reputation oder Karriereaufstiege fast immer die gleiche Reaktion erhalten: „Warum sollte ich mittelfristig auf etwas hoffen, wenn KI vielleicht morgen schon meinen kompletten Job übernimmt oder eine andere Krise hereinbricht?“ Die Grundidee von „Streng dich an, damit in Zukunft …“ – die ist fast durchgängig weg.
Meine zweite Interpretation hat mit Selbstwirksamkeit zu tun. In der alten Generation war das nie das Thema, da hatte Arbeit eine ganz andere Bewandtnis. Die junge Generation aber will mitwirken, sie will Teil einer Geschichte sein und jeden Abend nach Hause gehen und sagen: „Das war mein Beitrag zu dem, was hier in der Firma passiert.“ Und das berücksichtigen Unternehmen bei Weitem noch nicht genug.
Dazu kommt ein Problem der vergangenen Jahre: Wer während Corona und in Zeiten des Homeoffice ongeboardet wurde, hat seine Kollegen und Führungskräfte unter Umständen gar nicht richtig kennengelernt. Es fehlt der Austausch, auch zur Frage: „Wer ist das Unternehmen eigentlich und wo will es hin?“ Das macht eine Identifikation, die für die Selbstwirksamkeit sehr wichtig ist, natürlich sehr schwer.
Rund die Hälfte der Befragten (49,4 Prozent) hat in den vergangenen drei Jahren deutlich an Kraft verloren. Jede dritte Person gibt an, keine ausreichende Kraft mehr für ihre Arbeit zu haben. Nur etwas mehr als die Hälfte (55 Prozent) blickt noch positiv in die Zukunft.
Führungskräfte sind dabei deutlich positiver eingestellt (69,2 Prozent) als Mitarbeitende ohne Führungsposition (45,8 Prozent) und verfügen auch über mehr Kraft.
Mehr als jeder dritte Befragte gibt an, dass mangelnde Anerkennung und Wertschätzung die größten Krafträuber bei der Arbeit sind.
Auf die Frage, mit welchen Maßnahmen Arbeitgeber die Energie ihrer Arbeitnehmenden stärker fördern können, erhielten „flexible Arbeitszeiten“ (46 Prozent), „sinnvolle Tätigkeiten“ (44 Prozent) und „mehr Weiterbildung und Entwicklungsmöglichkeiten“ (44 Prozent) die meisten Stimmen. Der Wunsch nach besserer Vergütung landet dagegen auf dem letzten Platz – trotz Inflation.
Die Studie offenbart zudem signifikante Unterschiede zwischen den Altersgruppen: Die 20- bis 30-Jährigen empfinden die Arbeit als deutlich kraftraubender als die ältere Generation (32 Prozent zu 24 Prozent). Sie leiden auch stärker unter fehlender sozialer Einbindung (28 Prozent zu 16 Prozent). Insgesamt blicken sie aber dennoch optimistischer in die Zukunft als die über 50-Jährigen (69 Prozent gegenüber 42 Prozent).
Mangelnde Anerkennung und hohe Arbeitsbelastung werden als größte Krafträuber genannt. Das sind ja keine unbekannten Größen. Versagt also die Führung?
Umso größer die Krisen sind, die Mitarbeiter oder Menschen zu bewältigen haben, umso bedeutsamer wird das Thema Anerkennung und Wertschätzung. Aktuell folgt Krise auf Krise, letztlich haben wir seit drei Jahren Krise und damit seit drei Jahren auch den Wunsch nach mehr Anerkennung. Das ist für Führungskräfte nicht leicht, denn sie sind selbst ja auch von den Krisen betroffen. Gerade das sogenannte mittlere Management ist stark an der Belastungsgrenze.
Wie können wir denn diesen Entwicklungen entgegenwirken?
Mit Gesprächen, die sich ausschließlich auf die Frage „Wie geht es dir?“ konzentrieren, habe ich wunderbare Erfahrungen gemacht. Die Amerikaner nennen das Time Spending. Es wird also nicht über die Arbeit gesprochen, sondern es geht um die Wertschätzung für den Menschen. Für mich ist der Satz „Das Leben bleibt nicht vor der Tür“ zentral, das zeigen auch die Ergebnisse der Umfrage. Führungskräfte müssen demnach lernen, den ganzen Menschen wahrzunehmen, nicht nur die Funktion oder die Verantwortlichkeit oder die KPIs. Und das gilt nicht zuletzt auch für sie selbst.
Wie meinen Sie das?
Ich rede häufig mit Leuten, die aus einer Idee von Professionalität und Verantwortungsbewusstsein sagen: „Ich muss funktionieren. Und wenn jetzt halt Krise ist, dann muss ich da halt durch.“ Oder: „Ich bin Führungskraft, ich muss darüberstehen.“ Aber das, was aktuell passiert, ist so massiv, dass diese Einstellung nicht mehr funktioniert. Aus den Sportwissenschaften wissen wir, dass eine mentale Belastung einen Einfluss auf die Performance hat. Und so ist das auch im Job. Aus dem Grund bieten wir bei uns beispielsweise Gesprächsrunden an, in denen sich die Mitarbeitenden über belastende Themen austauschen können, etwa den Angriffskrieg auf die Ukraine oder die Klimakrise. Obwohl es natürlich keine Lösung gibt in diesen Gesprächen, zeigt sich, dass allein der Austausch und die Erkenntnis „Ich bin nicht allein damit“ helfen.